Zehntes Kapitel
Die Liebe ist nicht ehrgeizig.
Wer den Heiland liebt, kennt keinen anderen Ehrgeiz als den, Ihn zu lieben.
1. Wer Gott liebt, trachtet nicht nach der Liebe und der Achtung der Menschen, sein Verlangen ist auf Gott allein gerichtet, weil Gott der einzige Gegenstand seiner Liebe ist. Der heilige Hilarius sagt, daß bei allen Ehren, die man von der Welt empfängt, der Teufel seine Hand im Spiele hat. „Bei allen weltlichen Ehren betreibt der Teufel sein Geschäft“ (In Mt 6). Und so ist es: wenn der böse Feind einer Seele das Verlangen einflößt, von der Welt geehrt zu werden, verfolgt er seine höllische Aufgabe, die Seele zugrunde zu richten; denn hat sie die Demut verloren, so ist sie in Gefahr, in alle möglichen Sünden zu geraten. Gott ist freigiebig mit seinen Gnaden gegen die Demütigen, den Hoffärtigen aber versagt Er sie, weil Er ihnen widersteht, wie der heilige Jakobus bezeugt. „Gott widersteht den Hoffärtigen, den Demütigen aber gibt er Gnade“ (Jak 4,6). Er widersteht den Hoffärtigen, das heißt: Er hört ihre Bitten gar nicht an. Eine Hoflärt ist es aber ohne Zweifel, wenn man sich um die Hochachtung der Menschen bewirbt und an den Ehren, die man von ihnen empfangt, ein eitles Wohlgefallen hat.
2. Ein warnendes und erschütterndes Beispiel ist in dieser Beziehung der Bruder Justinus aus dem Franziskanerorden. Dieser Bruder hatte einen hohen Grad von Beschaulichkeit erreicht; weil er aber vielleicht, oder vielmehr, weil er ganz gewiß das Verlangen, von der Welt geehrt zu werden, in sich nährte, nahm es mit ihm ein trauriges Ende. Der Papst Eugen IV, der von ihm gehört hatte, berief ihn zu sich, und da er eine hohe Meinung von seiner Heiligkeit hegte, empfing er ihn auf das ehrenvollste, umarmte ihn, und ließ ihn an seiner Seite sitzen. Durch diese Ehren war aber der Bruder vom Eigendünkel berauscht, und als er in sein Kloster zurückgekehrt war, bemerkte der heilige Johannes Kapistran sogleich die Veränderung, die in ihm vorgegangen war, und sprach zu ihm: „O Bruder Justinus, du bist als ein Engel fortgegangen und als Teufel zurückgekehrt.“ In der Tat wurde er von Tag zu Tag hochmütiger, verlangte von allen, daß sie ihn mit Ehrerbietung behandeln sollten, und es kam endlich so weit, daß er einen Mitbruder, der ihm widersprach, mit einem Messer erstach. Er entwich sodann aus dem Kloster, flüchtete sich nach Neapel, beging dort mehrere Verbrechen und starb zuletzt als ein abtrünniger Ordensmann im Kerker. Wenn wir hören, daß Zedern aus dem Libanon gefallen sind, sagte mit Recht ein großer Diener Gottes, wenn wir von dem Falle eines Salomon, eines Tertullian, eines Osius lesen, die alle für heilig gehalten wurden, so können wir überzeugt sein, daß sie sich nicht ganz Gott geschenkt hatten und in ihrem Herzen einen Geist des Hochmutes nährten, und deshalb von den Wegen Gottes abwichen. Zittern wir also, wenn sich in uns das Verlangen regt, öffentlich zu erscheinen und von der Welt geehrt zu werden; und wenn uns die Welt Ehren erweist, hüten wir uns, daran ein Gefallen zu haben; denn dies könnte die Ursache unseres Verderbens werden.
3. Am meisten aber müssen wir uns vor dem Verlangen hüten, andere im Punkte der Ehre zu übertreffen. „Wo Ehrenpunkte festgehalten werden, gibt es keine wahre Frömmigkeit“, sagte die heilige Theresia. Viele bekennen sich zu einem geistlichen Leben; allein sie beten den Götzen ihrer eigenen Ehre an. Sie tragen gewisse scheinbare Tugenden zur Schau; allein sie wollen bei allem, was sie tun, gelobt werden, und wenn sie niemand lobt, so loben sie sich selbst; sie trachten immer besser zu erscheinen als andere, und wenn ihnen der Ehrenpunkt angetastet wird, so verlieren sie alle Ruhe des Herzens, unterlassen die Kommunion und ihre Andachtsübungen und beruhigen sich nicht eher, als bis sie glauben, ihr Ansehen und die gute Meinung, die man von ihnen hatte, wiederhergestellt zu haben. So machen es nicht diejenigen, die Gott wahrhaft lieben. Sie vermeiden es, auch nur ein Wort auszusprechen, das nach eigener Ehre riecht, und wenn ihnen ein Lob von anderen zuteil wird, so haben sie daran kein Wohlgefallen, sie betrüben sich vielmehr darüber und freuen sich, wenn sie sehen, daß man eine geringe Meinung von ihnen hat.
4. O wie wahr ist es, was der heilige Franziskus von Assisi sagte: „Ich bin das, was ich vor Gott bin.“ Was hilft es, vor der Welt groß und angesehen zu erscheinen, wenn man in den Augen Gottes klein und verwerflich ist? Im Gegenteil, was liegt daran, daß die Welt uns verachte, wenn wir Gott angenehm und wohlgefällig sind. „Das Lob des Lobenden heilt das böse Gewissen nicht, und die Schmähungen des Schmähenden verwunden das gute Gewissen nicht“, sagt der heilige Augustinus (Lib.3.contra Peru). Gleichwie derjenige, der uns lobt, uns von den Strafen nicht zu befreien vermag, die wir für böse Werke zu erwarten haben, so kann uns auch der, welcher uns tadelt, das Verdienst unserer guten Werke nicht rauben. „Was ist daran gelegen“, sagte die heilige Theresia, „daß uns Geschöpfe beschuldigen und geringschätzen, wenn nur der Schöpfer uns für schuldlos erkennt.“ Das Verlangen der Heiligen war immer darauf gerichtet, vor der Welt unbekannt zu sein und in den Herzen und in der Meinung der Menschen den letzten und verächtlichsten Platz einzunehmen. „Welches Unrecht geschieht uns denn“, sagt der heilige Franz von Sales, „wenn man eine üble Meinung von uns hat, da wir selbst eine solche Meinung von uns haben sollen? Oder verlangen wir vielleicht, daß andere uns für vortrefflich halten sollen, während wir selbst wissen, daß wir nichts taugen?“
5. O welche Sicherheit gewährt ein verborgenes Leben allen, die den Heiland aus ganzem Herzen lieben wollen! Er selbst gab uns das Beispiel, da Er die ersten dreißig Jahre seines Lebens verborgen und verachtet in der Werkstätte eines Zimmermanns zubringen wollte. Darum haben so viele Heilige Wüsten und Höhlen aufgesucht, um der Hochachtung und den Ehrenbezeichnungen der Menschen zu entgehen. „Wenn wir das Verlangen in uns nähren, vor der Welt zu erscheinen“, sagte der heilige Vinzenz von Paul, „wenn wir verlangen, daß man ehrenvoll von uns spreche, daß man unsere Handlungen lobe, die glänzenden Erfolge hervorhebe und die erstaunlichen Dinge rühme, die wir vollbringen: so ist dies ein großes Übel; denn es bewirkt, daß wir Gott vergessen und daß unsere heiligsten Handlungen befleckt werden, und ist für sich allein hinreichend, allen unseren Fortgang im geistlichen Leben zu verhindern“
6. Wer also in der Liebe Jesu Christi Fortschritte machen will, muß jedes Gelüste nach Ehre und Ansehen vor der Welt in sich ertöten. Wie geschieht dies aber? Die heilige Maria Magdalena von Pazzi beantwortet diese Frage folgendermaßen: „Die Anhänglichkeit an die Hochachtung der Menschen kann nur dann in uns leben, wenn alle Menschen von uns eine hohe Meinung haben; der Tod dieser Anhänglichkeit besteht also darin, daß wir uns verbergen, um von niemanden gekannt zu sein; und wer es nicht dahin bringt, sich selbst auf diese Weise abzusterben, wird nie ein wahrer Diener Gottes sein.“
7. Wenn wir uns aber, um Gott wohlgefällig zu sein, vor dem ehrfürchtigen Verlangen, öffentlich zu erscheinen und den Menschen zu gefallen, hüten müssen, so ist es noch notwendiger, sich vor dem Ehrgeiz, über andere herrschen zu wollen, in acht zu nehmen. Die heilige Theresia wünschte, daß lieber ihr Kloster samt allen Schwestern in Feuer aufgehen möge, als daß dieser verfluchte Ehrgeiz sich in dasselbe einschleiche. Sie verordnete deshalb auch, daß eine Schwester, die jemals danach streben sollte, Oberin zu werden, aus dem Kloster gejagt oder wenigstens auf immer eingesperrt werde. Die heilige Maria Magdalena von Pazzi sagte: „Eine geistliche Person hat ihre Ehre darin zu suchen, daß sie die letzte von allen sei und allen nachgesetzt werde und jeden Vorzug vor anderen auf das äußerste fliehe und verabscheue.“ Eine Gott liebende Seele darf keinen anderen Ehrgeiz in sich nähren als den: alle anderen an Demut zu übertreffen, wie dies der Apostel ausspricht: „In der Demut miteinander wetteifernd“ (Phil 2,3). Mit einem Worte: wer Gott liebt, darf nichts anderes suchen als Gott und sich um nichts bewerben als um das Wohlgefallen Gottes.
Gebet
O mein Jesus, gib mir die Gnade, daß dein Wohlgefallen das einzige Ziel meines Ehrgeizes sei, und daß ich alle Geschöpfe und auch mich selbst vergesse. Was könnte es mir nützen, wenn ich von der ganzen Welt geliebt würde, aber nicht von Dir, o einzige Liebe meiner Seele? Du bist auf diese Welt gekommen, o Herr, um Dir die Herzen aller Menschen zu gewinnen: wenn ich es aber nicht verstehe, Dir mein Herz zu schenken, so nimm es Dir selbst und erfülle es mit deiner Liebe und laß nicht zu, daß ich je wieder von Dir geschieden werde. Ich habe früher Dich und deine Gebote verlassen: aber ich erkenne jetzt die Größe des Übels und meiner Schuld, ich bereue es aus dem Grunde meines Herzens, und nichts ist mir schmerzlicher als die Erinnerung an die vielen Beleidigungen, die ich Dir zugefügt habe. Mein Trost ist der Gedanke, daß Du unendlich gütig bist und es Deiner nicht unwürdig achtest, einen Sünder zu lieben, der Dich von nun an lieben will. O mein geliebter Erlöser, o süße Liebe meiner Seele, habe ich früher deine Liebe verachtet, so liebe ich Dich jetzt mehr als mich selbst. Ich gebe mich Dir, mich und alles, was ich bin und habe, und suche und verlange nichts als dein Wohlgefallen. Dieses Verlangen, Dir wohlzugefallen, soll mein einziger Ehrgeiz sein, nimm es an, vermehre es und vernichte in mir jeden Wunsch nach irdischen Gütern. Du bist so unendlich liebenswürdig, Du hast so viele Ansprüche, von uns geliebt zu werden. Siehe, o Herr, hier bin ich, ich will ganz dein sein; Du wolltest aus Liebe zu mir unter unsäglichen Schmerzen an einem Kreuze sterben, und ich will tragen und leiden, was Du mir zuschicken wirst. Du willst, daß ich heilig werde, Du kannst mich heilig machen, und ich will es werden im Vertrauen auf deinen Beistand. Auf deine Gnade, o mein Jesus, setze ich mein Vertrauen, und auf deinen Schutz, o Mutter meines Herrn, Maria.