II.
Das Atmen der Seele: Eine Flammenschrift
Wir schauen dem Schmied zu,
wie er die Eisenstangen glüht und mit aller Macht darauflos hämmert. Da sprühen die Funken, da fliegen feurige Blitze umher. Flamme und Hämmern tun treffliche Arbeit.
Wir haben jetzt unsere Seele geglüht und das kleine Geheimnis etwas eingehämmert. Nun soll diese Flammenschrift unauslöschlich werden: Grundton der Seele.
Wenn die Seele in Schwingung gerät, dann ist’s ein zarter, reiner Ton: sie schwingt — immer im Grundton des kleinen Geheimnisses. Manchmal war’s ein launenhafter Tag! Morgens schon eine Stunde auf und das kleine Geheimnis vergessen! Das darf nicht mehr sein! Fünfmal zu Bett gegangen ohne das letzte Liebste, was die Seele denken kann. Darf nicht mehr Vorkommen! 15 Tage mit glänzendem Erfolg! Morgens der allererste Gedanke an das Eine, was die Seele wundersam anmutet. Dann ging es dahin, manchmal kurze Atemzüge, öfter untertags sogar lange Atemzüge. Das war erfrischend, da haben Augen und Herz geleuchtet! Seitdem die Opfer verdreifacht. Das war neues Leben! Machen wir einen Strich unter das frühere Leben mit einer Seele ohne Atem! Wertlose Tage, Wochen, Jahre. Jetzt fängt das Leben an: das höhere Leben. Wie hat das die Arbeiten so wertvoll gemacht! Richtig: mitten unter den allergewöhnlichsten Arbeiten kam’s — das Eine, Liebe, und da hätte man aufjubeln mögen vor Seligkeit. — Wenn ich’s nur früher schon gewußt hätte!
Einige Tage standen im Zeichen der Müdigkeit und Mattigkeit. Da ging’s nicht leicht. Aber um jeden Preis ausharren! Der Heiland muß nicht immer Zuckerbrot austeilen. Sprich innerlich das kleine Geheimnis alsdann langsamer, tiefer. — Du merkst den feinen, schönen Grundton immer heraus. Nur ausharren!
Es steht nun fest in uns — unverrückbar fest: es wird weiter geglüht und weiter gehämmert, bis die schöne Seele fertig ist.
Es kam zuweilen vor, daß du im letzten Monat an einzelnen Tagen stundenlang, halbe Tage lang vergessen hast auf’s Geheimnis. Laß dich nicht entmutigen: das ging mir und anderen im Anfang auch nicht anders; es waren ja zuweilen Gründe dafür da. Aber nach dem halben, verträumten Tag kam‘s wieder mit Macht über dich, und es war wieder eingeholt.
Nicht nach der Laune sollst du es tun oder unterlassen. Dem Schmied macht’s auch nicht immer Spaß bei Sonnenhitze zu glühen und zu hämmern. Aber ohne eine gewisse Zähigkeit geht‘s nicht. Ich lasse dir viel Freiheit dabei, weil ich das Mechanische mit der Zähluhr und das Zwangsmäßige nicht mag.
Nur vergiß mir das Atmen nicht! Bedenk, daß es den Grundton für dein ganzes Leben bilden soll: also Übung für das ganze Leben!
Man vergleiche damit das Lebensbild einer jugendlichen Seele: Klara Boscher, die (mit 18 Jahren schon vollendet) das alles herrlich in ihrem Leben verwirklicht hat.[1])
[1] Eine kleine Auserwählte. Neuauflage in Vorbereitung. Verlag der Schulbrüder, Kirnach-Villingen, Baden.
Einige Vorbilder:
1. „Schon seit einiger Zeit hat mich der gute Heiland in seine besondere Schule genommen. Ich betete damals von Zeit zu Zeit irgendein Stoßgebetchen, dachte während der Arbeit öfters an Jesus, aber das alles so kalt, so ohne innere Wärme, daß Jesus daran keine Freude haben konnte. Ich besuchte ihn zwei- bis dreimal, sogar viermal am Tag, aber jedesmal nur fünf bis zehn Minuten. Da glaubte ich etwas getan zu haben. Aber war es nicht eher ein Nichts, da ich viel länger Zeit gehabt hätte? Zwei Jahre später hörte ich etwas über den tiefen Gedanken: ,Alles für Jesus!‘ Das habe ich nun eifriger betrieben.
Als dann das Lebensbild von Klara Boscher veröffentlicht wurde, hatte meine Übung an Tiefe und Innigkeit zugenommen. Der Gedanke: ,Herr, den ich tief im Herzen trage..’ trug besonders dazu bei, meine heiligen Kommunionen zu vertiefen. Doch gingen auch diese Jahre hin, ohne daß ich etwas Besonderes leistete. — Es kam der September 1921. Wieder ein Fortschritt —, den ich nach Gott einer Seele (edlen Freundschaftsdiensten) verdanke, die mich schon seit August anleitete, Jesus mehr zu lieben. Von ihr dazu bewogen, ein Tagebuch zu führen, bin ich ihr zu großem Dank verpflichtet, weil mich mein Tagebuch auf das Wirken Jesu in mir aufmerksam macht.
Seit jenen Tagen fühle ich es genau, daß mich Jesus auf diese Weise sicher an sich ziehen will. Das kleine Geheimnis fesselt meine Gedanken, erweitert mein Herz so, daß die Gnaden eindringen und wirken können. Es gibt jedem Tag eine ganz besondere Weihe, ein anderes Gepräge. Wenn ich mich während der Schulzeit auch nicht so förmlich hineinversenken kann in das Geheimnis der Liebe: es gibt doch so viele Augenblicke, die von der Lehrkraft nicht ausgenützt werden; diese kann ich dann dem Heiland in Form meines Stoßgebetchens schenken.
Ich habe dies bis jetzt schon geübt, aber es muß noch besser werden. Wenn mir Jesus eine Aufmerksamkeit nach der ändern erweist, kann ich nicht anders, als Ihm immer wieder sagen: Mein Jesu, ich hab Dich lieb!“
2. Mitten im zerstreuenden Berufsleben:
„Ich habe das kleine Geheimnis schon öfters geübt, aber leider bringe ich es oft tagelang einfach nicht fertig. Es ist mir durch meine Umgebung und mein weltliches Leben, auch durch große körperliche Schwäche oft unmöglich. Sehr leid ist mir dann eine solche Unterlassung, und ich habe doch den innigsten Wunsch, das liebe kleine Geheimnis restlos zu üben und zu erlernen, koste es, was es wolle. — Ich habe mir als Merksatz gewählt: ,Alles für Dich, heiligstes Herz Jesu!‘ Meine kleinen Opfer, alles, was ich tue, soll dem Herzen Jesu geweiht sein.
Aber wie oft vergesse ich dieses kleine Geheimnis und gehe unter in den allergewöhnlichsten Tagesarbeiten und finde keine Himmelsleiter zum Herzen des lieben Heilandes. Ich bin umgeben von Weltmenschen, die nichts von Gott und dem Herzen Jesu wissen wollen. Allerdings sollte ich um so mehr an Jesus denken durchs kleine Geheimnis. Aber es ist mir noch nicht zur zweiten Natur geworden. Und doch wäre es mein sehnlichster Wunsch, in der Gegenwart Gottes zu leben. Ich habe das Buch von Hock gelesen über die Vergegenwärtigung Gottes und bin nicht weitergekommen. Wesentlich leichter ist mir die Übung der Gegenwart Gottes geworden durch Übung des kleinen Geheimnisses. Was soll ich tun?“
Die Antwort darauf lasse ich durch eine Seele geben, die fast genau in den gleichen Lebensverhältnissen, der gleichen Umgebung sich befindet:
„Mit großer herzlicher Freude begrüßte auch ich das kleine Geheimnis, so wie man einen lieben alten Bekannten begrüßt, den man nun für immer bei sich behalten darf. Es hat mich zu neuem Eifer hingerissen. Ich übe es nun seit 1½ Jahren, und wenn es so bleibt wie bisher, dann kann ich sagen, daß ich erst anfange zu leben. Ich kann wohl sagen, daß ich fast immer an Gott oder an religiöse Dinge denke und alles mit Gott verbinde, aber ich wiederhole nicht immer die gleiche Anmutung wie anfangs, sondern verschiedene Gedanken und Stoßgebete, wie sie mir gerade passen oder in den Sinn kommen. Aber jede Arbeit, jede Erholung, jede Freude, jeder Schmerz, kurz, alles ist mit dem Stempel Gottes, mit dem Gedanken an Gott verbunden.
Jedoch erst, seit mir der liebe Heiland die innere Freudigkeit geschenkt, fange ich an, wahrhaft glücklich zu werden. Ich muß offen sagen:
,Das kleine Geheimnis, verbunden mit der heiligen Kommunion und der Gegenwart Gottes, hat in mir alle Bande der freiwilligen Sünde gebrochen.’
Es gelingt mir jetzt, mich eifrig in acht zu nehmen, um den lieben Heiland in meinem Herzen nicht zu beleidigen und sagen zu dürfen: ,Mein Jesus, ich hab Dich lieb!’ Aber erst nach eineinhalb jähriger treuer Übung.“
3. Aller Anfang ist schwer:
„Mit meinem kleinen Geheimnis: ,Mein Jesus, ich hab Dich lieb‘, ging es anfangs schwer. Ganze Stunden lang dachte ich nicht daran. Aber ich hatte guten Mut und einen starken Willen, und jetzt ist es tief in mein Herz eingewurzelt. Kein Opfer ist mir zu schwer; denn ich denke dann wieder an mein Geheimnis. Früher habe ich den ganzen Tag so dahingelebt und gearbeitet; wie mir scheint, ohne Verdienst für den Himmel. Jetzt ist mein erster Gedanke: mein Geheimnis. Mit ihm stehe ich gerne auf, mit ihm verrichte ich meine Gebete, mit ihm gehe ich an meine Berufspflichten. Dadurch habe ich mir den Wandel in Gottes Gegenwart schon ganz schön und leicht angewöhnt. Mein Geheimnis bringt so einen Jubel in meiner Seele hervor! Ich habe mich dem Herzen Jesu geweiht, und mein innigstes Verlangen ist, den Heiland als meinen Seelenbräutigam zu erwählen. Mein Geheimnis gehört mir und meinem Jesus! Seitdem bin ich selig.
Wie dankbar bin ich dafür, daß ich all das Schöne und Herrliche des Innenlebens kennenlernen durfte.“