III.

Erprobt

 

Wenn ich an das zurückdenke,

was mir dieses kleine Geheimnis gegeben hat — ich mußte mir all das selbst erarbeiten —, wenn ich bedenke, wie es in mir selbst stark umbildend gewirkt und bei anderen das verwirklicht hat, was beabsichtigt war: „glühend in Herzen und Händen“, dann halte ich es für kein Versäumnis, noch etwas dabei zu verweilen. In ganz wichtiger, bahnbrechender Art wird nämlich dadurch der Weg zur Betrachtung geebnet, und dann werden sich uns wie in einem Panorama oder auf einer Gebirgsstraße bei einer Wegkreuzung überraschende Ausblicke bieten, die unser helles Entzücken wachrufen. Es wäre auch zu sonderbar, wenn der Heiland seinen Freunden verhältnismäßig wenig oder nichts von überragenden Freuden bieten würde. Überragend! Mit denen Weltfreuden und Lustbarkeiten keinen Vergleich aushalten.

Leider werden den strebsamen Seelen zu wenige diese „Gartentüren“ geöffnet.

Wie bei lohnenden Bergbesteigungen der Gedanke auf uns ermutigend einwirkt: es ist ein erprobter Weg, andere sind ihn auch schon gegangen und können leuchtenden Auges von den Schönheiten erzählen, die sich ihnen dabei geoffenbart haben, so weiß ich heute auch ein solch ermutigendes Wort: Dieses Wort heißt: Erprobt. Es handelt sich nicht um einen Versuch, nein, es wird seit Jahren gelebt und erprobt und hat die Feuerprobe gar wohl bestanden. Und jene, die da mitgetan haben, sind wahrlich nicht in Kinderschuhen steckengeblieben, sondern gereifte — ich darf auch sagen: schönere Seelen geworden.

Da sehe ich Verschiedenen, die das lesen, im Gesicht an, daß auch in ihnen dieser Wunsch brennt nach der schönen Seele.

Nur Geduld! Nach berühmten Lehrmeistern des geistlichen Lebens geht im Innenleben nichts sprunghaft vor sich.

 

Zwei Klassen von Heilsbegierigen

möchte ich heute ins Auge fassen. Die einen sind schon ganz erfüllt von dem, was sie bisher erlebt haben. Diese schreiben, wie mich eine unbekannte Zuschrift lesen lässt:

 „Für mich ist das kleine Geheimnis die Quelle reinster Freuden geworden. Noch nie hat mir eine Übung so zugesagt wie diese Anleitung: Gott in allem lieben zu lernen.“

Ja, die Sprache des inneren Lebens! Wer das Atmen der Seele einmal kann!

Andere sehe ich das lesen und müde lächelnd aus der Hand legen mit dem Gedanken oder den Worten: „Ja früher!“ Oder: „Als ich noch ein Kind war! Aber das harte Leben hat mich allzu nüchtern gemacht und mir viel zu sehr zugesetzt. Und selbst wenn ich wollte: für uns vielgeprüfte, vielgeplagte, nervöse Menschen ist das nichts.“

Ist dem wirklich so?

Tiefsten Eindruck hinterlassen da folgende Zeilen: „Denken Sie sich ein Menschenkind, das gleich einem rauhen Kämpfer auf offenem Feld sich mit Mühe und Not allem, was kommt, erwehrt — stehe ich doch als Beamtin mitten unter an Leib und Seele schwer mitgenommenen Kriegsversehrten. Da kommt man mit der vertraulichen Sprache, einem herzlichen Plaudern mit dem Heiland nicht zurecht. Wäre ich ein liebes, kleines, wohlbehütetes Kind, das in absolut reiner Atmosphäre leben darf, mit einem von Gott erfüllten Herzen, welchem Beten und freiwilliges Opfern eine Lust ist, wie gerne möchte ich das kleine Geheimnis auch zu dem meinigen machen. So aber nagen an meinem Herzen Zweifel über Zweifel, die ich, das darf ich ehrlich sagen, seit Jahren tapfer unterdrücke. Dasselbe Herz ist noch dazu zutiefst verwundet durch den bitteren Stachel, der meinem Eintritt in die Welt anhaftet. Wenn Sie wüßten, wie ich darunter leide.“

Diese Seele leidet viel, weil sie auch noch unter der unbewußten Tyrannei von Familienangehörigen steht und die aufgezwungene Lüge über ihr Lebensgeheimnis mit durchs Leben schleppen muß. Da glaubt sie denn mit dem kleinen Geheimnis, „jenem süßen Geflüster“, wie sie es nennt, nichts anfangen zu können.

Und diese Stimme ist nicht vereinzelt! Es gibt noch mehr Schwergeprüfte, die nahe daran waren, innerlich zu zerbrechen und die Haltung der Liebe aufzugeben.

Für all diese sehe ich — den guten Willen vorausgesetzt — das Heilmittel in der richtigen Wahl des kleinen Geheimnisses. Für solche wettergebräunten, stark zerzausten Seelen paßt nur ein starkes, männliches Wort, das dem harten Kampfe angepaßt ist. Und ein solches heißt: „Heiland, Du weißt es!“ — „Du weißt es, was ich gelitten und durchgemacht habe und noch leide.“

Ein solch starkes Wort hat auch mir schon in manchen Lagen den einzig richtigen Weg gewiesen und — seine beseligende Wirkung in den niederschmetterndsten Augenblicken bewiesen. Wer’s schon erfahren hat, der weiß es.

Außer diesem starken Wort als kleines Geheimnis weiß ich noch einen stärkenden Gedanken:

„Gott weiß um mein Kämpfen, Ringen, Leiden, und Er hat mich für würdig befunden, Ihn dadurch zu verherrlichen.“

Wen Er mit willigem Herzen erfaßt hat, braucht keine Belehrung, sondern nur Vertiefung.

Wie im Frühjahr der Rauhreif gern die zarten Blüten zunichte macht, so kommen auch über die zarten Knospen und Ansätze eines schönen Innenlebens zuweilen heftige Stürme, die alles vernichten möchten, was man selbst durch eifrigste Arbeit aufgebaut hat. Wenn ich da an mein eigenes Seelenleben denke, so möchte ich fast zittern und bangen für andere, denen dergleichen nicht erspart bleibt — ja nicht einmal erspart bleiben kann. Eine gewisse Belastungsprobe muß sein, und der ganze Aufbau gliche einem Kartenhaus, das jeder Windhauch umblasen kann, wenn nicht eine Festigung und Verankerung da wäre. Eben da bewährt sich wieder jenes starke Wort, das — zum kleinen oder großen Geheimnis geworden — eine gewaltige Stärkung gibt, wenn die Stützen — scheinbar alle Stützen — zusammenbrechen; dann, wenn ein Hagelschlag, ein Gewitter uns niederwirft, ein Ereignis in uns alles zerschmettern möchte, so daß wir ob einer giftigen Verleumdung, einer ungerechten Anklage, einer unbegreiflich lieblosen Behandlung einfach nicht mehr reden können.

Und dieses starke Wort heißt wiederum: „Heiland, Du weißt es!"

Unter dem Druck und der Erschütterung schwerer seelischer Mißhandlungen entweder durch die Mitmenschen oder durch schwere Schicksalsschläge oder Anfechtungen des Teufels erlöschen meist alle lieblichen Sterne in uns. Fast möchte ich sagen, die Seele ist der bisher gewohnten — etwa neuen Sprache des inneren Lebens mit einem Male beraubt. Was uns zuvor seelisch so gehoben — jene Worte, jene Anmutung, jener Gedanke, der als liebster und schönster und begeisterndster wie ein lichter Stern am Firmament unserer Seele geglänzt hat — er ist wie ausgelöscht.

In solchen Lagen spricht die Seele nur eine Sprache, die Sprache vollster Ergebung: „Heiland, Du weißt es!“

Und darin liegt eine Summe von Liebe und Ergebung, von Hingabe und Aufopferung. Mit diesem starken Wort kehrt gleichsam die Sprache wieder zurück. Dieser mächtige Gedanke gibt nicht nur Kraft zum Ertragen, sondern sogar eine ganz eigentümliche — wunderbare Seelenruhe. Jene, die es erlebt haben, werden es wissen.

An diesem Wort gesunden jene starken Seelen, die kein Sturm knicken kann, die im tiefsten Innern gerade durch dieses: „Heiland, Du weißt es!“ tief innerlich, wo die Quellen des Lebens liegen, nicht aufgewühlt werden, sondern nach härtesten Prüfungen dann ungebeugt und ungebrochen sich hinknien.

 

Nun zu den Vielbeschäftigten:

Da höre ich sagen: „Das kleine Geheimnis ist sicher sehr gut für solche, die geistig nicht allzusehr angestrengt sind“ — aber: „Was sollen denn wir tun, die wir als Verkäuferinnen den ganzen Tag im Laden stehen und kaum zum Atmen kommen?“ „Wie können wir zurechtkommen, die wir fünf bis acht Stunden an der Schreibmaschine, im Büro, in der Bank, im Kolleg, in der Schule, in der Fabrik, im Haushalt tätig sind?“

Nur langsam! Auch für euch hat das kleine Geheimnis seinen Wert und bleibt in Kraft. Ihr wißt, ich will nicht das „Zwangsmäßige“. Und darum wiederhole ich: „Solange wir unsere eigenen Gedanken haben können“, oder sobald wir nach stark ablenkender Berufsarbeit uns selber wieder gehören, dann... Darum will ich euch die sechs bis acht Stunden gar nicht anrechnen als irgendwelche Nachlässigkeit. Ich sage nichts, wenn ihr in dieser Zeit kaum ein- oder zweimal das kleine Geheimnis fertig bringt. Aber am Morgen und am Abend und auf dem Weg vom und zum Büro, zur Arbeitsstätte, zur Schule, in den Pausen, da soll sich’s zeigen: wer zu den Seeleneifrigen gehören will.

Im übrigen können sich die „Vielbeschäftigten“ mit dem Gedanken trösten: „Heiland, Du weißt es.“

Und Er weiß es auch. Und Er gibt selbst an den arbeitsreichsten Tagen dann gerade am Abend eine solche Fülle von Liebesgedanken ins Herz hinein, daß wir unwillkürlich fühlen: unsere unverschuldete Beanspruchung tagsüber war uns nicht zum Schaden, sondern wird wieder aufgewogen durch des Heilands Liebe und durch unsere Gegenliebe.

Wer es schon erlebt hat, vergißt das nicht mehr.

 

Einige Erlebnisse:

1.  Man glaubt sich um viele Jahre in die Kinderzeit zurückversetzt, wenn man liest, wie ganz jugendliche Seelen es versuchen, dem heiligen Drang ihrer kindlichen Seele entsprechend, sich dem Heiland, dem Kinderfreund, zu nähern. Wie wir sehen, steckt Großes in den kleinen Seelen, wenn es geweckt wird. Manche Mütter würden sich freuen, schon solch feine Seelen unter ihrer Kinderschar zu haben. Doch sind’s nicht bloß Seelen, die von Haus aus ein köstliches, geistig-religiöses Erbgut mitbekamen. Vielfach und oft die Besten haben Mütter, die entweder glaubenslau oder glaubenskalt sind. Man sieht, der Heiland sucht sich seine Lieblinge aus allen Regionen, wenn er auch von den natürlichen Voraussetzungen nicht absieht.

„Öfters am Tag spreche ich mit dem Heiland; ich schenke mich Ihm ganz und teile mit Ihm alle Leiden und Schmerzen aus Liebe. Als kleines Geheimnis habe ich gewählt den Gedanken: ,Heiland, ich will Dir Freude machen.’ Wenn mich die Arbeit nicht freut — oder das Stillschweigen mir schwerfallen will oder die Versuchung in mir aufsteigt, stelle ich mir geschwind meinen lieben Heiland vor und frage mich: „Wie kann ich dem Heiland Freude machen? Wie würde es jetzt der Heiland machen, wenn Er an meiner Stelle wäre?“ Dann kommt mir wie von einer inneren Stimme eingegeben der Gedanke: Nicht nachgeben! Ich will es bekämpfen. Gott wird mir helfen. Das kleine Geheimnis will ich nicht nur beten, sondern meine großen und kleinen Fehler bekämpfen, um mehr und mehr dem Heiland ähnlich zu werden.“

Tiefes Verständnis verraten folgende Worte:

„Erst, als ich das kleine Geheimnis kennenlernte, kam mir das Bewußtsein, daß diese lieben Gedanken das Atmen der Seele bedeuten. Wie die Lunge Luft schöpft, so auch die Seele, dachte ich mir. Anfangs atmete die Seele sehr langsam und beschwerlich, da es auch mit manch schweren Opfern verbunden war. Aber es ging immer besser vorwärts. Mit dem kleinen Geheimnis geht alles viel leichter. Jetzt ist es mir sogar immer eine Erholung, wenn ich an das Liebste denke, was ich besitze.“

 

2.      Bei den Fortgeschrittenen tritt zunächst ein großes Verlangen auf, das die Seele nachhaltig beeinflusst.

„Dieses Vorwärtskommen im geistlichen Leben war mir ein großes Anliegen“ — vielen ist und bleibt es, Gott sei Dank, immer noch eine Herzensangelegenheit. „Mit einer wahren Heilsbegierde möchte ich lesen, wie es andere gemacht haben.“

„Mein Geheimnis liegt mir sehr am Herzen. Leider wechselt es noch recht viel in mir. Den einen Tang bring ich es oft fertig, dann wieder gar nicht. Hie und da komme ich ganz draus.“

„Wenn ich ,lange Atemzüge’ mache, ist es mir gar leicht ums Herz, kann dann auch viele Versuchungen dadurch brechen.“

Wer es weiß, was diese Seele schon durchgekämpft hat, der wird diesen seelischen Erfolg hoch einschätzen.

„Zu einer lieben Aufmerksamkeit des Heilandes rechne ich es, daß er mich aufs kleine Geheimnis aufmerksam gemacht hat. Anfangs ist es allerdings nicht so leicht gegangen. Doch später fühlte ich mich immer glücklicher, je öfter ich daran dachte. So oft ich diese Worte spreche, ist es mir, als würde der liebe Heiland in demselben Augenblick mein Herz immer mehr entzünden. Auch habe ich mir dadurch manche Fehler abgewöhnt; denn ich dachte: ,Will ich den Heiland lieben, so darf ich das nicht tun.’ — Das eiferte mich stark an, dem lieben Heiland recht viel Liebe zu beweisen in Wort und Tat.“

Ja, wer es versteht, das Heiligtum der jugendlichen Seelen zu entflammen! Da schrieb mir ein Seelsorger:

„Herr Pater! Meinen Kindern in der Schule habe ich davon erzählt, und es vergeht keine Stunde, in der ich nicht dazu ermuntert hätte. Oh, wie haben da bei einzelnen Kindern die Augen geleuchtet, wenn ich ihnen vom Geheimnis der Liebe erzählt habe! — Und das will ich Ihnen auch nicht verschweigen: Das gleiche hat auch mein Priesterleben anders gestaltet.“