IV.

Was war der Grund?

 

Die bisherige treue Übung

des kleinen Geheimnisses, des Herzensgebetes, wird manchen Seelen zeitweise gewiß große Seligkeit und Herzensfreude bereitet haben. Es läßt sich gar nicht leugnen, daß in den meisten eine gewisse Umwandlung eingetreten ist. Seitdem ist in manche ein Leuchten und ein Sichfreuen hineingekommen, wie sonst nicht beim schönsten Geschenk. Was war der Grund?

 

Die Seele ist aufgewacht! Sie atmet! Sie lebt!

Das hat man nicht gewußt, daß es so etwas auch gibt. Jetzt dämmert es allmählich, daß mit diesem Innenleben und Seelenatmen erst das Christentum anfängt, die Jüngerschaft Jesu erst beginnt. Wir stehen also immer noch am Anfang. Und das ist schon so herrlich! Wie wird’s weitergehen? Ja, Heiland, unsere Herzen und Hände glühen vor Verlangen: Wie wird’s weitergehen?

Ein oft gehörtes Heilandswort fangen wir an zu verstehen: „Das erste und größte Gebot im Gesetz ist dieses: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben, lieben aus deinem ganzen Herzen, aus deinem ganzen Gemüt, aus allen deinen Kräften“... Jetzt begreifen wir es ein wenig. Stundenlang könnten wir darüber nachdenken. Es kommt uns vor, als hätten wir Gott bisher wirklich nicht aus Herzensgrund geliebt.

Was wir früher für unmöglich gehalten hätten, jetzt ist es möglich geworden: Bei den verschiedensten Gelegenheiten ist — zu unserer großen Freude — das kleine Geheimnis uns eingefallen. Hatten wir doch eine Freude, z. B. auf einem einsamen Spaziergang bei der Betrachtung der Naturschönheiten, bei der Besichtigung einer schönen Kirche, eines herrlichen Kunstwerkes! Dann hat das kleine Geheimnis unsere Freude erhöht. Waren wir traurig, dann hat das kleine Geheimnis uns getröstet und alle Traurigkeit verscheucht. Mußten wir ein Opfer bringen — und das war manchmal gar nicht leicht und einfach —, dann hat das kleine Geheimnis es uns leicht gemacht. Waren wir allein bei unseren Gedanken und haben wir uns nur das gedacht, was dem Heiland Freude machte, dann war eine unaussprechliche Seligkeit im Herzen.

Nur Eines haben wir bedauert: daß vielleicht die Zahl des kleinen Geheimnisses sich nicht wunschgemäß erhöht hat. Sind deshalb manche etwa gar „Zahlenjäger“ geworden?

Ich spreche jetzt etwas Sonderbares aus — es klingt wie ein Widerspruch und ist’s doch nicht. Ich sage: Die großen Zahlen sind nichts, wenn die Seele Fortschritte macht; die Zahlen müssen wieder kleiner werden, aber — gehaltvoller und tiefer!