IX.

IMMER WIEDER NEUE SCHÖNHEITEN

 

Die gleiche Betrachtung wie vorhin

läßt sich nun auch öfter anstellen, und zwar jedesmal mit neuem Nutzen, neuem Erfolg, neuen Ausblicken. Es geht uns wie bei einer neuen Führung in einer Schatzkammer, einem Museum, wo uns selbst bei wiederholter Besichtigung, durch den Hinweis eines anderen Führers, manch neue Feinheiten erst zum Bewußtsein kommen.

Ich beginne also nochmals ganz so, wie das erstemal und komme bis zum Funken: aus (der Reibfläche) der Erwägung schöpft meine Seele abermals große innere Glut, große Anregung. Wiederum ist Liebe jener Funke, der in der Seele zündet. Aber dieses Mal ergibt sich ein neuer zündender Gedanke aus dem Herzen Jesu: „Ein großes Geheimnis der Liebe ist es — bedenk es —, daß du Mich verherrlichen darfst.“

Flamme: Heiland, was meinst Du damit? Ich darf Dich verherrlichen? Ich, das nichtswürdige Geschöpf, darf Dich, den großen Gott, verherrlichen? Oh, was ist das für eine frohe Botschaft für mich. Mein Leben bekommt einen ganz anderen Wert. Mein Leben bekommt eine ungeahnte Bedeutung, mein Leben wird dadurch ja ungeheuer wertvoll. Ich — darf — meinen Jesus — verherrlichen. —? Ja, wie denn? — Durch ein edles, — reines, — engelgleiches Leben.

Feuer: Wie schön, Heiland, wie schön! Ich kann es gar nicht fassen. So oft Du mir etwas von der schönen Seele sagst, verwundest Du mein Herz, weil ich noch nicht schön bin. Aber ich merke es aus Deiner Stimme heraus: Ich darf schön werden. Du hast ein heißes Verlangen, mich ganz schön, ganz rein, ganz makellos zu sehen. Du willst in mir wohnen.

Es durchweht mich ein so großes, großes Verlangen, Deinem Wunsche nachzukommen. Oh, wie unendlich schön muß das sein, wenn ich einmal nach meinem Tode zu Dir komme, und ich darf dann mit leuchtendem Antlitz sagen: „Heiland, ich hab Dich überall und in jedem Augenblick zu verherrlichen gesucht. Als ich auf der Welt wandelte, da hab ich mich bemüht, daß Du Dich in mir verherrlichen konntest.“

Oh, wie mich das so tief ergreift! Oh, diese heilige Aufgabe, diese herrliche Berufung, diese Liebe! Dieses Glück! Diese Freude! Diese Seligkeit!

Ich habe heute so schöne Blumen gesehen, so schöne Wiesen, so schöne Bäume, so schöne Wälder, so nette Tierlein. Alles so schön! Diese alle können Dich zwar verherrlichen, aber lieben können sie Dich nicht. Ich aber darf Dich lieben, ich darf Dich bewußt verherrlichen. Ich darf Dir ständig und durch jeden Atemzug und jeden Pulsschlag meine Liebe schenken. Das habe ich noch nie gewußt, dieses schöne, herrliche Geheimnis. Wenn die Blume zertreten wird, so weiß sie nicht, warum. Wenn das Tier leidet, so weiß es nicht, warum. — Aber wenn ich leide, so darf ich dabei lieben, ich weiß warum.

Oh, wie groß kommt mir da meine Aufgabe auf Erden vor! Wie groß kommt mir da mein Beruf auf Erden vor! Wie möchte ich allen, allen zurufen: Der Heiland hat ein großes Interesse an euch: Bitte, bitte, bereitet Ihm doch eine große Verherrlichung! Ja, soweit es auf mich ankommt, will ich Ihn verherrlichen; gleich heute. Wie kann ich das machen? Ja, ich kann Ihn verherrlichen, wenn ich nur das denke, nur das sage, nur das wünsche, was Ihm Freude macht. Ja, das will ich. Mein Partikulare heißt: „Schweigen und nicht aufbrausend reden.“

Ich kann den Heiland also verherrlichen, wenn ich nur das sage, was Ihm Freude macht. Wenn ich aber aufbrausend rede, so mache ich Ihm keine Freude. Gut. Ich richte mich darnach. Ich will ganz still sein. Bitte, Heiland, hilf mir dazu. Ich will nicht aufhören, Dich zu bitten, ich will nicht fortgehen, bis Du mir gewährt hast, daß ich Dich heute recht verherrlichen darf. Bitte, Heiland, schließ diesen Vorsatz in Dein heiligstes Herz ein. Bitte, reiß alles heraus aus meinem Herzen, was Dir nicht Freude macht! Ich will stillehalten. Mach mich so, daß ich Dich immer verherrlichen kann!

Heute hat die Mutter große Wäsche und wird vielleicht wieder recht verdrießlich sein. Ich weiß schon, da kann man ihr gar nichts recht machen. Aber gerade da will ich den Heiland recht verherrlichen. Da will ich zeigen, daß ich den Heiland lieb habe und aus Liebe zu ihm auch etwas fertigbringe.

Oder vielleicht kommt jene Frau, die ich gar nicht recht leiden kann, weil sie immer so viel schwätzt. Ich will das als ein Opfer annehmen und mich überwinden, will recht gut sein, will dabei den Heiland verherrlichen.

Bei meinem kleinen Geheimnis will ich immer daran denken: „Jesus, laß mich Dich verherrlichen“, oder: „Mein Jesus, laß mich eine schöne Seele werden.“

Wenn ich nach großen Vorbildern suche, brauche ich gar nicht weit zu gehen. In meiner nächsten Nähe — einige Häuser entfernt, wohnt solch eine feine, edle Seele. Wenn ich sie sehe, bin ich erfüllt von Ehrfurcht; denn ich meine, solche gibt es unter zehntausend nur eine. Wie sie betet! Wie sie zu dem Nächsten lieb ist! Durch und durch ein erhabenes Vorbild! Sie ist sicher eine kleine Auserwählte des Heilands, wenn nicht eine große. Ich will mich recht in der Nachahmung der Tugenden üben, die ich an ihr sehe: besonders . . . Ich pflücke mir das rosa Blümlein des demütigen Stillschweigens und das weiße Blümlein der Anspruchslosigkeit und die ganz rote Rose der ständigen Liebesverherrlichung meines Jesus.

Bitte, mein Heiland, gib mir die Gnade, ein demütiges, geduldiges, weltverborgenes, engelreines Leben zu führen, damit ich Dich immer verherrlichen kann und verherrlichen darf. Amen.

 

Man könnte über diesen Gegenstand

noch eine dritte Betrachtung halten. Der Funke könnte etwa auch in dem Gedanken bestehen, dem Herzen Jesu entnommen: „Ich habe ein großes Interesse an dir und wünsche, daß du auf Erden schon ein Engel wirst und wie ein Engel lebst.“ Oh, diese herrliche Aufgabe! Ein Engelsleben. Wie begeistert das die Seele! Welche Ehrfurcht geht da hervor für Leib und Seele!

Flamme und Feuer wie vorher und dann ein Loblied auf die unversehrte Reinheit, und der Vorsatz wäre: Ich will gegen mich und andere eine große, heilige Ehrfurcht haben. Will nur Reines denken und Reines sehen, Reines reden und vor dem Verderbnis dieser Welt mich bewahren: — eben ein Engelleben führen.

 

Als Probe einer Betrachtung

aus der Heiligen Schrift wollen wir uns wählen Matth. 24, 36 - 42 oder Mark. 13, 32 -37 und dabei einmal ganz persönliche Wege gehen:

Der Heiland sagt:

„Wie es in den Tagen des Noe war, so wird es bei der Ankunft des Menschensohnes sein. Denn wie sie es trieben in den Tagen der Flut — sie aßen und tranken, nahmen und gaben zur Ehe bis zu dem Tag, da Noe in die Arche ging; sie achteten es nicht, bis die Flut kam und alle hinwegraffte —, so wird es auch sein bei der Ankunft des Menschensohnes. Dann werden zwei auf dem Felde sein: einer wird aufgenommen, der andere zurückgelassen. Zwei mahlen an einer Mühle. Die eine wird angenommen, die andere zurückgelassen (verworfen).“ „So sehet euch denn vor! Wachet und betet!“

Hauptgedanke: Ich denke mir: Das ist aber merkwürdig und auffallend. Dies habe ich noch gar nie gehört. Zum Beispiel oben, wo es heißt: „Dann werden zwei auf dem Felde sein. Einer wird aufgenommen und einer wird zurückgelassen.“ Diese Worte hat der Heiland gesprochen.

Wie trifft doch das auch auf unsere Tage zu. Wie schnell sterben oft Menschen. Mein früherer Freund und ich saßen miteinander auf der Schulbank. Mich hat der Heiland an sich gezogen, mein Freund ist jetzt ein rechtes Weltkind. Was wird aus ihm werden? So können zwei nebeneinander hergehen. Wenn gleichzeitig beide sterben, so wird vielleicht der eine angenommen, der andere zurückgelassen, d. h. verworfen. Welcher? Deshalb sagt der Heiland: „Wachet!“ Wenn ich dieses Wort lese, so komme ich gar nicht darüber hinweg.

Funke: Mir ist es, als ob der Heiland dann immer sagen würde: „Franz, wache über dich selbst, achte auf dich selbst.“

Flamme: Ja, Heiland, Du hast recht. Ich muß noch viel wachsamer sein. Andere waren auch gut und sind dann doch gefallen — andere waren noch besser als ich und sind gefallen. Ich will wachen und beten.

Feuer: Wenn ich das so bedenke, ergreift mich fast ein Schrecken! Das wäre zum Weinen traurig! Nein, Heiland.

Bitte, bitte, laß doch das nie zu, nie. Reiß mir lieber mein Herz heraus. Aber das laß nie zu, daß ich schlecht werde.

Heiland, ich will demütig sein. Denn ich sehe keine andere Sicherheit in mir als die Demut und Verdemütigung. Ich will recht demütig sein und immer wachen. Bitte, Heiland, wache doch auch Du recht über mich, laß mich lieber jetzt sterben, wenn Du weißt, daß ich Dir nicht treu bleiben würde. Bitte, laß mich ganz tief demütig werden!

Jetzt erkenne ich auch, was es um die Gnade der Beharrlichkeit ist. Judas, einst auch einer Deiner Jünger — er ward ein Teufel. Heiland, gib nicht zu, daß mein Sinn durch Hochmut oder Stolz verblendet werde! Bitte, erhalte mich in der Demut! Schenk mir lieber Kreuz und Leiden, damit ich doch in der Demut und Ausdauer bewahrt bleibe! (Vorsätze.)

Ich will mich noch tiefer in der Demut befestigen; will die Verdemütigung lieben, will auf das Beispiel des Heilandes sehen. Der Heiland hat sich vor Pilatus schlagen und anspucken lassen. Wenn mich jemand heute schlagen und anspucken würde, ich hätte es ja verdient. Ich dürfte eigentlich gar nichts dagegen sagen, man fügte mir gar kein Unrecht zu. Heiland, es ist mir ein großer Schmerz, daß auch ich Dich beleidigen könnte, daß ich Dir untreu werden könnte. Das ist mir ein unsagbar großer Schmerz, aber Du gibst mir keine andere Sicherheit als durch Dein Wort: „Franz, sei wachsam!“ Ja, mein Heiland, ich will wachsam sein, wachen und beten. Will achten auf mich. Will demütig sein und durch Verdemütigungen und durch Demut kann ich Dich ja auch verherrlichen.

Bewahren Bewähren: Wenn heute meine Kameraden mich wieder ärgern, so will ich ruhig und ganz geduldig sein. Ich will alles ertragen um des Heilandes willen, damit mir der Heiland die Gnade der Standhaftigkeit und Beharrlichkeit bis ans Ende gibt . . . Ich will gerne manches aushalten aus Liebe zu meinem Jesus . . . Bitte, schenk mir wahre Demut und wahre Beharrlichkeit. Laß mich Dir nie untreu werden. Bitte, laß nicht zu, daß ich jemals von Dir getrennt werde. Amen.