VII.

EINE HERZENSSACHE

 

Mit heiligem Schauer treten wir ein

in die neue uns sich eben erschließende Schatzkammer und wollen uns mit der Betrachtungskunst selber befassen.

Wir wissen: nur das Betrachten macht uns die religiösen Wahrheiten zueigen. Wir haben ja auch von einem Gemälde, einer Statue, einem Gebäude, einer Gegend lange nicht den Eindruck, wenn wir es nur gesehen, als wenn wir das gleiche betrachtet haben (eingehend besichtigt) — mit Anregung, mit Aufmerksamkeit, mit Interesse, mit Wohlwollen, Freude, in allen Einzelheiten —, weil wir da erst der einzelnen Vorzüge bewußt werden.

Wie aber andrerseits zwei Menschen, die etwas betrachten (besichtigen), doch nicht den gleichen Genuß haben, nicht die gleiche Anziehungskraft in sich fühlen, weil der eine etwa als Kunstkritiker, als trockener Fachmann etwas besichtigt oder als abgelebter, blasierter Lebemensch eine reizende Gegend „besichtigt“, der andere aber als Kunstfreund sich kaum trennen kann von einem wundervoll gearbeiteten Kunstwerk, beim zwanzigsten Betrachten immer wieder in gehobener feierlicher Stimmung ist oder als weitgereister Mann von einem einfachen Gebirgstal — das andere fad, eintönig, langweilig finden — ganz bezaubert ist, so können wir sagen:

 

Betrachten ist weniger Verstandessache als vielmehr Herzenssache.

Wir geben gleich die praktische Anleitung: Als Einleitungsgebet kann man das Gebet: „O mein Gott...“. (siehe Ende Kapitel V.) nehmen.

 

Man lasse sich

durch diese nun folgende Anleitung, die zunächst etwas verwickelt erscheint, nicht abschrecken, sondern lese ruhig weiter. Selbst ganz einfache Seelen haben sich darin schon zurechtgefunden. Wer seine eigene Methode bereits hat, etwa die „ignatianische“, bleibe ruhig bei seiner ihm bekannten und vertrauten Methode. Vorliegende Methode gehört mehr selbsttätigen Seelen.

 

I. Teil:

 

Denken und reden (mit Gott).

1. Vorgedanke: „Ich will beten, will betrachten, will mich in die Gegenwart Gottes versetzen: „Herr lehre mich beten!“

2. Leitgedanke: „Ich will Christus mehr und mehr in mir sich entfalten lassen. (Sehnsucht, Gott näherzukommen. Das große, starke Verlangen.)

3. Hauptgedanke oder Erwägung. Man liest langsam und aufmerksam etwas aus einem religiösen Buch, das man betrachten will oder denkt über etwas Religiöses nach.

Was beschäftigt jetzt meinen Geist, wenn ich diese religiöse Wahrheit lese, erwäge?

Was geht mich dabei besonders an?

Was ist für mich in dieser Wahrheit... beachtenswert, beherzigenswert?

Was folgt daraus für mein Leben, meinen Beruf, meinen Charakter, mein Temperament?

Was war mit mir und in mir früher, was jetzt, was soll werden?

Was dringt besonders tief in mich ein? Was ergreift mich, packt mich?

Bei einem die Seele besonders anregenden Punkt verweilt man länger, läßt alle anderen Erwägungen beiseite und wendet sich, um zu glühen und zu hämmern, gleich zum II. Teil.

 

II. Teil

 

Bitten und beten.

1. Funke: Was würde der Heiland jetzt für eine Auffassung vertreten?

2. Flamme: Was sag ich Ihm? Das, was mich mächtig bewegt und ergreift. — Kurz, weil dies nur Übergang sein soll.

3. Feuer: Anmutungen und Bitten. Die Seele ergeht sich (in der ihr eigenen Sprache) in Anmutungen, die von selbst aus der Seele hervorquellen: Liebe, Dankbarkeit, Demut, Reue, Sühne, Vertrauen, Ehrfurcht, Verlangen, Hingabe, Aufopferung, Ergebung, Glaube, Hoffnung, Beschämung usw. — Bitte: „Heiland, mach mich auch so.“ — Recht viel, kindlich, herzlich bitten!

4. Vorsätze und Entschlüsse: Dabei braucht man nicht vielerlei Entschlüsse zu fassen, sondern man arbeitet — auch wenn es sich nicht direkt aus dem Betrachtungsstoff ergibt — auf den Vorsatz hin, den man am notwendigsten braucht: „Ich will gut werden, koste es, was es wolle. Ich gebe nicht mehr nach. Der Heiland wird mir schon helfen. Ich vertraue auf Ihn. Er ist ja mein Freund, kennt meine Nöte, weiß meine Wünsche. Auf jeden Fall will ich das Meinige tun. Ich kann zwar nicht erwarten, daß ich dies und jenes gleich fertigbringe, aber bitten will ich. Heiland, bitte...“

Gerade dem kindlichen Gebet verschließt sich der Heiland nicht, kann sich nicht verschließen. Das kindliche Gebet hat die größte Macht über das Herz Gottes!

 

III. Teil

 

Schaffen und schürfen.

1. Bewahren: Die Frucht dieser Betrachtung bewahren als praktischen Vorsatz für heute, für die nächsten Stunden. — Vorblick aufs Tagewerk: Was tritt in den nächsten Stunden an mich heran? Ich will mich rüsten, bereit halten. Ich will mein kleines Seelengeheimnis mit neuem, tiefem Inhalt füllen.

2. Bewähren: Ja, ich will (muß) mich bewähren (heute, in den nächsten Stunden) wie mein großes Vorbild. Man kann an Jesus, Maria, seine Lieblingsheiligen denken — Beispiele reißen hin! — oder auch an große, schöne Seelen, die man persönlich kennt, die einem schon viel fürs Seelenleben gegeben haben — die verborgenen Heiligen unserer Zeit.

3. Bewachen: Sorgfältiger Überwachungsdienst der „Burgtore“, wo die Seele so oft uns „durchwischt“: Augen, Ohren, Zunge, Sinne. Erneute verschärfte Überwachung der Gedanken, Worte, Wünsche, Neigungen, Blicke, Beweggründe für die Handlungen.

Bald schon hat man herausgebracht, was die vorherrschende Leidenschaft in uns ist und wie man ihr mit dem Partikular am wirksamsten beikommt.

Den Abschluß der Betrachtung bildet ein kurzes Schlußgebet, das die Seele sich selbst formt — also aus der Seele selbst mit Innigkeit und Wärme hervorströmt. Oder: ein ganz kurzer, öfter wiederholter kräftiger Schlussgedanke — ein starkes, nachhaltiges Aufatmen der Seele: „Jesus, sei Du meine Opferliebe!“ oder ähnliches.

 

Die Erfahrung lehrt,

daß alle, die das kleine Geheimnis in sich aufnehmen und Wurzel fassen lassen, weitgehend auf alle Systematik verzichten können. Diese haben sich daran gewöhnt, immer zu lieben und dadurch „Holz nachgelegt“, so daß das „Feuer“ eben nicht ausgeht. Wo aber Glut vorhanden ist, braucht man das Feuer nicht erst anzuzünden; da erübrigt sich jede Systematik. Während sie zu „Betrachten“ anfangen, stellt sich die Liebe ein und oftmals füllen sie die ganze Betrachtungszeit mit Liebesakten aus.