XIII.

ES KRISELT

 

Was das WortKrisis besagen will,

weiß jeder, der selbst schon schwer krank war oder einen Schwerkranken zu pflegen hatte.

Krisis ist ein Zeitpunkt, der eine gewisse Entscheidung herbeiführt, ein Wendepunkt zur Besserung oder Verschlechterung im Befinden. Krisis ist bei akuten Krankheiten ein Augenblick — mit Recht ein gefürchteter Augenblick —, der gewisse Erscheinungen zeitigt, an denen man eben die Krisis wieder erkennt; ein Augenblick, der — wenn auch um Stunden oder Tage hinausgeschoben — doch kommen muß, unfehlbar eintreten muß, weil der Kampf gegen den Tod, gegen die Todeskeime, gegen die Bazillen, gegen die drohende Zerstörung lebenswichtiger Organe nicht auf schiedlich-friedlichem Wege ausgetragen werden kann. Das Fieber — und das ist der sprechende Ausdruck für diesen Kampf — kennt bei akuten Fällen nur ein Entweder-Oder. Und das macht die Krisis so gefährlich, so gefürchtet.

Der Arzt steht am Bett des Schwerkranken, fühlt den Puls an der heißen Hand. Er macht ein besorgniserregendes Gesicht.

„Also heute ist der dritte Tag. — Hm. — Ja. — — Wenn bis Mitternacht Schweiß eintritt, wenn sich der Schleim löst, ist der Kranke gerettet. Außerdem wird’s nur noch eine Frage von 24 Stunden sein, ob er überhaupt noch lebt. —. Bis Mitternacht tritt die Krisis ein — in drei Stunden — machen Sie nochmals einen Wickel, ich mache noch eine Spritze mit Heilserum, dann lesen Sie alle Stunden das Fieber ab! In drei Stunden wird es den höchsten Stand erreicht haben, dann muß es rapid sinken, sonst ist nicht mehr zu helfen —.“

Nicht ohne Grund habe ich diese ausführliche Schilderung gegeben, weil im Innenleben, namentlich bei Neubekehrten und bei solchen, die von schwerem Laster genesen sind, Augenblicke eintreten, die mit obiger Schilderung eines Schwerkranken große Ähnlichkeit haben.

Aber auch unsere Durchschnittschristen, die tatsächlich einer Neubekehrung in jetziger Zeit bedürfen, auch die jüngeren Seelen, die erst anfangen, müssen darüber unterrichtet sein, sonst übersieht man die Krisis und macht Fiasko.

 

Nur besteht bei dem seelisch Kranken

gegenüber dem körperlich Kranken der eine tröstliche Unterschied, daß der seelisch Kranke oder sagen wir: der nicht Gesunde oder sich nicht gesund Fühlende öfter einen Aufschwung wenigstens probieren kann, weil die Seele — solange der Körper lebt — noch nicht der Gesundung, Besserung, Bekehrung entzogen ist.

Und hätte jemand auch dreimal schon seelisch gänzlich versagt, er könnte immer wieder einen Aufschwung versuchen. Praktisch freilich wird diese Aufschwungsmöglichkeit dadurch sehr beschränkt und begrenzt, weil die Kraft zu neuem Anfang immer schwächer, der Wille durch das seelische Fieber stark zermürbt, die Beharrlichkeitsgnade durch die Rückfälle — wenn es sich um Lasterhafte und um Gewohnheitssünder handelt — ständig aussichtloser wird.

Die gewöhnlichen Krisen bei den Neubekehrten aller Klassen und bei den ein innerliches Leben beginnenden Durchschnittschristen, sogar bei den einzelnen Strebsameren, sind folgende:

1. Krisis: Rasches Abflauen der ersten Begeisterung bei manchen Menschen. Verständnislosigkeit dafür, daß nicht immer Sonnenschein da sein kann, was für die Seele sogar nicht einmal gut wäre. Nach ein paar Tagen oder Wochen legt man die Übung beiseite. Mangel an genügender Willensanstrengung! Alle Lauen, alle nicht Idealgesinnten fallen bei dieser Krisis schon ab. Mit ihnen gibt sich weiter niemand ab, auch Gott nicht, um sie höher zu bringen. Diese wollen nicht.

2. Krisis: Nach der ersten Freude, dem ersten inneren Jubel der Bekehrung oder des neuen Weges zum Innenleben folgt der Rückschlag in Form neuer auftauchender Kämpfe. Während in der ersten Freude und Seligkeit die Anfechtungen, Begierden — etwa zu einem alten Laster — keine Nahrung fanden, weil der Heiland fühlbare Gnaden in Menge austeilte — jetzt, da sich die Kämpfe wieder melden — jetzt, da die Leidenschaft wieder anpocht und wieder wie ein ungezogenes Kind sich gebärdet — jetzt, da etwa der zügellos aufgewachsene Körper seine sündhaft angemaßten „Rechte“ verlangt, da verblaßt auf einmal das Bild des Heilandes in der Seele. Noch ist Er da. Es wird gekämpft, aber Er zieht sich zurück, weil die Treue erprobt werden muß. Die Süßigkeit schwindet, das Fieber setzt ein. Da heißt’s jetzt, „die Zähne aufeinanderbeißen“ und treu sein, sonst ist man schon bei dieser zweiten Krisis verloren.

3. Krisis: Schon tobt der Kampf tagelang. Man hat das Zähneaufeinanderbeißen gegenüber der Leidenschaft nicht vergessen. Aber während bei der zweiten Krisis nach und während des Kampfes sich auf Minuten und Augenblicke der Heiland der Seele gezeigt hat, wird’s jetzt förmlich Nacht. Eine verzweifelte Stimmung und Mutlosigkeit tritt ein. Nach den fühlbaren Freuden und einem dem Heiland „Sichnahefühlen“ kommt eine gewisse innere Leere. Man hascht, ja man ruft nach innerer (fühlbarer) Vereinigung. Und namentlich jenen Seelen, die immer zuviel mit dem Gefühl gearbeitet haben, denen geht es jetzt schlecht.

An die innere Gefühlswärme hat man sich gehängt, und diese fühlt man jetzt unter seinen Händen zerrinnen, ohne daß man etwas daran ändern kann. Man ruft den Heiland, aber Er hört nicht. Man bittet Ihn, und Er zeigt sich nicht. Man wird unwillig — schon sehr gefährlich!! —, und man hört nur gleichsam ein höhnisches Lachen des Satans. Man wird mutlos. Man spielt schon mit dem Gedanken, alles wieder aufzugeben — weil’s ja doch nichts hilft. Man hört schon wieder mit Freude auf die Lockrufe der Leidenschaft oder des gemächlichen Lebens. Man versuchte noch einmal mit allen Mitteln, wieder die frühere Süßigkeit in die Seele hineinzuzaubern, aber es will nicht gelingen.

Jetzt kommt der Umschwung — statt nun das Opfer der Entsagung zu bringen und bloß mit dem Willen ohne Gefühl, ohne Zuckerbrot zu arbeiten — droht man.

„Nun denn“ — sagt man sich — „wenn dem Heiland nichts an mir liegt, liegt mir auch nichts an meiner Bekehrung und Besserung oder an meinem Fortschritt.“

Der Heiland aber stand den Augen der Seele verborgen — hinter dem Vorhang — und hat’s gehört. Er war noch nicht fort, aber jetzt weiß Er, daß man ihn nicht mehr will. Wozu noch Angebote machen?

4. Krisis: Man hat lange gerungen, selige Tage und auch freudenschwächere Tage gehabt. Aber man hat sich getragen gefühlt von einer gewissen großen Gnadenkraft. Es ging alles leicht. Auf einmal tritt ein merkwürdiger Umschwung ein. Es wird grauer Alltag. Man will’s gar nicht glauben. Warum ist der Heiland fort? Kämpfe treten auf, alte Begierden regen sich, die Sünde hat sich erschreckend nahe gezeigt. Man hat nicht eingewilligt. Man hat nichts Böses gewollt. Man hat tapfer gekämpft. Aber warum trotzdem so dunkel? „Vielleicht doch nicht gut gekämpft“ — sagt man sich. „Vielleicht schon eine Sünde begangen“ — es kommt der nagende Zweifel. — Jetzt wird’s gefährlich, aber nur bei jenen, die kein Vertrauen haben.

 

Da heißt’s:

unbedingt aushalten, kämpfen wie ein Löwe, unbegrenztes Vertrauen haben, sonst wird das Fieber des nagenden Zweifels dieses gefährlichen Feindes des Innenlebens überhandnehmen.

Da heißt’s: Kämpfen und vertrauen wie ein Löwe.

Man muß wissen: Auch dieser Zustand, auch diese Krisis muß sein. Er gehört ebenso zur Reifezeit der Seele wie beim Apfel das Stadium, da er noch grün, herb und sauer ist. Und dieses Stadium liegt zwischen der herrlichen Blütezeit und der Zeit, da süße Früchte heranreifen. Also Zeit lassen und nicht verzagen!

Wer das nicht beachtet, bringt es bloß zu Blüten — aber nie zur reifen, süßen Frucht des gereiften Innenlebens.

Es werden bei vielen Seelen Blüten angesetzt, aber zur Reifung von Früchten kommt es nie.

Was weiß denn der, der nichts durchgemacht hat, der nicht auch die 4. Krisis zu spüren bekommen hat?

5. Krisis: Sie ist für manche — namentlich für solche, die sich so ziemlich immer frei von schwerer Sünde halten und keinen eigentlichen Kampf mit schweren Leidenschaften kennen —die einzige, aber auch entscheidende Krisis; die Krisis, an der keiner vorbeikommt.

Mit Absicht spreche ich erst jetzt über diesen Punkt. So ähnlich, wie man dem Lateinschüler erst in der zweiten Klasse die gefürchteten unregelmäßigen Verba zu schlucken gibt, nachdem er am Ende der ersten Klasse schon glaubte, ein tüchtiger Lateiner zu sein.

 

Bei jedem,

der sich ein wirksames kleines Geheimnis gewählt hat und darin vorwärts gekommen ist, muß einmal eine Zeit kommen — und das ist diese fünfte, bei manchen die erste und einzige Krisis —, wo ein unerklärlicher Ekel und Überdruß an dieser Übung einsetzt. Es geht so schwer. Keine Schwungkraft, keine Wärme, kein Feuer. Man traut sich’s kaum zu sagen, daß man Gott liebe. Man ändert es um in: „Ich möchte Dich lieben.“ Und auch das geht — vielleicht tage- und wochenlang — so unsagbar schwer.

Die Seele ist so müde, so müde! Da zeigt sich’s nun klar, ob das kleine Geheimnis bloß etwas „Angelerntes“, „Angeflogenes“, „Gefühlsmäßiges“ war oder in schwerem Kampf als Eigenbesitz errungen wird; ob man sich sein Geheimnis auch etwas kosten oder es wie eine überlebte Gebetsübung fallen läßt. Da zeigt sich’s, ob dein Geheimnis dir selbst etwas wert ist.

Alsdann bleib treu und bringe Opfer und werde nicht mutlos! In diesem Stadium — das, wie gesagt, ganz sicher über jeden einmal kommt (über manche vielleicht öfter — vor jeder neuen Stufe!) — da imponieren mir immer jene Seelen am meisten, die dann gar nicht klagen, sondern für selbstverständlich finden, daß nicht alle Tage Sonnenschein herrscht und Gott nicht jeden Tag Butter und Honig aufs Brot streicht, sondern auch trockenes Brot eine Zeitlang gibt. Und wir wissen, daß das Brot das eigentlich Nahrhafte ist.

Und warst du treu und hast du Opfer gebracht, dem Heiland vielleicht gar gedankt für diese Prüfung, für diese zarte Aufmerksamkeit zum Fortschritt deiner Seele, dann — oh, dieses selige „Dann“! Hunderte von innerlichen Seelen stehen auf und rufen: „Herr Pater! Lassen Sie mich weiter sprechen! Bitte! bitte!“

 

„Also, sprechen Sie ..

„Dann kam der Heiland wieder, besser gesagt, Er zeigte sich wieder, und ich fühlte in der Seele Seinen Atem, Seinen Puls, Seine Sprache, Seinen Blick auf mir ruhen — es war wieder unaussprechliche Seligkeit da. Mein Geheimnis war nun wieder die Sprache tiefster, bewußter Liebe. Mein ganzes Herz war wieder dabei. Alle meine Seelenkräfte sagten: ,Herr, ich bin zu allem bereit; nur gib mir die Gnade, daß ich Dich lieben darf in Leid und Freud’!“

„Die Tränen der Freude könnten erzählen, daß ich nach Tagen der Entbehrung doch wieder den Heiland fand. Wie freue ich mich, daß ich nicht verzagte. Nun bleibe ich erst recht ganz treu. Es erging mir so, wie es in dem schönen Gedicht heißt: ,Nun bist du mein! In stillen Seligkeiten lehn’ ich an deine Brust mein Pilgerhaupt’.“

„Seit ein paar Wochen habe ich mich schon ganz damit abgefunden, daß ich bei der heiligen Kommunion ganz trocken bin. Mein Geheimnis gibt mir — scheinbar — nichts mehr. Ich sage dem Heiland nur, daß ich bereit bin, in Entsagung das Kreuz weiterzutragen. — Heiland, Du weißt es! Darin liegt doch eine ungeheure Tragkraft. Die Tage schlichen so dahin, wie es eben jedem geht, der sich zu allem zwingen muß. Zwingen zum Gebet, zwingen zum Opfer, zwingen zum Stillsein, zwingen zum Schweigen, zum Hinunterschlucken. Doch da — abends — bei einer Besuchung — was ist das? Es strömt ein in die Seele. Es dämmert, es wird warm, es brennt, es leuchtet. Eine wundersame Andachtsglut durchdringt Seele und Leib. Fast ist es, als wollten die Schleier der Seele fallen, als käme die Sprache wieder und das erste Wort, das wieder mit ganz anderem, jubelndem Inhalt erfüllt ist, heißt: ,Heiland’. Seliger kann auch Zacharias nicht gestimmt gewesen sein, als er den Namen Johannes niederschreibend auf einmal die Sprache wiederfand und in seinem ,Benedictus Dominus — Gepriesen sei der Herr‘ den Hochgesang seiner Seele hinausjubelte.“

 

Was sich an einzelnen Seelen

in harter Prüfung so glänzend bewährt, das gibt auch unserem gläubigen Volk gewaltige Trostkraft an die Hand. Das ist der Gedanke: „Der Heiland ist da.“

Drum habt Vertrauen! Seid geradezu vermessen in diesem Vertrauen; denn der Heiland fordert Benigna Consolata selbst auf zu diesem grenzenlosen Vertrauen. Und tatsächlich kommt es mir vor, als läge eine himmelanstürmende Gewalt in den Worten: „Heiland, ich vertraue grenzenlos auf Dich!“

Allen, die diese Ausführungen lesen, möchte ich Zurufen: „Mut, meine Freunde! Laßt euch Zeit! Das innere Leben ist ja auch kein Kinderspiel.

Meine Freunde! Es ist wert, daß wir an der Seele und an den Seelen arbeiten. Es gilt ein Königreich zu erobern!

Das Königreich des Himmels aber leidet Gewalt!“