XXI.

ES GIBT EDLE FREUNDSCHAFTEN

 

„Laß mich dir sagen, wie ich Ihn kennenlernte. Ich hatte viel von Ihm gehört, aber ich beachtete es nicht“

 

Es gibt Beziehungen unter den Menschen,

die nach ihrer ganzen Art die Persönlichkeit ergänzen und vollenden. Zu den edelsten Beziehungen dieser Art gehört die Freundschaft.

Allerdings muß die Freundschaft in hohem Maß begleitet sein von Selbstzucht und Edelsinn, sonst könnte selbst dieses edle Geschenk der Güte Gottes ausarten. Die weisesten Menschenkenner legen oft unsagbar bittere Erfahrungen in ihren Erinnerungen nieder, so daß man meinen könnte: Selbst bei der Freundschaft unterliege man immer einem gewissen Betrug.

Gewiß, man findet selten, sehr selten wahrhaft edle Freundschaften ohne jede Eifersucht, ohne jede Verkleinerung. Es finden sich eben selten zwei ganz edle Menschen zusammen. Die Möglichkeiten einer tiefen, edlen, ausdauernden Freundschaft deswegen leugnen zu wollen, ginge zu weit.

Es gibt edle Freundschaften, und diese sind etwas überaus Wertvolles. In der Kleinschrift „Eine kleine Auserwählte“ ist das hinreichend beleuchtet.

Es gibt sehr innige und reine, dauerhafte und edle Freundschaften unter Männern, Frauen, Priestern, Ordensleuten, jungen Leuten, aber selten.

Es gibt auch seelisch begründete reine Freundschaften zwischen Seelenführer und Seelsorgskindern. So zwischen Franz von Sales und Franziska von Chantal. Aber es müssen sehr reine Menschen sein und die Sexualität darf dabei nicht hineinspielen.

Ganz selten sind menschliche Freundschaften etwas Dauerndes und Bleibendes. Welcher Freund bleibt dem andern das ganze Leben lang treu? Welche Freundin hat bis zum Lebensende eine dauernde Freundschaft? Und gerät gar jemand in Not, dann sieht man die Freunde und Freundinnen abfallen wie im Herbst die Blätter von den Bäumen.

Auf den ersten Blick erscheint es fast unfaßbar, um nicht zu sagen verwegen, im Nachstehenden von einer Freundschaft zwischen Christus und der Seele zu sprechen. Wir haben vom Gottmenschen einen viel zu hohen Begriff von Majestät, Anbetung, Gehorsam, Unterwerfung und allem, was ihm gebührt, als daß wir uns herausnähmen, Ihm etwa Freundschaft mit uns zuzumuten oder anzutragen.

Und doch — der Heiland selbst ermutigt uns. Das Geheimnis von Bethlehem gibt uns das Recht dazu. Der Heiland verlangt nach unserer Liebe und unserer Vertraulichkeit. Deswegen sollte der Anfang dieses Buches die Wege dazu schaffen, durchs kleine Geheimnis. Dieses sollte im zweiten Teil zum „Sprechen mit Gott“ werden. Im dritten soll die Seele neue Augen bekommen, um alles in ganz anderem Licht zu schauen, und jetzt, in diesem Teil, soll sogar die Freundschafts-Gesinnung angebahnt werden.

Menschenfreundschaften nehmen oft durch eine Kleinigkeit ihren Anfang. Man trifft sich, man leistet sich, unbekannt, einen Freundschaftsdienst, eine Gefälligkeit; man hat irgendwie beruflich oder außerberuflich zu tun damit: kurz, ganz kleine Fäden genügen, um eine länger dauernde Freundschaft zu begründen.

So kann auch seelisch irgendein Gedanke, ein Erlebnis, eine tiefe, innige Begegnung, eine Bekehrung, eine Lebensrettung, eine wunderbare Hilfe Anlaß zu einer größeren Annäherung dem Heiland gegenüber sein. Er sucht uns ja schon lange, aber wir lassen uns nicht finden. Nun endlich hat die Freundschaft angefangen.

 

Das Wesentliche einer Freundschaft

besteht darin, daß jeder sich dem andern vollständig opfert, sich rückhaltlos zu erkennen gibt und keine Maske aufsetzt. Diesen ersten Schritt hat wiederum der Heiland zuerst getan. Er hat sich geopfert — und zwar in ergreifender Art.

Wir haben bisher vielleicht einer Art Schubladenfrömmigkeit gehuldigt. Wir waren den Geboten gehorsam. Ja. Wir waren pflichteifrig. Ja. Wir haben gebetet, sogar betrachtet. Aber es war kein Reden mit Gott, kein freundschaftlicher Verkehr. Die Uhr lag daneben, um ja nicht über die festgesetzte Zeit hinauszukommen. Wir haben die Schublade wieder hineingestoßen und sind von dannen gezogen — mit einem armen Herzen.

Jetzt nach dieser neuen Erfahrung ist alles anders. Und nur der hat das kleine Geheimnis recht erfaßt, der es zum beherrschenden Lebensinhalt werden läßt — der mit dem kleinen Geheimnis unbedingt zum großen Geheimnis kommt: zur Freundschaft mit Christus.

Der Heiland gewinnt da allmählich Gestalt in uns. Er geht mit uns, neben uns. Er schaut uns zu bei unserer Arbeit. Er nimmt am Abend von uns Abschied und begrüßt uns am Morgen. Er läßt wohl unsern Leib ruhen, aber unser Herz wacht; denn Er weckt uns in der Nacht und möchte wieder von uns ein Freundschaftswort hören. Selbst in der Stille der Nacht möchte Er etwas hören vom „Lied ohne Worte“.

Wer hat in dieser Art schon sein „Geheimnis“ erlebt?

Wir haben die Tatsachen aus dem Leben Jesu kennengelernt, aber so ähnlich wie von Napoleon oder einem andern Mann der Weltgeschichte, der einmal lebte.

Jesus aber ist immer da, Er existiert, Er lebt unter uns.

Es wurden in allen Teilen der Erde Bücher und Artikel gegen Ihn geschrieben. Das ist ein Beweis, daß Er lebt und da ist. Man hat Ihn nach 2000 Jahren noch nicht töten können.

An vielen Kommunionbänken wird Er erwartet und empfangen. Jesus ist da. Aber wie schade, daß nur wenige eine direkte Freundschaft mit Ihm eingehen!

Und das möchte Er. — — Keine Höflichkeitsformeln, keine Paraden, bei denen auch Ungläubige mitgehen, sondern lebendige Herzen.

Als Gott weiß Er alles, was geschieht, was wir in jedem Augenblick tun. „Warum dann noch beten?“ sagen unwillig jene, die von Freundschaft mit Christus keine Vorstellung haben. „Wenn Er ohnehin schon weiß, was uns nottut, soll Er es uns eben geben und sich nicht erst lange bitte lassen.“'

Diese Leute haben keinen Begriff von Freundschaft. Jesus weiß das alles, so wie die Mutter auch die Bedürfnisse des Kindes kennt. Aber Er will, daß wir es Ihm sagen, daß wir mit Ihm reden. Er ist uns ja entgegengekommen und hat schon geredet. Darum wollte der zweite Teil in den strebsamen Seelen das vertrauliche Reden mit Gott anbahnen und das Sprechen mit Gott lehren.

 

Und wenn die Freundschaft mit Christus

wirksam zustande gekommen ist, dann werden auch in dieser Feundschaft Zeiten der Prüfungen nicht ausbleiben. Es kommen Augenblicke voll tiefer, überwältigender Seligkeit — Augenblicke voll seligen Betens, voll inniger Vereinigung — Augenblicke, wo unser ganzes Wesen von dieser Freundschaft durchdrungen ist und alles, alles dem Heiland geschenkt wird.

Es kommen auch Zeiten der Dürre und Trockenheit, selbst der Gottverlassenheit und dann — und dann —?

Wird unsere Freundschaft nicht erschüttert werden? Wird sie die Feuerprobe bestehen?

Wenn „Ja“, dann kommt es zu einer Freundschaft, bei der eine Enttäuschung auf die Dauer unmöglich ist. Diese Freundschaft ist aller Opfer wert, aller Verdemütigungen,  aller Schmähungen. Das läßt uns ein Wort des heiligen Paulus verstehen, das nur wenige begreifen: „Ich erachte alles für Unrat, damit ich dadurch Christus (= die Freundschaft mit Christus) gewinne“ (Phil. 3, 8).

Rhaban Liertz zitiert einmal eine Äußerung des Begründers der Seelenforschung: „Es gibt keinen Zufall im 3 seelischen Leben.“ Wie können wir erst recht sagen: „Es gibt keinen Zufall in der Freundschaft mit Christus.“ Wer tiefer in die unbekannte Wunderwelt hineingeschaut hat, dem sind alle Rätsel gelöst.

Alle Rätsel?? — „Mir war hienieden Elternliebe und Heimatglück versagt“, erzählte mir jemand. „Eine traurige Jugendzeit habe ich hinter mir. Ich war in fremde Hände gegeben. Infolge Trunksucht meines Pflegevaters hatte ich viel zu ertragen. Mit zwölf Jahre schon mußte ich hinaus ins Leben, großenteils in eine sittenlose Umgebung. Und doch blieb mir die Unschuld bewahrt. Von der Mutter — wenn ich sie so nennen darf — hatte ich viel harte Worte und Zurücksetzung erfahren. Das hat mich verbittert. „Einst“, muß ich sagen; denn jetzt ist alles anders geworden. Während ich früher schwer daran trug, betrachte ich es heute als Aufmerksamkeit des Heilandes. Täglich forsche ich nach dem verborgenen Brief — und ich habe ihn gefunden. Alle Freude und alles Leid nehme ich aus der Hand Gottes an: Er schickt mir alles zum Heil. Wider Erwarten hat mir Jesus drei große Wünsche erfüllt: 1. Die Besserung meiner Mutter, 2. die Aufnahme als Marienkind, 3. die Möglichkeit, täglich zu kommunizieren. — — Oh, welche Liebe hast Du, o Gott, zu mir?

Ich halte dankestrunken meine Hände gefaltet zum Gebet. Wie glücklich bin ich nun! Weiß ich doch jetzt, wie ich alles zu betrachten habe und niemand — niemand kann mir mein Glück rauben.“

Ist’s nicht seitdem vielen so ergangen?

 

„Oft fing ich an,
zu leben,
zu streben,
hab’s wieder aufgegeben.
Oft fing ich an.

 

Oft fing ich an,
mich zu bekriegen,
auch zu besiegen;
tat unterliegen.
Oft fing ich an.

 

Oft fing ich an.
Es war nur ein Träumen,
ein Zaudern und Säumen.
Jetzt will ich nicht säumen,
Jetzt fang ich an."