XXII.

GABEN UND GESCHENKE

 

„Er sandte mir täglich Gaben und Geschenke, aber niemals dankte ich es Ihm “

 

Ist es nicht wunderbar,

daß wir oft und oft Freundschaftsgeschenke vom Heiland empfangen? Wir merken sie gar nicht mehr. Wir beachten sie gar nicht.

Wir sind gesund und könnten auch krank sein, aber wir danken nicht dafür, haben nicht einmal eine Anwandlung von Dankbarkeit.

Wir haben unser tägliches Brot, könnten ebenso gut auch bitter arm sein; aber wir danken nicht dafür, haben nicht einmal einen Funken von Dankbarkeit.

Alle unsere Pläne haben sich erfüllt, ebenso hätten sie scheitern können; aber wir danken nicht dafür, haben kein Wort der Anerkennung.

Wir hätten sehr leicht vom Unglück heimgesucht werden können, indes, wir sind verschont geblieben. Wir dankten nicht dafür, glauben sogar, es müsse so sein.

Wir sind überhäuft worden von Aufmerksamkeiten der Vorsehung, bekamen alles, was unser Herz begehrte; von Dank aber keine Spur — im Gegenteil: wir waren auch noch unzufrieden.

Ich will gar nicht davon sprechen, daß manche „Pakete“ an uns kommen, in denen wir erst den verborgenen Brief suchen müssen. Der dritte Teil gibt darüber genügend Aufschluß.

Ich will niemand deswegen tadeln, der wegen dieses und jenes Vorkommnisses im ersten Augenblick niedergeschmettert, verärgert, verdrossen ist und erst eine Zeitlang braucht, sich zu fassen. Ich will niemandem einen Vorwurf machen, daß er über schlechte Behandlung, über Ungerechtigkeiten, Gemeinheiten anderer, Niederträchtigkeiten von Mitmenschen empört ist. Das alles kommt vor.

Ich will noch nicht einmal verlangen, daß nun jeder das alles ausnahmslos als Aufmerksamkeit der Vorsehung betrachte. Manches sind Zulassungen zu unserem Besten, manches sind verborgene Aufmerksamkeiten, wenn wir den Brief zu lesen verstehen. Aber wie viele danken dem überhaupt für jene Gaben, die der Heiland uns täglich gibt, die wirklich als Geschenke angesehen werden müssen!!

 

Mit den Augen des Glaubens gesehen:

„Wie viele Aufmerksamkeiten erhält man täglich vom lieben Heiland. Allein, wir nennen sie gewöhnlich Zufall Übel, Kreuz, Unglück...“

Wenn man sich jedoch tiefer in das Geschehene hineindenkt und nachsinnt, dann erkennt man, wie alles schon im voraus von ihm berechnet sein mußte. Der liebe Heiland hat es „überlegt“ und alles so geordnet, daß es meiner Seele zum Besten gereicht. —

Dächten wir immer daran und wären wir fest davon überzeugt, dann gäbe es für uns nie einen Zufall, nie ein Unglück — selbst das Kreuz wäre für uns kein Kreuz, mehr, sondern nur Liebe. Glück und Zufriedenheit würden unter den Menschenkindern wohnen in der jetzt so zerrütteten Welt. Wahrlich, es gäbe hier auf Erden ein „Stück Himmel.“

Wie lieblich nehmen sich die Beobachtungen aus, die manche inzwischen da gemacht haben.

„Selbst auf dem Stücklein Brot, dem Trunk Wasser kann man es lesen — wenn man Augen hat, zu sehen — wie gut Gott mit uns ist. Und wie weit der Heiland in Seiner Liebe, in Seinen Aufmerksamkeiten geht. Das muß man selbst erlebt haben, um sich ein Bild machen zu können.

In der vergangenen Woche dachte ich auf der Straße nach, daß, selbst wenn die Eltern alles für ihre Kinder tun, was diese erfreuen könnte, und ein Bräutigam seiner Braut gegenüber alles aufbietet, was er ihr von den Augen ablesen kann — sie aber selbst in all ihrer Liebe nicht so weit gehen können wie der Heiland, der einem gleichsam ganz und gar zu Diensten steht. Kaum, daß man in Gedanken den Wunsch hat aufkommen lassen — ist der Heiland schon bereit, ihn zu erfüllen.

Natürlich müssen unsere Wünsche auch den Absichten und Interessen des Heilandes entsprechen! Oft denkt man gar nicht mehr an das Gewünschte, wohl aber der Heiland. Und ist die Stunde gekommen, dann erweist Er der Seele diese Aufmerksamkeit. Da steigt es dann aus den Herzenstiefen auf: „Heiland, wie gut bist Du! — Ich danke Dir!“

 

Ja, es ist etwas Schönes,

etwas Herrliches um dieses Innenleben. Würde es doch mehr Menschen geben, die den guten Heiland verständen, Ihn lieben und Ihm dienen wollten. Und glücklich könnten sie werden. Doch leider sind sie es nicht. Ganz anders könnte es in der Welt aussehen, würde die Menschheit dort das Glück suchen, wo es in Wahrheit zu finden ist.“

„Er sandte mir täglich Gaben und Geschenke, aber erst jetzt erkenne ich es.“

1.  Als ich am Nachmittag ganz allein spazieren ging und eben — mit dem kleinen Geheimnis beschäftigt — eine steile Bergstraße hinanstieg, stand plötzlich — wie aus dem Boden gewachsen — der Heiland selbst vor mir. Er wurde nämlich von einem Priester zu einem Sterbenden gebracht. Ich war selig vor Freude und konnte diesen Nachmittag nur mehr an den Heiland denken und Worte des Dankes zu Ihm sprechen. Ich erkenne jetzt immer mehr, welch große Aufmerksamkeit des Heilandes es war, daß Er diese „dunkle Nacht“ über meine Seele hereinbrechen ließ; denn nie zuvor habe ich die Worte des sterbenden Erlösers: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen“ so tief erfaßt. Seither fühle ich mich zur Betrachtung des bitteren Leidens hingezogen und sage mit viel größerer Innigkeit: „Heiland, ich will Dir geopfert sein.“

2.  Es gehört mit zu den größten Wundern im Menschenleben, daß Menschen, ganz gegen die gewöhnliche Natur, über Unangenehmes, Widriges sich freuen. In manchen Seelen mag eine verwandte Saite mitklingen, wenn diese lesen:

„Selig, die Verfolgung leiden . . .“ So ging es mir. Ich behielt den Schmerz schweigend für mich. Nur muß ich ungewöhnlich bleich ausgesehen haben, weil meine Bekannten es mir sofort ansahen.

Der gute Heiland ist es wert, tausendfach wert, soviel für Ihn zu leiden, Er tröstet ja dann so gut. Man darf nur auf Seine Stimme hören. Ich bin trotz aller Leiden und Opfer so glücklich. Ich fühle mich den ganzen Tag gleich dem Lieblingsjünger an der Brust Jesu geborgen und an der Hand meiner himmlischen Mutter ist mir wohl. Könnte ich nur sagen, wie ich beide lieb habe.

Wenn ich auch die ganze Woche in keine Kirche kann, so mache ich geistigerweise meinen Besuch. Gelt, Hochwürden, das ist fein. Niemand merkt etwas, ich kann sehr schön meine Berufspflichten erfüllen, obwohl mein Herz und mein Sinn ganz beim Heiland sind. Mein einziger Wunsch auf Erden bleibt: Eine schöne Seele zu werden.

„Er sandte mir täglich Gaben und Geschenke und ich war erstaunt.“

„Der Heiland, mein Freund gab mir Gelegenheit, für ein armes, notleidendes Mütterlein Holz zu sammeln und diese mit einer arg großen Freude zu überraschen.

Durch Gottes Fügung konnte ich bei einer schwerkranken Frau schnell einem großen Unheil abhelfen.

Alle Knechte, die den Segen Gottes durch ihr Fluchen aus dem Haus vertrieben haben, sind durch Gottes Fügung fort, bin damit von einem großen Übel erlöst.

Ich wollte zum Passionsspiel fahren. Da habe ich die Leidensgeschichte Jesu betrachtet und war so von Mitleid gerührt, daß ich keine Lust mehr hatte, das Spiel weiter anzuschauen. In diesem Zustand des Mitleids begegnete mir ein ganz armer Student. Da kam mir plötzlich der Gedanke, diesem mein Geld zu schenken. Der hatte große Freude.

An einem heißen Sommernachmittag hatten wir viel Getreide zum Einfahren. Auf einmal stieg ein Gewitter auf. Schon fing es zu regnen an. Ich bat den lieben Heiland herzlich, Er möge dieses Gewitter doch so lange fernhalten, bis wir mit unserer Arbeit fertig seien. Und wirklich. Kaum waren wir mit dem letzten Erntewagen zu Hause, da prasselte der Regen in Strömen nieder. Nicht wahr, wie entgegenkommend hat sich der Heiland gezeigt!“

 

Nicht Erfundenes, sondern Erlebtes

lesen wir da, von einem einfachen Landkind. Wie beschämen doch solche die Großen und Weisen dieser Erde?

Nicht umsonst hat unser großer Freund zuerst die Hirten, die einfachen, schlichten Leute um seine Krippe versammelt.

„Er sandte mir täglich Gaben und Geschenke und ich dankte Ihm.“

Jesus allein weiß es, was so manche stille Opferseele im Kreis ihrer Familie für Eltern und Geschwister gebetet und gelitten hat: es waren Gegengeschenke für die Aufmerksamkeiten des Heilands.

Jesus allein weiß es: wie manche verborgene heilige Seele unserer Zeit sich für die Interessen Jesu förmlich hingeopfert hat am Krankenbett, im Beruf, im Eifer für die Rettung der Seelen: das waren Gegengeschenke für Seine Aufmerksamkeiten.

Nur wer die Sehnsucht kennt!

Andere könnten hinzufügen: Wir haben auch täglich Gaben und Geschenke empfangen. Jetzt sind wir dankbar dafür: Früher waren wir es nicht:

„Von meinem Zimmer aus habe ich den Ausblick zur Kirche. Sooft ich launenhaft und ungeduldig werden möchte, richtet sich mein Auge aufs Kreuz, das an der Kirche außen angebracht ist. Wenn mir in der Kirche Zerstreuungen kommen möchten, wird mein Blick wie mit magnetischer Kraft auf den Tabernakel hingezogen. Ich kann nicht an der Kirche Vorbeigehen, ohne den Heiland zu besuchen. Ich komme an kein Ende, wollte ich all die Aufmerksamkeiten aufzählen. Besonders herrlich kommt es mir vor, daß ich fast ständig an die Gegenwart des Heilandes denke. Wie viele Aufmerksamkeiten bringt ein einziger Tag! Wieviel Liebe! Der Gedanke an die übergroße Liebe, die „unser Freund“ uns entgegenbringt, löst die Sehnsucht in mir aus, Ihn recht lieben zu lernen. Früher habe ich fast mit Verständnislosigkeit davon gelesen, aber jetzt —! Sogar im Schlaf fällt mir mein Geheimnis ein, und in meinen Träumen spielt es eine große Rolle. Das ist so ein Jubel, gerade als ob die Seele ihre Flügel ausspannen würde und fortflöge.“

„Nun sind wir überzeugt: Wir nehmen die täglichen Gaben und Geschenke an als Freundschaftsgaben und — danken Ihm dafür.“