XXIV.

WIE HAT ER ALLES WOHL BESTELLT!

 

„Ich war heimatlos und elend, hungrig und stündlich in Gefahr; Er bot mir Obdach und Rast, Speise und sichere Hut; und noch immer war ich undankbar.“

 

Ein australischer Missionar erzählt:

In meinen Studienjahren habe ich es ernst genommen. Mein unablässiges Streben war, meine Seele rein zu halten. Es war mir Ehrensache, von den Exerzitien bis zu den nächstjährigen geistlichen Übungen frei von bewußten läßlichen Sünden zu bleiben.

Vielleicht beglückwünscht mich der eine oder andere dazu. Nicht so die liebevolle Vorsehung. Sie schaute mitleidig auf mich herab, und weil ich doch voll Verlangen war, spielte Sie mir ein Buch in die Hand, das mir ungeheuer viel gab, das Buch von Tissot: „Das innerliche Leben.“ Mein Ideal vom bloß sündenreinen Leben verflog wie Staub in alle Winde. Mein Ideal war, ein Missionar zu werden nach den Wünschen des göttlichen Meisters. Auch da wollte ich ein gutes Beispiel geben. Ich wollte tugendhaft werden um jeden Preis. Ich wollte unsterbliche Seelen retten, Heiden bekehren, alles opfern für das Heil der Seelen. War das nicht gut? Nach meinen früheren Ansichten war das gut, sehr gut. Nach meiner jetzigen Ansicht war das alles unvollkommen. Sünde war nicht dabei, aber Unvollkommenheit in allem. Gedankenlos setzte ich das eigene Ich an die erste Stelle, die Ehre Gottes erst an die zweite Stelle. Ich liebte mich in der Tat mehr als Gott, ich suchte erst mein Glück, dann Gottes Ehre.

Und das auch in fremden Landen, unter fremden Menschen, wo ich eigentlich nur Gott suchen wollte.

Jetzt bin ich dazu übergegangen, mich selbst grundsätzlich zu vergessen, und meine Standespflichten werden mit Ruhe und Treue erfüllt, um Jesus Freude zu machen.

Und der Erfolg? Das Gebet ist von Zerstreuungen fast frei. Die Tagesarbeiten werden mit mehr Ruhe erledigt; Mißerfolg stört kaum, der Haupterfolg: die Freude des Freundes ist ja gesichert. Das Ich, der Feind, ist vor die Türe gesetzt. Die Seele fragt oft den Herrn: Was macht Dir mehr Freude? Dies oder jenes? Das richtige innerliche mystische Leben erstarkt. Oft bei Gott, ohne Mühe, mit Liebe, mit Freude, ohne irgendeine Sorge, nur mit Wachsamkeit über das eigene Ich. Trockenheit und ähnliche Beschwerden durchschaut man; man lächelt und geht darüber hinweg. Wenn es ernst wird, dankt man Gott für Seine Hilfe. „So bietet Jesus Heimat, Obdach, Speise, Rast und sichere Hut.“

Von einem Heidenmissionar wundert es uns nicht, daß er die Freundschaft mit Christus anstrebte und erreicht hat. Aber daß auch ein einfacher Arbeiter die gleichen Bahnen geht, setzt uns sehr in Erstaunen. Und doch ist es so:

„In den Kriegsjahren bin ich erst dazu gekommen, dem Innenleben mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Durch Lesung der Bücher von Donders und Klug bin ich zu Wanderungen auf Höhenpfaden gekommen. Dr. Klug sagt einmal: „Wer von uns Erdenpilgern brauchte nicht wie einst Moses den Aufstieg zur Höhe, zur Höhe geistiger Einsamkeit und der Aussprache mit Gott?“ Dies war mir aus der Seele gesprochen; denn nach meiner Ansicht müßten alle nach Vollkommenheit strebenden Menschen hierin voll und ganz übereinstimmen. Mir wenigstens hat der liebe Gott ganz besondere Gnade zuteil werden lassen, indem mein Herz zuweilen mit übergroßer Seligkeit erfüllt ist, besonders bei gewissen Anlässen in der Kirche. Ich schreibe dies nicht meinen Verdiensten zu. Ich bin ja ein Sünder, wie wir alle.

Am Revolutionstag 1918 wurde mein ältester Sohn im Alter von etwa 18 Jahren in Holland zur letzten Ruhe bestattet, woselbst er im Kolleg der Franziskaner dem Studium oblag. Die Grippe hatte damals sechs oder sieben Schüler durch den Tod hinweggerafft. Wie ich später von verschiedenen Patres hörte, ging er ganz in seinem gesteckten Ziele auf, Missionar zu werden. Nach seinem Tode ging auch mein zweiter Sohn nach Holland, ins Kolleg nach Watersleyde.

Der vorhin erwähnte verstorbene älteste Sohn war mir selbst gewissermaßen ein Vorbild in der Frömmigkeit; ich hätte mich doch sonst für mich selbst schämen müssen. So glaube ich denn auch, daß ich an ihm einen Fürsprecher beim himmlischen Vater habe, sonst kann ich mir den Fortschritt in meinem Innern nicht erklären. Heute gibt es für mich keine größere Freude als das kirchliche Leben, speziell macht mir die Liturgie unserer Kirche besondere Freude, vor allem der Choralsang des Hochamtes. Ich bitte den lieben Gott immer nur um die Beharrlichkeit im Guten bis ans Ende, dann bin ich zufrieden. Die Freuden, die ich genieße, gäbe ich nicht her für alle Reichtümer der Erde.“

So schreibt ein Arbeiter! Er hat Obdach, Heimat, Rast, Freude und Seligkeit in der Freundschaft mit Jesus und seiner Kirche gefunden.

Benson nennt es einen Vorzug und eine große Verantwortlichkeit zugleich für die Katholiken, daß sie so viel von Jesus Christus wissen und gibt folgende Begründung: „Eine verständige Kenntnis der Person, der Eigenschaften und der Werke des menschgewordenen Gottes ist eine unendlich größere Weisheit als alle übrigen Wissenschaften zusammengenommen. Den Schöpfer zu kennen, ist etwas unbeschreiblich Erhabeneres, als die Kenntnis seiner Schöpfung zu besitzen. Und doch ist es auch eine Bürde; denn die Herrlichkeit dieses Wissens könnte so groß sein, daß sie uns blind macht für den Wert seiner Einzelheiten.

Katholiken sind daher mehr geneigt als alle anderen, gerade infolge ihrer Kenntnis der Mysterien des Glaubens, gerade weil sie Jesus Christus erfassen als ihren Gott, ihren Hohen-Priester, ihr Opferlamm, ihren Propheten und König — zu vergessen, daß Er mehr Freude daran hat, bei den Menschenkindern zu sein, als über die Seraphim zu herrschen — daß, während Seine Majestät Ihn auf dem Thron Seines Vaters zurückhielt, Seine Liebe ihn zur Pilgerfahrt hinabführte, damit Er Seine Diener zu Seinen Freunden umwandeln könne.

Fromme Seelen klagen zum Beispiel über ihre Vereinsamung auf Erden. Sie beten, sie empfangen eifrig die Sakramente, sie tun ihr Äußerstes, die christlichen Gebote zu erfüllen, und trotz alledem fühlen sie sich einsam. Es mangelt ihnen jegliches Verständnis für die großen Beweggründe der Menschwerdung, nämlich: daß Jesus unser Freund werden wollte.“

Er bot ihnen Obdach und Rast, Speise und sichere Hut; und immer noch waren sie undankbar. „Sie beten Christus an als Gott, sie genießen ihn in der Kommunion, sie waschen sich in Seinem kostbaren Blut, sie harren der Zeit, da sie Ihn als ihren Richter schauen werden, und doch — von dem innigsten Kennen Seines Wesens und von der wirklichen Gemeinschaft mit Ihm, in der die göttliche Freundschaft besteht, haben sie wenig oder nichts erfahren.

Sie verlangen, wie sie sagen, nach jemand, der ihnen zur Seite stehe und ihresgleichen sein kann — der nicht nur das Leiden hinwegnehmen, sondern selbst mit ihnen schweigend leiden kann — nach jemand, dem sie schweigend die Gedanken kund tun können, die unaussprechlich sind. Sie scheinen nicht zu verstehen, daß gerade dies die Stellung ist, die Jesus Christus einnehmen möchte, daß es das höchste Sehnen Seines heiligsten Herzens ist, eingelassen zu werden, nicht nur zu dem Thron unseres Herzens, sondern zu dem innersten, geheimsten Gemach der Seele, wo der Mensch ganz und gar mit sich allein ist.“

 

Wiederum eine merkwürdige Tatsache:

Die Welt ist groß und weit und schön. Das Weltall erst recht. Und doch verlangt Jesus, als unser Freund bei uns zu sein. Er will sich nicht so sehr als Majestät huldigen lassen als vielmehr in uns wohnen.

Wer tut Ihm auf und gibt Ihm Obdach?

An den Schluß dieses Kapitels möchte ich setzen, was mir und anderen in stillen Stunden die Herzenskammern aufgeschlossen und tiefe innerliche Freude hervorgerufen hat. Es stammt aus der Feder der Dichterin Anette von Droste-Hülshoff: „Wenn Er mir bleibt, was kann mir fehlen? / Wenn Er mich liebt, was kann mich quälen? / Wie hat Er alles wohl bestellt! / Wenn ich nur seinen Namen nenne, / Dann ist‘s / als ob das Herz mir brenne, / Im Lichte steht die ganze Welt,“