XXV.
„BITTE, MICH EINZULASSEN!“
„Zuletzt kam Er auf mich zu und bat mich mit Tränen in den Augen: Komm und verweile bei Mir.“
Es steht jemand draußen und klopft.
Du hörst es. Es klopft wieder. Du willst den Gast nicht hereinlassen. Es klopft dringender. Zugleich bittet eine Stimme draußen: „Bitte, mich einzulassen!“ Es ist vergebens, du hast es dir in den Kopf gesetzt, nun eben niemand, auch den Gast nicht, hereinzulassen. Er mag draußen tausendmal klopfen. Es wird nicht aufgemacht.
Ist es nicht so im Verhältnis zwischen dir und Jesus?
Er möchte bei dir einkehren, möchte durch dich wirken, gerade durch dich! Er möchte in dir Heilandsgedanken anregen, Apostolats-Ideen, Interesse fürs Reich Gottes. Vergeblich, du läßt Ihn nicht ein.
Er möchte deine Hände beleben, daß sie gleichsam Heilandshände werden, um Gutes zu tun. — Du wehrst ab.
Er möchte mit deinen Füßen aufs neue Heilandspfade gehen, Wohltaten spendend und Gutes wirkend. — Du weigerst dich.
Er möchte aus deinen Augen heraus in die Welt hineinschauen, nicht um Begierlichkeit zu wecken, sondern um für die Innerlichkeit Zeugnis zu geben. Du willst das nicht.
Er möchte in dir gleichsam aufs neue Gestalt annehmen, möchte dein Wesen durchdringen, erneuern, heiligen, mit göttlicher Kraft und nimmermüdem Eifer erfüllen. Du aber weisest Ihn ab wie die Bethlehemiten.
Er darf nicht in dein Haus. Er klopft — es ist umsonst.
Er klopft dringend — du kümmerst dich nicht.
Er möchte Einlaß — du verweigerst es Ihm.
„Zuletzt kam er auf dich zu und bat dich mit Tränen in den Augen: „Komm und verweile bei Mir.“
Er möchte hinein und kann und darf nicht, wenn du nicht freiwillig öffnest, weil Er deinen freien Willen nicht binden und unterdrücken will. Er möchte hinein und kann und darf nicht: Das nenne ich die göttliche Not.
Richard Wagner
hat in seinem Parsifalvorspiel (2. Teil) die Klage des Erlösers um das verwaiste und entweihte Heiligtum uns mit einer durch die gereifteste und ergreifendste Musik zu einem Erlebnis gesteigerter Ausdrucksfähigkeit menschlich näher gebracht.
Immer wieder taucht das Motiv auf: „Nehmet hin meinen Leib . . . Nehmet hin mein Blut . . . um unserer Liebe willen . . .“ In der ganzen Kunstwelt, zumal im Musikdrama tritt uns sonst nirgends die Meisterung dieses Themas gegenüber. Wagner scheint in künstlerischer Intuition die göttliche Not erfaßt zu haben. Die Ausspendung der Heilsgüter des heiligen Gral ist in die Hände des Gralskönigs Amfortas gelegt. Dieser aber, in Sünden gefallen — verwundet — weigert sich in gesteigerter Leidenschaftlichkeit, die Gralsgaben auszuteilen, weil die dadurch bedingte Verjüngung sein Leiden aufs neue vermehrt.
Der heilige Gral — das Allerheiligste — verödet. Das Heiligtum in schuldbefleckten Händen ... Ist das nicht — göttliche Not? Merkt es nicht auch sofort eine Gemeinde, wenn irgendwo ein heiliger Gralstabernakel verwaist, wenn die Ausspendung der heiligen Kommunion unterbleibt oder sich verringert?
Gibt es nicht auch Priester, die dem Amfortas gleichen? Werden da nicht durch Verödung der Gralsgaben die „schuldbefleckten Hände“ offenbar?
Und die Klage des Erlösers um das entweihte Heiligtum wird aufs neue laut.
Wenn der heilige Paulus von einer Ergänzung des Leidens Christi spricht, so dürfen wir auch in ganz katholischem Sinne die Grundtendenz und den Ausklang des Parsifaldramas herübernehmen: „Erlösung dem Erlöser“ in dem Sinne, als tatsächlich erst durch die Annahme seitens des sehnsüchtig gläubigen Menschenherzens der Heiland als Heiland, der Erlöser als Erlöser, beim einzelnen Menschen und im einzelnen praktischen Fall gleichsam auftreten kann.
Der Heiland kann keinen erlösen, wenn dieser nicht will.
Und daß es so viele gibt, die nicht wollen, das ist — die furchtbar laute Heilandsklage — vielleicht das Furchtbarste am Erlösungsdrama des Karfreitags.
Ob es sich nicht auch in der Gottverlassenheit widerspiegelt? Wer weiß es? . . .
Und daß es so viele gibt, die nicht dem Sehnen des Heilandes nach Vereinigung, nach ständig neuer „Erlösung“ der Menschenseele entsprechen wollen — die Kommunion nicht wollen — sich nicht erlösen lassen wollen! Das nenne ich die göttliche Not.
Wer das begreift, hat keine leeren Ausreden mehr gegen die öftere Kommunion. Wer das begreift, stillt des Heilandes sehnlichstes Verlangen. Wie müßte der Gedanke an des Heilandes Güte uns zum opferfreudigen, eucharistischen Streben aneifern!
Im weiteren Sinne
kann man auch unter dieser göttlichen Not den Einlaß der Gnaden und Einsprechungen verstehen:
„Die mich aufnehmen, denen gebe Ich Macht, Kinder Gottes zu werden.“ (nach dem Johannes-Evangelium).
1. „Es führte mich der Weg an einer Kirche vorbei. Da dachte ich mir: „Ich muß dem lieben Heiland einen Besuch machen.“ Und wunderbarerweise bekam ich auch den heiligen Segen dafür.
Ich hörte eine Predigt vom allerheiligsten Altarsakrament und diese begeisterte mich aufs neue zum Glauben an das hochwürdigste Gut.
Ganz unverhofft kam ich in eine heilige Messe, traf einen guten, strengen Beichtvater, der mich auf meine Fehler aufmerksam machte.
Durch Gottes Fügung konnte ich ein Unglück im Hause verhüten. Auch mir drohte ein Unglück, doch blieb ich ganz und gar verschont.
Bei feindseligen Menschen konnte ich Frieden stiften und durfte ein unerfahrenes Mädchen vom größten Unglück der Sünde abhalten!“
So der Bericht einer einfachen schlichten Seele, das die Freundschaft mit Christus besser erfaßt hat als der größte Philosoph, der umfangreiche Bücher schreibt.
2. „Jesus, mein Freund, kehrt oft bei mir ein. Ich liebe Ihn und schenke Ihm alles, was ich habe. Er liebt mich und ich rede mit Ihm recht herzlich, recht kindlich, recht vertraulich. Er hat mich auf die täglichen Freuden und Schönheiten unserer Freundschaft aufmerksam gemacht. Seitdem ich diese Aufmerksamkeiten erfaßt habe, ist mein Leben heller und freundlicher geworden. Ohne dieses Verständnis für die täglichen Aufmerksamkeiten wäre mein Leben eine Sklaverei. Das gibt mir Mut, und so hoffe ich, daß mich nichts mehr von Jesus trennt.“
Wer hat diese göttliche Not
schon einmal erfaßt? Wer arbeitet daran, sie zu mindern?
Es sind die Feuerseelen, die eucharistischen Seelen, die diese Not verstehen und ihr abhelfen wollen.
Erinnern wir uns wieder daran, daß der Heiland einmal sagt: „Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu bringen und was will ich anders, als daß es brenne.“
Wer mit Feuerseelen einmal zusammentraf, vergißt das nie wieder. Der Heiland wollte, daß solche Seelen leuchten und wärmen. Auch Feuerseelen haben ihre eigene Sprache und davon wollen wir recht viel in unser Herz hineindringen lassen.
„Vorabend des Herz-Jesu-Freitags: Ich mußte eine Einladung annehmen, die nicht gut zu umgehen war. Und so hab’ ich wieder ein Stück Welt gesehen. Nicht die Welt, die man so gerne entbehrt, hinter deren Glanz und Flitter öde Leere gähnt oder die Sünde — nein, eine Welt, die noch Ideale kennt —, und ich hab’ hineingelauscht in all diese Menschen, deren Seelenleben mir zum Teil bekannt ist. Manch Schönes, ja Wertvolles sah ich, wenn auch anders, so ganz anders, als das, was der eigenen Seele Licht und Wärme gibt, sie schön macht. Und in meiner Seele stand das Kreuz, an dem ich so schwer die letzte Zeit getragen und schon manches Mal hätte mutlos werden können — und Dornen sah ich, die mich verwundeten, wenn ich Rosen brach. Nur daran dachte ich, einen Augenblick — und das lachende Leben lockte — ich lauschte — es ist nicht alles tot dafür in meiner Seele. Einmal wollte ich es ja mit derselben Leidenschaftlichkeit genießen, mit der ich ihm dann entsagte.
Und manchmal noch möchte etwas in der Seele sich aufbäumen gegen dieses immerwährende „Gegen-den-Stromschwimmen“, diese ständige Überwindung. — Wohl erfüllte mich’s mit stiller Freude, unter allen Kolleginnen so unendlich Kostbares, unendlich Heiliges in mir tragen zu dürfen, und immer wieder jubelte die Seele auf: „Jesus! — Doch das eigene Herz — das kleine — warum muß es so oft der Seele Fessel bedeuten? — Voll Zwiespalt bin ich heimgegangen. —
Und am folgenden Morgen war Herz-Jesu-Freitag. — Da kniete ich zu Füßen der eucharistischen Liebe. Du weißt es, Heiland, daß der Seele Sonne sich nicht verdunkeln darf — all das, was das arme Herz immer wieder quält. Du weißt es, daß ich Dir freudig alles, alles gegeben, was ich nur konnte. Jetzt steh’ ich so arm vor Dir, o Du kennst all die Not, all das heiße Ringen der kleinen Seele — ich war so groß im Wollen. — Heiland, Du weißt, ich musste ja — mußte — schon um der tiefen Leidenschaftlichkeit willen, die in mir glüht, die Halbheiten haßt — die nur einen Weg kennt: ganz oder gar nicht! Jetzt sei barmherzig, hilf, daß dem Wollen das Können nicht gebricht. So rang die Seele in heißem Flehen vor der ewigen Liebe. — Und der Heiland sah so gütig mich an: „Glaubst du, Ich werde an Großmut mich übertreffen lassen?“
Oh, Er konnte ja mit einem einzigen Wort dem Sturm gebieten — und die leidenschaftliche kleine Seele — Er kennt sie ja so gut. Ein Wort nur und still war’s in ihr — ganz still. Und ich mußte lauschen, lauschen in diese Stille hinein. Ich wußte — jetzt waren Worte zu arm. Und doch betete ich — betete mit nie empfundener Glut. War’s doch, als müßte dieses stumme, wortlose Beten den Himmel in meine Seele zwingen. Und so bin ich zur heiligen Kommunion gegangen.
Nur eine Glut brennt in der Seele: „mein Geheimnis“. Und ein Sehnen brach daraus hervor, daß ich glaubte, das arme Herz könnte es nimmer ertragen. Fast versagten die Füße ihren Dienst vor innerer Erregung, als ich dem Heiland entgegenging. Und noch immer fand ich keine Worte, nicht einmal eine einzige Träne vermochte, wie so manches Mal sonst, dem übervollen Herzen Luft zu machen, in dem der Heiland Seine Wohnung nahm. Und einen Augenblick war’s, als falle der Schleier des Geheimnisses, als könnte die Seele, die kleine, es ganz erfassen, was sie durchglühte, und in namenlosem Jubel wollte das Herz Seinen Gott umfangen, da fühlte es wieder seine Ohnmacht — und schwieg.
Und leise sprach der Heiland zu mir: „Weißt du jetzt, Kind, was Freude, was Seligkeit, was Gnade ist? — Ahnst du, was kommen wird, wenn die Schleier fallen . . .? Was Gott denen bereitet, die Ihn lieben? . . . Das ist deines Heilandes Dank.“
Da barg ich das Gesicht an Seiner Brust. „Jesus“ — „Jesus“ und wieder „Jesus“ und nur „Jesus allein“ jubelte die Seele. Und alles sank so ganz in Nichts zusammen — ich wußte, daß nichts in der Welt diese Seligkeit aufwiegen kann.
Jetzt wußte ich, daß aller Freude und aller Schönheit — und allem Leid Eines so groß, so unsagbar groß, gegenübersteht: „Jesus.“
„Und weißt du auch“, sprach der Heiland zu mir, „warum all dein Leid? Warum dein Kreuz oft gar so schwer ist? — Weil dein Herz sonst die Seligkeit meiner Freude nicht mehr ertragen könnte.“ —
Und stille bat ich wieder: „O nimm mich mit nach Golgatha! Gib mir Dein Kreuz, Deine Krone! Du allein — Heiland — genügst mir.“