XXVII.

JA! EINST UND JETZT!

 

„Niemals erinnert Er mich an meine vorige Undankbarkeit und wirft mir nie meine früheren Torheiten, Sünden und Laster vor.“

 

Gegen Neubekehrte,

die sich von ganzem Herzen zu Gott hinwenden, ist der Heiland von einer wunderbaren Erbarmung. Er ist gegen diese so nobel, daß Er sie überschüttet mit Gnadenerweisen. Seine Freundschaft geht so weit, daß Er sie nicht einmal mehr erinnert an ihre früheren Sünden und Torheiten. Alle jene, die eine Bekehrung gleich Maria Magdalena durchgemacht haben, können es bestätigen. Diese mußten weitaus mehr weinen darüber, daß nach diesen Sünden und dieser Vergangenheit Jesus noch so unsagbar gut ist und diese Güte durch einen guten Priester zum Ausdruck kommt, als über die begangenen Sünden. Der Beweggrund der Liebe ist also weit stärker als jener der Furcht.

Was ich da aus dem Herzen Jesu herausgelesen, scheint mir in vollem Umfang Benigna Consolata in ihrer „Geistlichen Blütenlese“ zu bestätigen. Der Heiland sagt da:

„Du kannst es nicht glauben, welch eine Freude Ich empfinde, wenn Ich Mich als Heiland betätigen kann. Darin finde Ich meine größte Befriedigung: Ich stelle die schönsten Meisterwerke aus jenen Seelen her, die Ich aus dem tiefsten Elend und aus dem Schmutz herausgezogen habe. Sobald die Sünden verziehen sind, werden sie für die Seele, die sie begangen hat, ebenso viele Quellen der Gnade, weil sie ein steter Anlaß zur Demut sind.“

„Die Menschen haben einen viel zu kleinen Begriff von der Güte Gottes, von Seiner Barmherzigkeit, von Seiner Liebe zu Seinen Geschöpfen. Sie bemessen Gott nach den Geschöpfen, und doch ist Gott unbegrenzt und deshalb ist auch Seine Liebe ohne Grenzen. Ach, welche Torheit! Gott genießen, Ihn gleichsam ausnützen können und es nicht tun! . . . Und warum tut man es nicht? Weil man Gott in der Welt nicht kennt. Ich bin ein unendlicher Schatz, den Mein Vater allen zur Verfügung gestellt hat. Meine Geschöpfe weisen Mich zurück: doch welch einen Schaden sie sich dadurch zufügen, werden sie erst in der Ewigkeit sehen.“

„Ich werde nicht müde, Armselige aufzusuchen, wenn Ich nur guten Willen vorfinde. Wo guter Wille ist, da kann Ich wirken. Meine Liebe geht ja darauf aus, all dieses Elend zu verzehren, und je mehr eine Seele davon aufweist, aber demütig und zerknirscht dabei ist, um so mehr Freude bereitet sie Mir, weil sie Mir mehr Gelegenheit gibt, meine Sendung als Heiland auszuüben.

„Doch was ich dir besonders sagen will, o Benigna, fasse ich kurz in folgende Worte zusammen: Die Seele soll niemals Angst vor Gott haben, denn Gott ist stets bereit, ihr Barmherzigkeit zu erweisen, und die größte Freude für das Herz Deines Heilandes besteht darin, dem ewigen Vater eine möglichst große Zahl von Sündern zuführen zu können. Sie sind mein Ruhm und meine Kleinodien! O Benigna! Ich liebe sie so sehr, die armen Sünder! Höre meine Braut und schreibe: Willst du mir eine große Freude bereiten, so glaube an Meine Liebe. Willst du mir größere Freude bereiten, so glaube noch mehr daran. Die allergrößte Freude aber bereitest du Mir, wenn du diesem Glauben an Meine Liebe keine Schranken setzest.“

„Das ganze Geheimnis der Heiligkeit ist in diesen zwei Worten enthalten: Mißtraue und vertraue! Mißtraue stets dir selbst, aber bleibe dabei nicht stehen, sondern erhebe dich sofort zum Vertrauen auf Deinen Gott; denn wenn ich mit allen gut bin, so bin ich die Güte selbst mit den Seelen, die auf Mich vertrauen. Die vertrauensvollen Seelen sind die Räuberinnen meiner Gnaden. Schreibe also, daß eine vertrauensvolle Seele Mir einen unbeschreiblichen Hochgenuß bereitet.“

„Schreibe, o Benigna, Apostel meiner Barmherzigkeit, daß Ich vor allem wünsche, ein jeder möge wissen, daß Ich ganz Liebe bin und daß es Meinem Herzen die größte Pein verursacht, wenn man an Meiner Güte zweifelt. Mein Herz hat nicht nur Mitleid mit einem Sünder, es freut sich im Gegenteil, je mehr es wieder gutzumachen gibt, wenn nur kein böser Wille vorhanden ist . . . Wenn du wüßtest, wie gerne Ich eine Seele umgestalte, auch wenn sie voll Elend wäre, wenn sie mich nur wirken ließe! Die Liebe braucht nur Eines, daß ihr kein Widerstand entgegengesetzt wird, und oft verlange ich von einer Seele, aus der Ich eine Heilige machen will, nichts anderes, als daß sie Mich schalten und walten läßt . . . Die Unvollkommenheiten, die eine Seele hat, mißfallen mir nicht, solange die Seele sie nicht liebt. Sie rühren mein Herz nur zum Mitleid. Ich liebe die Seelen so sehr! . . . Die Unvollkommenheiten müssen für eine Seele gleichsam Leitersprossen sein, auf denen sie sich zu Gott erhebt, vermittelst der Demut, des Vertrauens und der Liebe. Ich lasse Mich herab zu der Seele, die sich verdemütigt und suche sie auf in ihrem Nichts, um sie mit Mir zu vereinigen.“

 

Wir können nur staunen

über eine so großartige Freundesliebe Jesu.

Alle Freundschaften dieser Welt sinken dieser Freundschaft gegenüber auf den Nullpunkt herab. Der Heiland ist bereit, selbst solchen, die lange, lange auf sich warten ließen, keinen harten Vorwurf zu machen, sondern Er wirkt noch mit aller Macht Seiner Liebe auf sie ein, sobald sie die Türe ihres Herzens öffnen.

 

„Der Heiland erinnert mich nicht an meine früheren Torheiten und dummen Anschauungen “

 

„Im stillen bemitleidete ich früher die Klosterfrauen und die zurückgezogen lebenden Seelen und dachte: ,Was haben diese von ihrem Leben?’ Ich glaubte, das Frommsein erfordere, daß man immer mit wehleidigem Gesicht und zu Boden geschlagenen Augen umhergehe wie ein kranker Vogel. Lachen und Lustigsein gäb’s gar nicht. Ich meinte: Tanz und Flirt und Sport wäre das Allerschönste. Ich habe es auch probiert: Tanzen, Radeln, Rodeln, Turnen, Schwimmen . . . Nichts hat mich befriedigt, am wenigsten die sogenannte ,Liebe’. Es war ein beständiges Suchen, nie ein volles Zufriedensein, kein ganzes Glück. Immer zu wenig.

Nun ist es anders. Ich habe ein Herz gefunden, das in unendlicher Liebe glüht. Jetzt kann ich nimmer sagen: ,Ich gebe Dir mehr als Du mir bietest’ Da nehme ich in ehrfürchtigem Staunen und mit tiefster Dankbarkeit täglich zahllose Liebesbeweise entgegen und schäme mich meiner früheren Unvernünftigkeit und Dummheit. Die häufige Frage des Heilandes: ,Hast du Mich auch lieb?‘ ist mir nicht mehr lästig. Ich habe darauf als Antwort die Bitte: ,Mein Gott und Herr, hilf, daß ich Dich von ganzem Herzen liebe.’ Das ist mein tägliches, herrliches Glück: das Glück des inneren Lebens.“

Diese Neubekehrte wird ihn wohl kennen, den Unterschied zwischen einst und jetzt.

 

Ja! Einst und jetzt!

 

Ein sehr eifriger Priester hat manchmal noch tief erschüttert von seiner Jugendzeit erzählt. Man hat dabei immer eine stille Trauer herausgehört. „Wenn er es ungeschehen machen könnte — die leichtsinnigen Jahre seiner humanistischen und akademischen Studienjahre als Stadtstudent!“ Trotzdem hat er sich keiner müßigen Trauer hingegeben und sich in seiner Schaffensfreude nicht beeinträchtigen lassen. Die Seelsorgsfreuden, die er später erlebte, waren ihm das beste Zeugnis dafür, daß der Heiland ihn nicht mehr an seine frühere Undankbarkeit erinnerte und ihm nicht mehr seine früheren Torheiten vorgeworfen hat.

So sind Freundschaft und Dankbarkeit durch Noblesse der Gesinnung innig miteinander verbunden.