Kapitel 11
Kleiner Funke im Anfang – brennende Kirche zum Ende
Heute hören wir den hl. Laurentius als nüchtern-objektiven Beobachter der Geschichte. Gestützt auf Fakten, authentische Worte Luthers sowie glaubwürdige Zeugnisse von Zeitgenossen beurteilt er sachlich die Person Martin Luthers, und wie es konkret zum Abfall von der katholischen Kirche kam. Dabei scheut er sich nicht, die unglückliche Entscheidung eines Kardinals sowie tatsächliche Missbräuche im Ablasswesen zu erwähnen. Hören wir aus der „Darstellung des Luthertums“ des hl. Kirchenlehrers Laurentius von Brindisi:
„Wir haben gezeigt, dass Luther ohne göttliche Berufung sich leichtfertig und fälschlich angemaßt hat, das neue Evangelium zu predigen – nach Art der Pseudopropheten –, [und] es ist uns zugekommen, ihn öffentlich als Häretiker zu erklären. [Jetzt] zeigen wir gemäß der historischen Wahrheit, wie Luther, zunächst dem Papst ganz[1] ergeben, sich zu einem derartig feindseligen Gegner der katholischen Kirche entwickeln konnte. Schauen wir, welche Dinge ihm Grund oder Anlass geworden sind, die katholische Religion zu verlassen und die Treue zu den Vorvätern aufzugeben. [Schauen wir, wie] aus dem herausragenden Mönch und Theologen nicht bloß ein Irrlehrer geworden ist, sondern der herausragendste Erzhäretiker.[2]
[Über] die Ursachen der Irrlehren und die Ursprünge der Irrlehrer … möchte ich nur sagen, [was] Paulus im ersten Brief an Timotheus prophezeit: Der Geist sagt ausdrücklich, dass in späteren Zeiten manche vom Glauben abfallen werden, indem sie irreführenden Geistern und Lehren der Dämonen Gehör geben (1 Tim 4,1). Im zweiten [Brief an Timotheus] scheint er die Gründe anzudeuten: Es werden Menschen sein, die selbstsüchtig, habsüchtig, prahlerisch, hochmütig…, das Vergnügen mehr liebend als Gott, die zwar den äußeren Schein der Frömmigkeit an sich tragen, die Kraft derselben aber verleugnen (2 Tim 3,1f.4f.).
Vierfach scheint Paulus zu bezeichnen, was die Anfänge der Irrlehren sind. Erstens die [ungeordnete] Eigenliebe. Diese ist nämlich eine Wurzel aller Laster, [weil] sie die Liebe zu Gott und jegliche Reinheit der Seele und des Gewissens missachtet.
Als zweite Ursache gibt [Paulus] den Hochmut an, [da] er [über die Irrlehrer] sagt, [dass] sie Gesetzeslehrer sein wollten, ohne zu verstehen, was sie reden, noch worüber sie Behauptungen aufstellen (1 Tim 1,7). Und am Ende des Briefes: O Timotheus, bewahre das anvertraute Gut, indem du die verwerflichen Neuerungen im Reden und die Gegensätze der fälschlich so genannten Wissenschaft meidest, zu welcher einige sich bekannt haben und so vom Glauben abgeirrt sind (1 Tim 6,20f.).
Die dritte Ursache ist die Habgier. Dazu er sagt: Die Irrlehrer werden habsüchtig sein, auf Griechisch: das Geld Liebende. Denn die Habsucht ist eine Wurzel aller Übel. Einige, die sich ihr ergaben, sind vom Glauben abgeirrt und haben sich in viele Schmerzen verstrickt (1 Tim 6,9f.).
Die vierte Ursache ist die Liebe zur Sinnenlust.[3] Paulus mahnt die Römer, sich von denen abzuwenden, die Spaltungen und Ärgernisse verursachen entgegen der Lehre, weil solche Menschen Christus nicht dienen, sondern ihrem Bauch (Röm 16,17f.).
[Wenn wir] jetzt Luther betrachten, so bezeugen viele integre Zeitgenossen Luthers, [wie z.B.] Johannes Cochläus und Wilhelm Lindanus, denen der Glaube das Teuerste war, in ihren Schriften, die erste Ursache oder der Anlass für seine Trennung vom Glauben der Kirche sei die Habgier gewesen.
Als nämlich Papst Leo X. den vollkommenen Nachlass der Sünden allen Christgläubigen bekannt gemacht hatte, [da] vertraute er die Aufgabe der Veröffentlichung der Ablässe für Deutschland Albrecht Kardinal von Brandenburg an, dem Erzbischof von Mainz. [Der Ablass galt allen Gläubigen], die mit frommer Andacht, nach Gebet und Empfang der Sakramente, für den Aufbau von St. Peter eine Geldunterstützung gestiftet haben.
Diese[n Ablass] dem Volke vorzulegen und zu empfehlen waren aber [unter dem Vorgängerpapst] die Augustiner gewohnt, und sie gaben sich darin redliche Mühe, wofür Cochläus Zeuge ist. Sie mühten sich nicht nur mit großem Eifer zu predigen, [sondern] sogar Bücher zu veröffentlichen, die sie himmlische Fundgruben der Vergebung nannten.[4] Der Mainzer [Erzbischof] aber übergab diese Aufgaben der Ablasspredigt den Dominikanern. Johannes Tetzel, einen dominikanischen Theologen, beauftragte er mit diesem Amt, auf dass er der Prediger der Ablässe und Apostolischer Kommissar wäre.
Durch diese Maßnahme schlecht behandelt, erlitten die Augustiner bitteres Unrecht. Von daher ist eine nicht geringe Eifersucht zwischen Augustinern und Dominikanern entstanden, am meisten zwischen Luther und Tetzel. Luther nämlich, als ordentlicher Lehrer der Theologie von Wittenberg, von fruchtbarer Begabung [und] entzündlichem Naturell, war nicht geneigt das Unrecht zu erdulden. Um die Ungerechtigkeit gegenüber seinem Orden zu rächen, begann er gegen die Ablässe zu predigen und sie während des Predigens öffentlich zu bekämpfen. Anfangs galt sein heftiger Kampf noch mehr dem Missbrauch der Ablässe als ihrem legitimen Gebrauch.
In die Veröffentlichung von Ablässen mischen sich leicht nicht wenige Missbräuche, da viele das Ihrige suchen, nicht das, was Jesu Christi ist (Phil 2,21). [Deshalb] ergriff der im Gemüte völlig aufgebrachte Luther die Gelegenheit und begann, auf die maßlosen und schäbigen Ausposauner[5] der Ablässe loszugehen. Sehr bald veröffentlichte er die 95 Thesen, in denen er [nun sogar] die Lehrmeinung der Kirche über die Ablässe angriff.
Tetzel aber, auch ein Mann von scharfem Geist, sah die ungestüme Frechheit Luthers [und suchte] Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Er gab 106 Thesen heraus, die denen Luthers diametral entgegen waren. So war dieser allseitig bezeugte Streit der erste Keim jenes großen Übels für die christliche Welt. Aus diesem Funken der Zwistigkeiten ist [jener] gewaltige und schreckliche Brand hervorgegangen, durch den ein so großer Teil der Christenheit in hellen Flammen aufging.
(aus: Laurentius von Brindisi, Opera omnia, Vol. II Hypotyposis Lutheranismi, Pars I Hypotyposis Martini Lutheri, Patavii, ex officina typographica seminarii 1930, Sectio Quarta, Dissertatio Prima, I-III S. 135ff.)