Beitrag 15
Häretiker lesen die Bibel – Katholiken hören die Kirche
Heute beginne ich mit einem persönlichen Wort. Ich habe schon öfter erlebt, dass Protestanten die Bibel besser zitieren können als Katholiken. Das liegt zum einen nicht wenig an unserer eigenen Trägheit, zum anderen aber liegt es am Umgang der Kirche mit der Heiligen Schrift, welche sie vornehmlich in der Liturgie weitergibt. Dort hören wir das göttliche Wort aus dem Mund des geweihten Priesters wie aus dem Munde Christi: Wer euch hört, der hört mich“ (…). Die Heilige Schrift soll also nicht in erster Linie persönlich gelesen, sondern durch die kirchliche Autorität richtig verstanden werden. Es waren die Häretiker, die ihre falschen Lehren mit ihrem persönlichen Bibelstudium begründeten! Hören wir aus der „Darstellung des Luthertums“ des hl. Kirchenlehrers Laurentius von Brindisi:
„Wir lesen viel von rechtgläubigen Vätern, vor allem von solchen, die auf heiligen Konzilen Irrlehren [und] Irrlehrer verdammten, so wie auf dem Apostelkonzil zu Jerusalem (Apg 15,1-29). [Damals] wurde [von den Aposteln] und besonders von Petrus die Irrlehre der judaisierende Christen mit der Wurzel ausgerissen. [Die Judenchristen nämlich] stürzten die Kirche in Verwirrung, da sie sagten, dass die [Heiden-]Christen sich beschneiden lassen und das Gesetz des Moses beobachten müssten. Die Lehrmeinung d[ies]er Pharisäer schien zwar durch einleuchtende Schriftstellen gestützt zu werden; dennoch wurde [ihre] Lehre ohne irgendwelche Schriftstellen durch die Autorität Petri und des ganzen Konzils verworfen – d.h. durch die kirchliche Autorität. Denn die Schrift besteht – wie Hieronymus[20] sagt – nicht im Lesen, sondern im Verstehen. Und es wurde beschlossen, die Christen nicht zur Einhaltung des Mosaischen Gesetzes zu zwingen.
Jene erste Irrlehre wurde also zweifach zuschanden gemacht: mit der Autorität der göttlichen Schriften gemäß dem rechtmäßigen Sinn und Verständnis, und mit der kirchlichen Autorität des hl. Petrus, der Apostel und des ganzen Konzils durch den Hl. Geist. Sie sagten nämlich: Es gefiel … dem Hl. Geist und uns (Apg 15,28).
Um die Wahrheit des Glaubens von der Falschheit der Irrlehre zu unterscheiden. haben die heiligen Väter auf den Konzilen Regeln und Vorschriften angewandt. Ein herausragendes Buch Tertullians trägt den Titel Über die Vorschriften gegen die Häretiker. Die Generalregel und [gleichsam] das „Zimmermannslineal“, woran sie jede Glaubenslehre maßen, ist der Kanon der Göttlichen Schriften gemäß dem Verständnis der kirchlichen Tradition.
[Ein geradezu] goldenes Buch [ist die Mahnschrift gegen die Irrlehrer] des [hl.] Vinzenz von Lerin. [Unter der einleitenden Überschrift] Gegen die weltlichen Neuerungen der häretischen Äußerungen wird gelehrt, dem Kanon der göttlichen Schriften sei die Autorität der kirchlichen Überlieferung hinzuzufügen. Nicht weil der Kanon unvollkommen wäre, sondern weil die göttliche Schrift ihrer Hoheit wegen mehrere Sinne zulässt und nicht in einer einzigen Weise von allen verstanden wird, sondern der eine interpretiert die göttlichen Worte so, der andere anders. Deshalb verdrehen die Häretiker sie in verschiedene Deutungen; anders erklärt sie Novatian, anders Arius, wieder anders Donatus. Wegen so vieler Verbiegungen durch den Irrtum ist es notwendig, dass die Linie der apostolischen Interpretation gemäß der Norm der kirchlichen [Deutung] ausgerichtet wird.
[So zum Beispiel] verwarfen die [Bischöfe] auf jenem hochberühmten Konzil [von Ephesus] den Irrlehrer Nestorius weniger auf Grund der Autorität der göttlichen Schriften, [sondern] mehr auf Grund der Autorität der kirchlichen Väter Athanasius, Cyrillus, Gregor von Nazianz, Basilius des Gr., Cyprian, Ambrosius und der Päpste Felix und Julius. So war es ja auch auf dem Konzil von Jerusalem, wie wir schon bemerkt hatten. So war immer schon die Autorität der [Tradition[21]] von größter Bedeutung zum Abwürgen der Irrlehren und zum Verurteilen der Irrlehrer.
Luther wusste dies nur zu gut, und er wusste, dass seine Lehre mit der kirchlichen Tradition nicht im Geringsten übereinstimme. Deshalb verachtete er alle Konzile und rechtgläubigen Väter, trat sie mit Füßen und berief sich ausschließlich auf die Schrift. In ihm schien Nestorius wieder aufzuleben, der sich allein die Kenntnis der göttlichen Schriften anmaßte. Darüber schreibt der hl. Vinzenz von Lerin [Zitat]: „Wir griffen die Anmaßung des Nestorius an, denn er prahlte, er als erster und er allein verstünde die Hl. Schrift. Alle jene [dagegen], die vor ihm mit dem Lehramt betraut gewesen seien und die göttlichen Worte behandelt hätten, nämlich alle Priester, Bekenner und Martyrer, hätten die Schrift nicht verstanden. Er versicherte, die gesamte Kirche habe sich immer geirrt und irre sich auch jetzt“.
[Genauso tat Luther[22], Zitat:] „[Man[23]] führt die Aussprüche der Väter an: ich [aber] setze gegen die Aussprüche der Väter, Menschen, Engel, [und] Dämonen das Wort der ewigen Majestät: das Evangelium. Hier stehe ich, hier sitze ich, hier bleibe ich, hier triumphiere ich, hier verhöhne ich die Aussprüche der Menschen, wie heilig sie auch seien, ich schere mich nicht drum, auch wenn tausend Augustinusse [und] tausend Cyprians gegen mich stünden“.[24]
Zweifellos wäre Luther wie Nestorius auf dem Konzil von Ephesus verurteilt worden. Er wäre auf allen Konzilien verurteilt und als Irrlehrer verworfen worden, wie einer [nämlich], der die Grenzen übertritt, die die Väter gesetzt haben (Spr 22,28)“.
(aus: Laurentius von Brindisi, Opera omnia, Vol. II Hypotyposis Lutheranismi, Pars I Hypotyposis Martini Lutheri, Patavii, ex officina typographica seminarii 1930, SectioQuarta, Dissertatio Tertia,I-II S. 164f.; IV-V S. 166ff.)