Vorwort zur Ausgabe von 1929

Die Aufgabe großer, von Gott gesandter Männer und Frauen ist mit ihrem Tode nicht vollendet, sondern sie erstreckt sich oft auf viele Jahrhunderte, ja bis ans Ende der Zeiten. Die einen leben und wirken weiter durch ihre Stiftungen, andere durch ihre Schriften. Für einige aus ihnen beginnt ihre eigentliche Aufgabe auf Erden erst nach ihrem Tode, wie die im Jahre 1897 verstorbene heilige Theresia vom Kinde Jesus richtig von sich selbst voraussagte. Zu diesen gehörte Ludwig Maria Grignion von Montfort (+ 28. April 1716). So Großes und Gewaltiges er auch an der Wende des 17. und 18. Jahrhunderts zum Heile der Seelen gewirkt, so war er doch nur der Apostel seiner engeren Heimat. Erst mit der Auffindung seines Manuskriptes "Abhandlung über die vollkommene Andacht zu Maria" am Anfang des 19. Jahrhunderts begann er in der ganzen katholischen Kirche sein wunderbares Apostolat, das, getragen von der höchsten Autorität der Päpste Pius X. und Benedikt XV., sich immer weiter ausdehnt und immer tiefer greift, sodaß die Zeit zu kommen scheint, von welcher er vorausgesagt:

"Warm wird jene glückliche Zeit kommen, in der Maria als Herrin und Königin in den Herzen herrschen wird, um sie gänzlich der Herrschaft ihres großen und einzigen Jesus zu unterwerfen? Wann werden die Seelen ebensosehr Maria atmen, wie die Leiber die Luft atmen? Dann werden wunderbare Dinge hienieden geschehen, wenn der Heilige Geist seine geliebte Braut in den Seelen gleichsam wiedergebildet finden und deshalb in reichster Fülle über sie kommen und sie mit seinen Gaben, besonders mit der Gabe der Weisheit erfüllen wird, um Wunder der Gnade zu wirken. Mein lieber Bruder, wann wird jene glückliche Zeit, jenes Zeitalter Mariä kommen, da manche Seelen, welche die Gottesmutter erwählt und vom Allerhöchsten erwirkt hat, sich selbst im Abgrunde des Innern Mariä verlieren und so lebendige Abbilder der Allerseligsten Jungfrau werden, um Jesus Christus zu lieben und zu verherrlichen? Diese Zeit wird erst dann kommen, wenn man die Andacht, die ich lehre, kennen und üben wird."

Die Bedingung ist nun erfüllt, die vollkommene Andacht, die er gelehrt, ist von den Päpsten nicht nur gutgeheißen, sondern auf das eindringlichste empfohlen, sie wird von den Päpsten selbst und von Tausenden wahrer Katholiken geübt, so muß sich nun auch die Prophezeiung erfüllen, das glückselige Zeitalter Mariä muß also vor der Türe stehen.

Doch sagt der große Marienapostel an einer anderen Stelle seiner Schrift klar und bestimmt voraus, daß jene großen, auserwählten Seelen nur unter schwerstem Kampfe das Reich Mariä aufrichten werden. Zum Kampfe braucht man Waffen. Aber auch die siegreichen Waffen, mit denen sie "das Reich Mariä über das Reich der Gottlosen, der Götzendiener und Mohammedaner aufrichten werden", nennt uns der Marienapostel von Montfort.

"Sie werden das zweischneidige Schwert des Wortes Gottes im Munde führen, auf ihren Schultern die blutige Fahne des Kreuzes, das Kruzifix in der Rechten, den Rosenkranz in der Linken, die heiligen Namen Jesu und Mariä auf ihrem Herzen und die Bescheidenheit und Abtötung Jesu Christi in ihrem ganzen Wesen tragen."

Zur Waffenausrüstung gehört also als wesentlicher Bestandteil der heilige Rosenkranz.

Über Würde und Wert des Rosenkranzgebetes sowie über den Gebrauch dieser himmlischen Waffe kann uns niemand besser belehren, als Ludwig Maria Grignion von Montfort.

Nachdem die glorreiche Gottesmutter selbst dem hl. Dominikus (+ 1221) diese erhabene Gebetsweise geoffenbart und ihn beauftragt hatte, sie in der ganzen Kirche zu predigen, geriet die anfangs so blühende Andacht in argen Verfall.

Abermals ward ein Jünger des heiligen Dominikus, der sel. Alanus de Rupe (de la Roche, + 1475), um die Mitte des 15. Jahrhunderts von Gott und seiner allerheiligsten Mutter beauftragt, das göttliche Werk zu erneuern.

Doch die menschliche Unbeständigkeit ist gar zu groß, und zum drittenmal erwählte Maria einen Apostel, der den Eifer für den ihr so teuren Rosenkranz in der Kirche beleben sollte: Ludwig Maria Grignion von Montfort (1673 -1716). Während seines Lebens erneuerte er die ganze Bretagne und Vendée durch das Rosenkranzgebet.

In unserer Zeit - so wird berichtet - ward Leo XIII. durch das Beispiel des Dieners Gottes, das durch den Seligsprechungsprozeß dem großen Papst vor Augen trat, angeregt, die Völker zum Rosenkranzgebet anzueifern.

Es ist auffällig und entspricht offenbar einem göttlichen Plane, daß die großen Apostel des heiligen Rosenkranzes in einer Zeitenfolge von je zwei Jahrhunderten auftraten, wie aus folgender Zusammenstellung ersichtlich ist.

Der heilige Dominikus lebte von 1170 - 1221

Der selige Alanus lebte von 1428 - 1475

Grignion von Montfort lebte von 1673 -1716

Papst Leo XIII. regierte von 1878 - 1903.

Nun aber ist der Augenblick gekommen, daß der von Maria erwählte Nachfolger des heiligen Dominikus und des seligen Alanus durch sein Buch zu allen Christen des ganzen Erdkreises reden soll. Allen soll es vergönnt sein, seine Stimme zu hören, seine Worte zu vernehmen. Gestützt auf die Autorität des Rosenkranzpapstes, Leos XIII., wird seine Stimme bei allen wahren und treuen Kindern des Papstes freudigen Widerhall finden.

In seiner "Abhandlung über die vollkommene Andacht zu Maria" hat Grignion nicht eine neue Lehre verkündet, sondern eine Jahrhunderte alte Übung zunächst auf ein felsenfestes theologisches Fundament gestellt und das große Gnadengeheimnis, das nur wenige auserwählte Seelen kannten, allen Gläubigen, die wahrhaft guten Willens sind, in volkstümlicher Form zugänglich gemacht. Nicht anders verhält es sich mit seiner Schrift "Der heilige Rosenkranz". Was andere vor ihm gelehrt, mühsam in Büchern niedergeschrieben, das hat Ludwig Maria Grignion von Montfort in klarer und lieblicher Weise zusammengetragen, indem er sich dabei nicht scheute, einzelne schöne Stellen jenen Werken zu entnehmen. Doch auch so bleibt das Ganze sein eigenstes Werk, denn der ganze Plan, der Aufbau und die Durchführung ist durchaus seine persönliche Arbeit. Das Werk gleicht einem herrlichen Diadem aus Perlen in Goldfassung, das der glühende Marienverehrer seiner geliebtesten Herrin aufs Haupt setzt. Er selbst bereitete mit kunstfertiger Hand die kostbare Fassung, indem er dabei die herrlichen Perlen, sei es dem eigenen Herzen, sei es anderen liebeglühenden Herzen entnahm, um die gemeinsame Mutter zu schmücken. Wertvolle Steine, die sonst im Dunkel der Vergessenheit verborgen geblieben wären, sind auf diese Weise gerettet und Gemeingut aller Marienkinder geworden. Das ist das besondere Verdienst des eifrigen Apostels Ludwig Maria Grignion von Montfort.

Im Sommer 1924 hatten wir das unschätzbare Glück, in Saint-Laurent von der Sèvre alle Handschriften des Dieners Gottes durchzusehen und genau mit der gedruckten Ausgabe zu vergleichen. Somit entspricht die vorliegende Ausgabe in ihrem Text genau der Handschrift. Wir erlaubten uns im Gegensatz zur ersten Auflage keinerlei Abänderungen, selbst in den lateinischen Zitaten nicht, außer grammatikalischen Verbesserungen.

Desgleichen waren schon in der ersten französischen Ausgabe den einzelnen Rosen Titel beigegeben worden, die in der Handschrift fehlen. Bei lateinischen Zitaten wurde die deutsche Übersetzung beigefügt, obwohl sie der hl. Grignion nicht immer übersetzt hat.

Beginnet nun, liebe Kinder Mariä, mit dem andächtigen Lesen des Euch von Euerer himmlischen Mutter gesandten Buches, und wenn Ihr es aufmerksam gelesen habt, so bleibet nicht auf halbem Wege stehen, sondern fasset den festen Vorsatz, alle Tage den ganzen Psalter, und falls es Euch durchaus unmöglich, wenigstens einen Rosenkranz zu beten.

Leo Gommenginger