SECHSUNDVIERZIGSTE ROSE

Wie man den Rosenkranz gemeinschaftlich und in zwei Chören beten soll

Von allen Arten, den heiligen Rosenkranz zu beten, gereicht keine Gott mehr zur Ehre, der Seele mehr zum Nutzen und dem Teufel mehr zum Schrecken als das öffentliche, chorweise Beten.

Gott liebt die Versammlungen. Alle Engel und Seligen, die im Himmel versammelt sind, singen unaufhörlich sein Lob. Die auf Erden in verschiedenen Genossenschaften und Gemeinden versammelten Gerechten beten gemeinsam Tag und Nacht. Der göttliche Heiland hat diese Übung seinen Aposteln und Jüngern ausdrücklich anbefohlen und ihnen versprochen, wo immer wenigstens zwei oder drei in seinem Namen versammelt seien, da befinde er sich mitten unter ihnen (Mt 18,20). Welches Glück, Jesus Christus in seiner Gesellschaft zu haben! Um ihn zu besitzen, braucht man sich nur zum Rosenkranz zu versammeln.

Aus diesem Grunde versammelten sich die ersten Christen so oft zum gemeinsamen Gebete trotz der Verfolgungen der Kaiser, die ihnen die Zusammenkünfte verboten. Lieber wollten sie sich dem Tode aussetzen als die Versammlung unterlassen, weil sie die Gesellschaft Jesu Christi haben wollten.

Diese Art zu beten gereicht der Seele zu größerem Nutzen:

1. Weil der Geist gewöhnlich beim öffentlichen Gebete aufmerksamer ist als beim Einzelgebete.

2. Wenn man gemeinschaftlich betet, werden die Gebete jedes einzelnen Gemeingut der ganzen Versammlung und bilden zusammen nur ein einziges Gebet. Wenn daher der eine nicht so gut betet, so tritt ein anderer aus der Versammlung, der besser betet, für ihn ein; der Starke unterstützt den Schwachen, der Eifrige entflammt den Lauen, der Reiche bereichert den Armen, der Schlechte verschwindet unter den Guten. Wie kann man ein Maß Unkraut verkaufen? Man mischt es zu diesem Zwecke einfach unter vier oder fünf Scheffel Weizen, und dann ist beides verkauft. (Der heilige Ludwig Maria Grignion will hier nicht zu einer unerlaubten Handlungsweise anleiten, sondern lediglich einen Vergleich brauchen, den er dem täglichen Leben und der Handlungsweise der Weltkinder entnimmt.)

3. Eine Person, die den Rosenkranz ganz allein betet, hat nur das Verdienst eines einzigen Rosenkranzes; wenn man ihn aber mit dreißig Personen gemeinsam betet, hat man das Verdienst von dreißig Rosenkränzen. Das sind die Gesetze des öffentlichen Gebetes.

4. Papst Urban VIII. war über die Andacht des heiligen Rosenkranzes, den man an mehreren Orten Roms, besonders im Kloster zu Minerva in zwei Chören betete, so sehr befriedigt, daß er für das gemeinschaftliche chorweise Beten desselben 100 Tage Ablaß verlieh: Toties-quoties. Das ist der Ausdruck, den er in seinem Breve vom Jahre 1626 gebraucht und das mit den Worten Ad perpetuam rei memoriam beginnt.

5. Das öffentliche Beten ist mächtiger, um den Zorn Gottes zu besänftigen und seine Barmherzigkeit herabzuflehen, als das Einzelgebet, und die vom Heiligen Geiste geleitete Kirche hat sich dessen zu allen Zeiten der Not und des allgemeinen Elendes bedient. Papst Gregor XIII. erklärt durch seine Bulle ("Monet Apostolus" vom 1. April 1573), man müsse fromm glauben, daß die öffentlichen Gebete und Prozessionen der Mitglieder der heiligen Rosenkranzbruderschaft viel dazu beigetragen haben, um von Gott am ersten Sonntag im Oktober 1571 den großen Sieg der Christen am Golf von Lepanto über die Flotte der Türken zu erlangen.

Als Ludwig der Gerechte (König Ludwig XIII. (1610 -1643)), glücklichen Angedenkens, einst La Rochelle belagerte, wo die aufrührerischen Häretiker sich verschanzt hatten, schrieb er an seine Mutter, die Königin, sie möge für das Glück seiner Waffen öffentliche Gebete verrichten lassen. Die Königin beschloß, den Rosenkranz öffentlich in der Dominikanerkirche der Vorstadt Saint Honoré von Paris beten zu lassen, was durch Vermittlung des Erzbischofs ausgeführt wurde. Man begann diese Andacht am 20. Mai 1628. Die Königin-Mutter und die regierende Königin nahmen daran teil, sowie der Herzog von Orléans, die Kardinäle de la Rochefaucauld und de Berulle, mehrere Prälaten, der ganze Hof und eine unzählbare Volksmenge. Der Erzbischof las mit lauter Stimme die Betrachtungen über die Geheimnisse des Rosenkranzes vor und begann hierauf das Vaterunser und Ave Maria eines jeden Zehners, während die Ordensleute und übrigen Anwesenden antworteten. Nach dem Rosenkranz trug man das Bild der Gottesmutter in Prozession unter dem Gesang der Lauretanischen Litanei umher. Man wiederholte diese Andacht jeden Samstag mit bewundernswertem Eifer und sichtlichem Segen des Himmels, denn der König triumphierte bei der Insel Ré über die Engländer und zog am Allerheiligenfeste desselben Jahres siegreich in La Rochelle ein. Hieraus kann man die Macht des öffentlichen Gebetes ersehen.

6. Endlich gereicht der gemeinschaftliche Rosenkranz dem Teufel viel mehr zum Schrecken, denn auf diese Weise bildet man ein ganzes Armeekorps, um ihn anzugreifen. Manchmal triumphiert er gar leicht über das Gebet eines einzelnen; wenn es aber mit dem Gebete der anderen vereinigt ist, so kann er nur sehr schwer dagegen aufkommen. Es ist leicht, einen einzigen Stab zu zerbrechen; aber wenn man ihn mit mehreren anderen vereinigt und ein Bündel daraus macht, so kann man ihn nicht mehr leicht brechen. Vis uni ta fit fortior: Vereinte Kraft macht stark!

Die Soldaten vereinigen sich zu Armeekorps, um den Feind zu schlagen; die Schlechten versammeln sich oft, um ihren Lastern und Tänzen zu fröhnen; selbst die Teufel vereinigen sich, um uns zu verderben. Warum sollten sich also nicht auch die Christen versammeln, um in Gesellschaft Jesu Christi zu sein, um den Zorn Gottes zu besänftigen, seine Gnade und sein Erbarmen herabzuziehen und um die Teufel machtvoller zu besiegen und niederzuschmettem?

Liebe Mitglieder der Rosenkranzbruderschaft in der Stadt und auf dem Lande, wenn ihr in der Nähe der Pfarrkirche oder einer Kapelle wohnt, so begebet euch wenigstens jeden Abend dahin, um mit Erlaubnis des Vorstehers jener Kirche und im Verein mit allen, die daran teilnehmen wollen, den Rosenkranz in zwei Chören zu beten. Tut dasselbe in euerem Hause oder in einem anderen Privathause des Ortes, wenn ihr keine Kirche oder Kapelle in der Nähe habt.

Es ist dies ein heiliger Brauch, den Gott durch seine Barmherzigkeit dort eingeführt hat, wo ich Missionen gehalten habe, um deren Frucht zu bewahren und zu vermehren und um die Sünde zu verhindern. Bevor der Rosenkranz in diesen Städten und Dörfern eingeführt war, sah man dort nichts als Tanz, Ausschweifung, Unsittlichkeit, Fluchen, Zank und Spaltung; man hörte dort nichts als unanständige Lieder und zweideutige Reden. Jetzt hört man nur noch das Lied der Lieder und die Psalmodie des Vaterunsers und Ave Maria; man sieht nur noch heilige Gesellschaften von zwanzig, dreißig, hundert und mehr Personen, die wie Ordensleute das Lob Gottes zu bestimmter Stunde singen. Es gibt selbst Orte, wo man jeden Tag den Rosenkranz zu drei verschiedenen Tageszeiten gemeinschaftlich betet. Welcher Segen des Himmels!

Da es überall Verworfene gibt, so zweifelt nicht daran, daß es auch an eurem Wohnorte einige schlechte Menschen geben wird, die nicht zum Rosenkränze kommen, die vielleicht sogar darüber spotten und alles in Bewegung setzen, durch boshafte Reden und durch ihr schlechtes Beispiel euch von dieser heiligen Übung abwendig zu machen. Haltet jedoch stand; da diese Unglückseligen in der Hölle auf ewig von Gott und seinem Himmel getrennt sein sollen, so müssen sie sich schon hienieden im voraus von der Gesellschaft Jesu Christi und seiner Diener und Dienerinnen ausscheiden.