VIERUNDVIERZIGSTE ROSE
Wie man den Rosenkranz beten soll. Beispiel
Nachdem du den Heiligen Geist um seinen Beistand angerufen hast, um den Rosenkranz gut zu beten, versetze dich einen Augenblick in die Gegenwart Gottes und mache die Aufopferung, wie sie weiter unten angegeben wird (siehe 50. Rose).
Vor jedem Gesetze halte einen Augenblick inne, länger oder kürzer, je nachdem es dir die Zeit gestattet, erwäge das Geheimnis, das du im folgenden Zehner verehrst und erbitte immer durch dieses Geheimnis und die Fürbitte der Mutter aller Gnaden eine Tugend, die in dem Geheimnisse am meisten hervorleuchtet, oder die du am notwendigsten hast.
Hüte dich vor allem vor den zwei gewöhnlichen Fehlern, welche fast alle Rosenkranzbeter begehen.
Der erste Fehler besteht darin, daß sie mit dem Rosenkranzgebet keine bestimmte Meinung verbinden, und wenn man sie dann fragt, wozu sie den Rosenkranz beten, können sie keine Antwort darauf geben. Habe deshalb immer, wenn du den Rosenkranz betest, einige Gnaden im Auge, die du erflehen, irgendeine Tugend, die du nachahmen, oder eine Sünde, die du ausrotten willst.
Der zweite Fehler, den man gewöhnlich beim Beten des Rosenkranzes begeht, liegt darin, daß man beim Beginn keine andere Absicht hat, als möglichst bald damit fertig zu werden. Das kommt daher, daß man den Rosenkranz als eine Bürde empfindet, die schwer auf den Schultern lastet, solange man ihn nicht gebetet hat, besonders wenn man sich eine Gewissenssache daraus gemacht oder wenn man ihn als Buße und gleichsam gegen seinen Willen bekommen hat.
Es ist erbärmlich, zu sehen, wie die meisten ihren Rosenkranz beten. Sie beten ihn mit einer unbegreiflichen Eilfertigkeit und überhasten dabei einen Teil der Worte. Nicht einmal dem niedrigsten Menschen wollte man eine Höflichkeitsbezeugung auf so lächerliche Weise darbringen, und man glaubt, Jesus und Maria würden dadurch geehrt werden! Muß man sich nachher wundern, wenn die heiligsten Gebete der christlichen Religion fast fruchtlos bleiben, und wenn man nach tausend und zehntausend hergesagten Rosenkränzen nicht heiliger ist?
Lieber Mitbruder, halte mit deiner natürlichen Übereilung beim Gebete ein und mache im Vaterunser und im Ave Maria eine längere Pause in der Mitte und eine kleinere nach den Worten, die ich nachstehend mit einem Sternchen bezeichne:
Vater unser, der Du bist im Himmel * geheiliget werde Dein Name * zu uns komme Dein Reich * Dein Wille geschehe wie im Himmel, also auch auf Erden*. Gib uns heute unser tägliches Brot * und vergib uns unsere Schuld * wie auch wir vergeben unsern Schuldigern * und führe uns nicht in Versuchung * sondern erlöse uns von dem Übel. * Amen.
Gegrüßt seist Du, Maria, * voll der Gnade * der Herr ist mit Dir * Du bist gebenedeit unter den Weibern * und gebenedeit ist die Frucht Deines Leibes * Jesus * Heilige Maria, Mutter Gottes * bitte für uns arme Sünder* jetzt und in der Stunde unseres Absterbens.* Amen.
Zuerst wird es dir wegen deiner schlechten Gewohnheit, hastig zu beten, Mühe bereiten, diese Zwischenpausen zu machen; dafür aber wird ein so bedächtig gebetetes Gesätzchen auch viel verdienstlicher sein als Tausende von Rosenkränzen, die in der Eile, ohne Nachdenken und Anhalten gebetet werden.
Der selige Alanus de Rupe und andere Schriftsteller, wie z.B. Bellarmin, erzählen folgendes Beispiel. Ein frommer Priester riet einmal drei Schwestern, die seine Beichtkinder waren, ein Jahr lang jeden Tag ohne Ausnahme andächtig den Rosenkranz zu beten, um der Allerseligsten Jungfrau ein schönes Ehrenkleid daraus zu bereiten, und er fügte bei, es sei dies ein Geheimnis, welches er vom Himmel erhalten habe. Alle drei Schwestern beteten den Rosenkranz ein Jahr lang.
Am Vorabend des Festes Mariä Reinigung, als sich alle drei zur Ruhe begeben hatten, trat die Gottesmutter in ihr Zimmer, von der heiligen Katharina und der heiligen Agnes begleitet, angetan mit einem von Lichtglanz blendenden Kleide, auf welchem an allen Seiten in goldenen Buchstaben geschrieben stand: Ave Maria gratia plena. Die Himmelskönigin näherte sich dem Lager der ältesten Schwester und sprach zu ihr: "Ich grüße dich, meine Tochter, die du mich so oft und so andächtig gegrüßt hast. Ich komme, um dir für das schöne Gewand zu danken, das du mir verfertigt hast." Die beiden heiligen Jungfrauen, die sie begleiteten, dankten ihr ebenfalls, und die Erscheinung verschwand.
Eine Stunde später trat die Gottesmutter mit ihren zwei Begleiterinnen wieder ins Zimmer, mit einem grünen Gewande bekleidet, aber ohne Gold und ohne Lichtglanz, näherte sich dem Bette der zweiten Schwester, und dankte ihr für dieses Kleid, das sie ihr mit dem Rosenkranzgebet geschenkt habe. Aber da die zweite Schwester gesehen hatte, daß die Allerseligste Jungfrau der älteren Schwester viel glänzender erschienen war, fragte sie nach der Ursache. Maria antwortete: "Sie hat mir schönere Kleider verfertigt, da sie ihren Rosenkranz besser betete als du."
Ungefähr eine Stunde nachher erschien Maria ein drittes Mal der jüngsten Schwester, bekleidet mit einem schmutzigen und zerrissenen Gewand und sprach zu ihr: "O meine Tochter, so hast du mich gekleidet, ich danke dir dafür."
Voll Beschämung rief das Mädchen aus: "Wie! meine Herrin, so schlecht habe ich dich gekleidet! O, ich bitte dich um Verzeihung! Gib mir noch Zeit, und ich werde dir ein schöneres Kleid machen, indem ich meinen Rosenkranz besser bete!"
Nachdem die Erscheinung verschwunden war und die jüngste Schwester tiefbetrübt alles dem Beichtvater erzählt hatte, was sich zugetragen, munterte er sie auf, den Rosenkranz ein Jahr lang vollkommener als bisher zu beten, was sie tat. Am Ende des Jahres erschien ihnen die Allerseligste Jungfrau wieder am Feste Mariä Reinigung gegen Abend, mit einem wunderbaren Gewande angetan und in Begleitung der heiligen Katharina und Agnes, welche Kronen trugen, und sprach zu ihnen: "Meine Töchter, seid des Himmelreiches gewiß, morgen werdet ihr mit großem Jubel in dasselbe eingehen!" Alle drei antworteten darauf: "Unser Herz ist bereit, o unsere teure Herrin, unser Herz ist bereit." Die Erscheinung verschwand.
In derselben Nacht wurden die drei Schwestern krank, ließen den Beichtvater rufen, empfingen die Sterbesakramente und dankten ihm für die heilige Übung, die er sie gelehrt hatte. Nach der Komplet erschien ihnen die Mutter Gottes, von einer großen Zahl von Jungfrauen begleitet, ließ die drei Schwestern mit weißen Gewändern kleiden, worauf alle drei verschieden, während die Engel sangen: "Kommet, ihr Bräute Jesu Christi und empfanget die Kronen, die euch in der Ewigkeit bereitet sind."
Lerne aus dieser Erzählung mehrere Wahrheiten:
1. wie wichtig es ist, einen guten Seelenführer zu haben, der zu heiligen Andachtsübungen und besonders zum heiligen Rosenkranz anleitet;
2. wie wichtig es ist, den Rosenkranz mit Aufmerksamkeit und Andacht zu beten;
3. wie gütig und barmherzig die Mutter Gottes gegen jene ist, die das Frühere bereuen und den Vorsatz fassen, sich zu bessern;
4. wie freigebig sie im Leben, im Tode und in der Ewigkeit die kleinen Dienste belohnt, die man ihr treu und beharrlich erweist.