ZWEIUNDVIERZIGSTE ROSE

Man muß den Rosenkranz mit Andacht beten

Um gut zu beten, genügt es nicht, unsere Bitten durch die vorzüglichste aller Gebetsweisen, nämlich den Rosenkranz, vorzubringen, sondern man muß auch große Andacht darauf verwenden, weil Gott mehr auf die Stimme des Herzens, als auf die Stimme des Mundes hört.

Mit freiwilligen Zerstreuungen zu Gott beten wäre eine große Unehrerbietigkeit, die unsere Rosenkränze unfruchtbar machen und uns mit Sünden beladen würde. Wie dürfte man Gott bitten, er möge uns anhören, wenn wir uns selbst nicht einmal hören, und während wir diese furchtbare Majestät, die alles erzittern macht, um etwas bitten, uns freiwillig damit aufhalten, einem Schmetterlinge nachzulaufen? So wenden wir den Segen dieses großen Herrn von uns ab und verwandeln ihn in den Fluch, der gegen jene ausgesprochen ist, die das Werk Gottes mit Nachlässigkeit vollbringen: Maledictus qui facit opus Dei neglegenter: "Verflucht sei, wer das Werk des Herrn nachlässig vollbringt! "Jer 48,10)

Du kannst in Wahrheit den Rosenkranz nicht ohne irgendwelche unfreiwillige Zerstreuungen beten; es ist sogar schwer, ein Ave Maria zu beten, ohne daß deine stets bewegliche Einbildungskraft dir etwas von der Aufmerksamkeit raube; aber du kannst ihn ohne freiwillige Zerstreuung beten, und du mußt allerlei Mittel anwenden, um die unfreiwilligen zu vermindern und deine Phantasie zu fesseln.

Versetze dich zu diesem Zwecke in die Gegenwart Gottes, glaube daran, daß Gott und seine heilige Mutter dich sehen, daß dein guter heiliger Schutzengel zu deiner Rechten die gut verrichteten Ave Maria als ebensoviele Rosen nimmt, um daraus für Jesus und Maria einen Kranz zu flechten, und daß der Teufel hingegen zu deiner Linken dir auflauert, um deine Ave Maria zu verschlingen und in sein Buch des Todes aufzuzeichnen, wenn du sie nicht mit Aufmerksamkeit, Andacht und Bescheidenheit betest. Vergiß vor allem nicht die Aufopferung der Zehner zu Ehren der Geheimnisse vorzunehmen und dir in deiner Phantasie den göttlichen Heiland und seine heiligste Mutter in dem betreffenden Geheimnisse vorzustellen.

Man liest folgendes im Leben des seligen Hermann aus dem Orden der Prämonstratenser. Als er den Rosenkranz aufmerksam und andächtig unter Betrachtung der heiligen Geheimnisse betete, erschien ihm die Mutter Gottes ganz von Lichtglanz umflossen in entzückender Schönheit und Majestät. Später aber, nachdem seine Andacht erkaltete, erschien sie ihm mit Runzeln im Antlitz, ganz traurig und unfreundlich. Da Hermann über diese Veränderung erstaunt war, sprach Maria zu ihm: "Ich erscheine so vor deinen Augen, wie ich jetzt in deiner Seele bin, denn du behandelst mich nur noch als eine niedere und verächtliche Person. Wo ist die Zeit, da du mich mit Ehrerbietung und Aufmerksamkeit grüßtest in Betrachtung meiner Geheimnisse und voll Bewunderung über meine Größe?"