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Pfarrer Joseph Müller
Priester des Bistums Hildesheim * 19. August 1894 Salmünster (Hessen) + 11. September 1944 Zuchthaus Brandenburg-Görden
Josef Müller wurde am 19.8.1894 im hessischen Salmünster in einem kath. geprägten Elternhaus als jüngstes von insgesamt sieben Kindern der Eheleute Damian und Augusta Müller geboren; aus der Familie gingen insgesamt drei Priester hervor: neben Joseph noch Oskar M. und Dr. Ewald (Franz Ludwig) M. OFM. Nach dem Besuch der örtlichen Volksschule besuchte M. ab 1907 die Gymnasien in Fulda und ab 1913 im niederländischen Watersleyde, wo sich seit dem Kulturkampf das Ordensgymnasium und -kolleg der Fuldaer Franziskaner befand. Trotz einer insgesamt eher schwächlichen Gesundheit meldete sich M. unmittelbar nach Kriegsbeginn 1914 als Freiwilliger zur Infanterie. Mit mehreren militärischen Auszeichnungen versehen, bestand er im Anschluß an einen längeren Lazarettaufenthalt am 16.11.1918 am Königlichen Gymnasium Sigmaringen das Abitur.
Im Februar 1919 begann M. in Freiburg das Studium der Theologie, eine Entscheidung, die er nach seiner Verurteilung 1944 so beschrieb: „Weisheit zu erlernen, lag als nächste Aufgabe vor den Jahren, die wie Altarstufen zum Priestertum hinaufführen sollten. Gott kennenlernen! Der Name ,Christus', oft gehört, glänzte vor den Augen und der Seele auf. Unablässig war Dein Werben, Christus, zu meiner Seele hin. ,Nur nicht jetzt auf halbem Wege stehen bleiben', kam es wie eine Einladung von Dir herüber. Immer sichtbarer griff Deine Hand ein, Ewiger, und lenkte meine Schritte dem Ziele zu.“
Wie sein Bruder Oskar wollte auch M. im Bistum Hildesheim als Priester tätig werden, weswegen er schon nach einem Semester an die für Hildesheimer Theologiestudenten übliche Universität in Münster wechselte, wo er u.a. Vorlesungen der renommierten Professoren Joseph Mausbach, Adolf Donders, Franz Joseph Dölger und Joseph Schmidlin besuchte. Nach Beendigung dieses Studiums, das ihm nicht unbedingt leicht fiel, kam er am 1.3.1921 ins Hildesheimer Priesterseminar und wurde ein Jahr später, am 11.3.1922, durch Bischof Dr. Joseph Ernst im Hildesheimer Dom zum Priester geweiht; seine Primiz feierte er an seinem Namenstag in Salmünster.
M.s Verständnis vom Priestertum verdeutlicht ein Blick in seine während der Haftzeit niedergeschriebenen Lebensbetrachtungen: „Priester sein, heißt Mensch sein, mit einem ganz starken Glauben, der auch durch den Widerstand der ganzen Welt nicht irre gemacht wird, heißt Mensch sein mit einem großen, reichen Herzen, so reich, daß Tausende von ihm empfangen und mit ihm Gott danken können; heißt: Des Lebens Fragen wachsend zu erleben und zu erfüllen und unter des Lebens Spannungsweiten zu leiden.“
Seine erste Anstellung erhielt M. zum 1.4.1922 in Duderstadt, wo er sich vorrangig um die kleine Filialgemeinde Tiftlingerode kümmerte und wo seine besondere Aufmerksamkeit der Jugend und dem Gesellenverein galt. Anfang April 1924 verließ er auf eigenen Wunsch das Untereichsfeld, um sich den Fuldaer Franziskanern in Kloster Frauenberg anzuschließen, doch wegen seiner schwächlichen Gesundheit lehnte ihn der Orden schon im Herbst desselben Jahres ab. M. kehrte daraufhin in das Bistum Hildesheim zurück und übernahm seelsorgliche Aushilfstätigkeiten in Gehrden bei Hannover, wo sein Bruder Oskar Pfarrer war, Hannoversch-Münden und Celle: „Ein Aufatmen ging durch die Gemeinde, als der vorübergehend hier angestellte Kaplan Müller seine erste Predigt hielt und mit einem Schlage wussten alle, selbst jedes Kind, was uns so bitter gefehlt hat. Leute, die als Taufscheinkatholiken galten, kamen Sonntags ins Hochamt und erbauten sich wieder und wieder an diesen Predigten.“
Im Mai 1925 wurde M. zum Kaplan in Blumenthal bei Bremen bestellt, wo er sich — ähnlich wie schon in Tiftlingerode — vor allem um den schulischen Religionsunterricht und den Gesellenverein kümmerte. Zum August 1926 wechselte er nach Wolfenbüttel, wo er in Predigten und Vereinsveranstaltungen immer wieder auf „das goldene Kreuz des Glaubens“ hinwies und seine Zuhörer aufforderte, sich den „Schattenbildern der Zeit“ — vor allem der Sozialdemokratie und dem aufkommenden NS — entgegenzustellen: „Christus als Fundament“ und „Arbeit zum Programm“.
Am 1.11.1932 wurde M. Kurat der kleinen Harzgemeinde Bad Lauterberg: eine aufgrund der weiten Entfernungen innerhalb des Gemeindebezirks für ihn zu strapaziöse Aufgabe, weswegen er schon zum 1.9.1934 ins südöstlich von Braunschweig gelegene Süpplingen versetzt wurde, wo er sich in besonderer Weise im Religionsunterricht — immerhin 17 Stunden pro Woche — engagierte. Zum 1.10.1937 übernahm M. die Leitung der nur wenige Kilometer entfernten Pfarrei Heiningen, wo er den immer stärker werdenden Repressionen des NS-Unrechtsregimes gegen die kath. Kirche zum Trotz in keiner Weise von seiner bisherigen Linie abrückte. Dabei galt sein besonderes Augenmerk den polnischen Fremd- bzw. Zwangsarbeitern, die er häufig in den großen Pfarrgarten holte: offiziell zur Gartenarbeit, faktisch aber zu seelsorglichen Gesprächen. Und natürlich legte M. gegen die staatlicherseits zum April 1939 verfügte Aufhebung der kath. Volksschule vehementen Protest ein; hierbei wußte er die gesamte Heininger Pfarrgemeinde hinter sich, die zweimal in namentlicher Abstimmung für den Fortbestand der kath. Schule votiert hatte. Auch ansonsten hielt der Pfarrer mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg, äußerte ab Anfang 1940 verschiedentlich, daß Deutschland den Krieg niemals gewinnen dürfe.
Nach einer schweren Magenoperation wurde M. auf eigenen Wunsch durch Bischof Dr. Joseph Godehard Machens zum 1. 8.1943 in das unweit Hildesheims gelegene Dorf Groß Düngen versetzt. M. war gerade einen Monat in seiner neuen Gemeinde, als er in der ihm eigenen Deutlichkeit gegenüber dem ihm persönlich noch nicht bekannten NSDAP- Ortsgruppenleiter seine Besorgnis über die gegenwärtige politische Lage zum Ausdruck brachte. Bei einem Krankenbesuch bei dessen Vater wenige Tage später erzählte M. folgende Geschichte: „Ein Verwundeter liegt im Sterben und will wissen, wofür er stirbt. Er läßt die Schwester rufen und sagt ihr: ,Ich sterbe als Soldat und möchte wissen, für wen ich sterbe.' Die Schwester antwortet: ,Sie sterben für Führer und Volk.' Der Soldat fragt dann: ,Kann dann nicht der Führer an mein Sterbebett kommen?' Die Schwester antwortet: ,Nein, das geht nicht, aber ich bringe Ihnen das Bild des Führers.' Der Soldat bittet dann, daß ihm das Bild zur Rechten gelegt wird. Weiter sagt der Soldat: ,Ich gehöre der Luftwaffe an.' Da bringt ihm die Schwester das Bild von Reichsmarschall Göring und legt es zur Linken. Dann sagt der Soldat: Jetzt sterbe ich wie Christus.'„
Am 17.8.1943 wurde M. durch die Hildesheimer Gestapo, der diese Geschichte kolportiert worden war, zum Verhör vorgeladen: Er habe Hitler und Göring mit den beiden Schwerverbrechern verglichen, die an der Seite Jesu gekreuzigt wurden — die zu Joseph Müllers Verurteilung und Hinrichtung führende Lawine war ins Rollen gekommen. Weitere Vernehmungen folgten am 6.9.1943 und am 20.1.1944. Schließlich erging am 31.3.1944 vom Volksgerichtshof in Berlin Haftbefehl gegen M., der am 11.5. vollstreckt wurde. Aus dem Hildesheimer Gerichtsgefängnis schrieb M. an seinen Bischof: „Ich kann jetzt vorerst nicht mehr seelsorglich arbeiten, aber ich werde nun mit Christus den Weg gehen, der auch seelsorglich wertvoll ist, den des Leidens und des Betens. Noch kenne ich meinen Weg nicht, den Gott mich in Zukunft führen will, aber ganz gleich, wie und wo das sein wird, er wird keine Jammergestalt antreffen. Aber auch ich brauche vor allen Dingen den Beistand von oben. Er bleibt — und das weiß ich — mir nicht aus.“
In der Nacht vom 16. auf den 17.5. wurde M. ins Lazarett des Untersuchungsgefängnisses Berlin-Moabit überführt, wo ihn seine Brüder und Diözesanbischof Dr. Machens zwei Wochen später besuchten: einen „armen Untersuchungshäftling in geflickter, armseliger Gefängniskleidung in einem seelisch gebrochenen, zermürbt aufgelösten Zustande.“ Am 28.7. wurde M. in einem reinen Schauprozeß unter Vorsitz von Roland Freisler, der vier Entlastungszeugen aus Groß Düngen gar nicht erst anhörte, zum Tode verurteilt. In einem nur wenig später niedergeschriebenen Gebet faßte M. seine Empfindungen dieses Tages so zusammen: „Herr, ich bin dem Haß begegnet, dem bleichen, aller Schönheit baren Haß auf Deine Wahrheit, dem Haß, der morden will, der den Stein aufhob und hinterhältig auf sein schwaches Opfer warf, der laut wurde, als er sich überlegen wußte, aber gerade dabei seine ganze Häßlichkeit zeigte.“
M. nahm die überaus harten Haftbedingungen im Zuchthaus Brandenburg — ungenügende Ernährung, ständige Isolation und dauernde Fesselung der Hände — als sein ganz persönliches Kreuz an: „Er hatte sich durchaus selbst wiedergefunden, er war innerlich erstarkt und über sich selbst emporgewachsen“, so der Eindruck seiner ihn Mitte August noch einmal besuchenden Geschwister und Bischof Dr. Machens'. Verschiedene Gebete und Briefe M.s sind uns erhalten geblieben, so auch ein in geradezu vertrautem Plauderton geführtes Zwiegespräch mit Gott über menschliche Sehnsüchte: „Auf die Suche bin ich geraten über den Sinn meines Daseins; der Wahrheit will ich nachgehen, die das Dunkel der Wirklichkeit erhellt. Ich soll in meinem Leben Dich erkennen, aber laß mich auch mich erkennen! Mühsam presse ich die Worte hervor: ,Abba, Vater'. Mein Glück hast Du mir geraubt, ein großes Rätsel ist mir mein Sein geworden, und alles, was sinngemäß mit ihm zusammenhängt. Wer Dich, o Gott, finden will, der muß den Weg vom Menschen aus nehmen und durch ihn zu Dir kommen.“
Seine Hinrichtung am 11.9.1944 verstand M. als Vollendung: „O, mein Herz ist voll von Freude, daß es nun heimgeht zum Vater. Ich habe die ganzen Tage schon gewußt, daß mein Opfer angenommen wird.“ Und an seine Gemeinde in Groß Düngen schrieb er: „Das Kerkerleben war die letzte Schule für den Täufer und führte ihn zur Heiligkeit. In Demut, Leiden und Geduld reifte auch Euer Priester so der Vollendung entgegen. ,Gott ist mein Zeuge, daß ich mich nach Euch allen sehne mit der Zärtlichkeit Jesu Christi.' Aber Gott wollte es anders. Ich habe meine Sendung erfüllt und vollendet, mein Tod wirkt jetzt mehr für das Reich Gottes als mein Leben. So viele wollte ich noch hineinreißen in das große Liebesreich Christi, das werde ich nun von da oben für Euch tun.“
Um 13.04 Uhr wurde das Todesurteil vollstreckt, und einige Tage später konnte die Asche des Verstorbenen auf dem Brandenburger Stadtfriedhof beigesetzt werden; die Freigabe des Leichnams hatten die Justizbehörden verweigert, ihnen war nur wichtig, daß die Angehörigen die Kosten der Hinrichtung trugen. Anläßlich des ersten Jahrestags der Hinrichtung M.s würdigte Bischof Dr. Machens diesen als einen „Mann der Charakterfestigkeit und Stärke“, voll „Opfergesinnung und Leidensmut“ in einer Zeit, „wo der Glaube vieler wankend wurde und nicht wenige den Scheingebilden einer neuen Weltanschauung nachliefen.“ Kurz darauf, im November 1945, wurde die Urne des Pfarrers nach Groß Düngen überführt — genau wie dieser es sich gewünscht hatte: „Ich wünsche ausdrücklich, daß ich dort begraben werde, wohin mich meines Bischofs Ruf zuletzt als Priester und Seelsorger bestellt hat. Ruhen möchte ich bis zum Tage meiner Auferstehung unter einem Kreuz mit einem Heiland daran. Das Kreuz war im Leben mein Begleiter, aber auch meine Kraftquelle. Es soll auch über meiner sterblichen Hülle stehen. Credo in vitam aeternam!“
Der Blutzeuge hat sein eigenes Leben unter das Kreuz gestellt. Sein priesterliches Arbeiten verstand er als Opferhingabe an Gott. Erfüllt von einer tiefen persönlichen Frömmigkeit hat er in der Stunde seines Todes gebetet: „Ja: Herr, mein Leben war wert, gelebt zu werden, Ja: Dein Kreuz war wert, geliebt zu werden, Ja: Es hat sich gelohnt, Geduld geübt zu haben, Ja: Gut war es, zu büßen für meine Schuld, Ja: Recht war es, das Schwerste zu ertragen, Ja: Es lohnt sich, dem Herrn dankbar zu sein, Ja: Freudig seinem Dienst sich zu weihen, Ja: Mit Leib und Seele sich in sein Reich zu stellen für seine heilige Sache. Ja: Es ist auch wert, selbst das Blut dafür zu geben.“
QQ: Bistumsarchiv Hildesheim: PA J. M.; Ortsakten Duderstadt-Tiftlingerode, Blumenthal, Wolfenbüttel, Bad Lauterberg, Süpplingen, Heiningen, Groß Düngen; Bundesarchiv Zwischenarchiv Dahlwitz-Hoppegarten, NJ 15676, ZC I 2071, MR 1986/44; Adolph, Schatten, 76; Gollwitzer, 305-310; H. Engfer (Hrsg.), Das Bistum Hildesheim 1933-1945. Eine Dokumentation = Die Diözese Hildesheim in Vergangenheit und Gegenwart 37/38 (Hildesheim 1971) 558-572.
Lit.: O. Müller, Ein Priesterleben in und für Christus. Leben, Wirken, Leiden und Opfertod des Pfarrers J. M., Groß Düngen (Celle 1948); Kloidt, Verräter, 151-171; Kempner, 301-310; N. Trippen, Leben und Überleben im Dritten Reich — Kirche und Katholizismus in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Zentralkomitee, Himmel. 1581-1593, hier 1589-1592; Th. Scharf-Wrede, J. M. Priester in schwerer Zeit. Eine Skizze seines Lebens. Hrsg. vom Bistumsarchiv Hildesheim (Hildesheim 1994); J. Homeyer, J. M., in: Unitas-Handbuch. Bd. I = Unitas-Schriftenreihe. Bd. 10 (Siegburg 1995) 279-283.
Thomas Scharf-Wrede