12. ERZBISTUM KÖLN
a) Diözesanpriester
1-342
Pfarrer Franz Boehm
Priester des Erzbistums Köln
* 3. Oktober 1880 Boleszyn (Westpreußen)
+ 13. Februar 1945 KZ Dachau
Am 3.10.1880 wurde Franz Boehm in Boleszyn als zweites Kind von sechs Geschwistern geboren. Sein Vater Karl B. war Lehrer. Der junge Franz erfuhr mit 13 Jahren unmittelbar und lebensbestimmend die Folgen des Kulturkampfes. Da sein Vater in der Schule die zweite Strophe des Liedes „Großer Gott, wir loben dich“ in polnisch hatte singen lassen, mußte die Familie innerhalb von 24 Stunden Boleszyn verlassen. Sein Vater wurde 1893 nach Anrath bei Willich versetzt. 1902 legte B. sein Abitur in Mönchengladbach ab; im April 1902 begann er sein Theologiestudium in Bonn. Am 10.3.1906 weihte Antonius Kardinal Fischer ihn im Kölner Dom zum Priester.
An seinen drei Kaplansstellen im Ruhrgebiet konnte er sich auch um die Polenseelsorge kümmern, weil er die Sprache beherrschte. Nach 11 jähriger Kaplanszeit wurde er Pfarrer an St. Katharina in Düsseldorf-Gerresheeim. Auch hier betreute er polnische Familien. In der schwierigen Zeit des Ersten Weltkrieges leistete er viel Aufbauarbeit in der neugegründeten Pfarrei. Am 4.1.1923 übertrug ihm Kardinal Schulte die Pfarrei St. Johannes in Sieglar bei Bonn. Nach der nicht immer leichten Aufbauarbeit im Ruhrgebiet und in Düsseldorf war das Umfeld in Sieglar zunächst unproblematisch, da hier fast nur Katholiken wohnten. die sehr aktiv am Gemeindeleben teilnahmen. B. war ein Seelsorger, der auch unkonventionelle Wege der Pastoral beschritt. Mit Jugend- und Bibelarbeit, bei der er Medien wie Dias und Filme benutzte, mit Exerzitien und der Förderung von Priesterberufen setzte er von Anfang an Schwerpunkte. Großen Wert legte er auf die kirchlichen Erneuerungsbewegungen in der Liturgie und Kirchenmusik. Ab 1925 gab er eine eigene Kirchenzeitung heraus. Am 16.11.1927 wurde ein Jugendheim eingeweiht. Wegen der immer größer werdenden Zahl der Arbeitslosen baute B. eine außergewöhnliche Caritasarbeit auf, er gründete ein Hilfswerk für Arbeitslose und eine Baugenossenschaft und machte viele Hausbesuche.
Gegen Ende der Weimarer Republik nahm B. beim Verlesen der Hirtenbriefe sehr scharf Stellung gegen Kommunisten und auch gegen die in Sieglar entstandene NSDAP. In seiner Kirchenzeitung stellte er am 12.1.1932 ausdrücklich fest, daß für kam. Christen die Mitgliedschaft in der NSDAP nicht erlaubt sei. In diesem Zusammenhang schloß er den Nationalsozialisten und späteren Bürgermeister von Sieglar von den Sakramenten aus. Die aktiven Katholiken sahen diese Maßnahme als eine im Gehorsam gegen den Bischof vollzogene Konsequenz an. B. ging allerdings kompromißlos und kämpferisch über die Anweisungen von Kardinal Schulte hinaus und orientierte sich an der für ihn eindeutigeren Stellungnahme des Mainzer Generalvikars. Nach dem 30.1,1933 und der Lockerung der bischöflichen Kritik am NS ließ B. den zunächst nur kommissarischen Bürgermeister wieder zu den Sakramenten zu und hielt sich mit seiner Kritik zurück. Doch die heftigen Auseinandersetzungen waren auf beiden Seiten noch nicht vergessen. Seine eigene Position in dem keineswegs aufgegebenen Kampf formulierte B. in einer Verkündigung am Sonntag, den 15.4.1934, unter Anspielung auf Jes 56,1 Off. wie folgt: „(...) Durch den Mund des Propheten macht der Herr den Priestern des Alten Testaments einen schweren Vorwurf. Er nennt sie stumme Hunde (...) Ich will mit dem Vorwurf eines stummen Hundes nicht belastet werden (...)“. Dieser Ausspruch stand über dem Denken und Handeln B.s bei den sich immer mehr zuspitzenden Auseinandersetzungen mit den örtlichen Vertretern des NS-Regimes. B. konnte und wollte nicht schweigen, der Irrtum, auch wenn er vom Staat verordnet war, mußte bekämpft werden, um seine ihm anvertrauten Gläubigen zu schützen. Er wehrte sich gegen Angriffe und Verleumdungen und übte immer wieder Kritik: So z.B. mit einer Predigt gegen die angebliche Pflichtmitgliedschaft in NS-Verbänden; mit einer Äußerung über die Aufrüstung Deutschlands; mit einer Predigt über die Erziehungsrechte der Eltern; durch verbotenes Tragen der PX-Fahne an Fronleichnam; durch die Gründung eines neuen kath. Vereins; mit unregelmäßiger Beflaggung des Pfarrhauses; mit einer Predigt, der Glaube der Kinder werde in der HJ gefährdet. 50 verschiedene Anlässe für weitere Auseinandersetzungen sind nachweisbar. Dabei unterstützten die Gläubigen ihren Pfarrer. Die kämpferische Einstellung B.s, die von seinem Generalvikar und auch von seinen Mitbrüdern nicht immer geteilt wurde, führte zu vielen Schikanen durch die örtlichen Behörden, schließlich zum Verbot, Religionsunterricht zu erteilen und zur ersten Ausweisung aus dem Regierungsbezirk Köln am 4.7.1935. B. lebte von diesem Tag bis zum 16.4.1936 an verschiedenen Orten außerhalb des Regierungsbezirks Köln. Von seiner kirchlichen „Behörde“, so schrieb er in einem Brief vom 18.12.1935 an das „Generalvikariat Cöln“, sei er enttäuscht, da er keine Anerkennung und Hilfe erfahren habe. „Ich habe das demütig-stolze Bewußtsein, daß ich in Sieglar meine letzten Kräfte eingesetzt habe. Leitfaden war mir Phil,1.27f (...) ,in einem Geiste zusammenstehen, »einmütig für den Glauben und das Evangelium kämpfen und sich in keiner Weise von Widersachern einschüchtern lassen' (...)“. In Briefen hielt B. Kontakt zu seiner Pfarrgemeinde.
Nach Aufhebung des Aufenthaltsverbots aufgrund einer allgemeinen Amnestie kehrte B. am 10.5.1936 nach Sieglar zurück. Zunächst war er sehr vorsichtig. Doch schon in einem Brief vom 22.5.1937 an den Generalvikar war die Rede von einer erneuten Vorladung der Polizei. Es wurde ihm u.a. vorgeworfen, er habe „für Priester, die in Haft und Gefängnis sich befänden, in der Hl. Messe gebetet“ und unerlaubt Religionsunterricht erteilt. Am 10.7. erfolgte wegen dieser und anderer Gründe die zweite und endgültige Ausweisung aus dem Regierungsbezirk.
Seine Situation vor seinem Amtsantritt in Monheim beschrieb er später in der Pfarrchronik mit folgenden Worten: „In dieser Exilzeit weilte ich — besser irrte ich umher — in Neuß, Grevenbroich, Westerwald, Angermund, Kempenich (Eifel), Richrath“. In einem Brief vom 12.10.1937 an den Generalvikar hieß es: „Ich bitte sich des körperlichen und seelischen Druckes, der auf mir liegt, erbarmen zu wollen und mir eine neue Wirkungsstätte baldmöglichst zuzuweisen“. Nachdem ihm am 9.4.1938 die Pfarre St. Gereon in Monheim angeboten worden war und er dort Erkundigungen eingeholt hatte, entschied er sich bald für diese Stelle. Ob ihm dabei bewußt geworden ist, daß er auch in Monheim mit sehr aktiven NS-Vertretern rechnen mußte? Immerhin war der damalige NS-Bürgermeister von Monheim Träger des Goldenen Parteiabzeichens und somit ein Mann der alten NS-Garde. Bereits am 25.5.1938 hatte die Gestapo Köln die schon sehr umfangreiche „Personalakte Böhm“ — so die Schreibweise des Namens — an die Gestapo-Leitstelle nach Düsseldorf überstellt. Am 16.6.1938 wurde B. am Fronleichnamsfest zunächst in „aller Stille und Heimlichkeit“, wie es in der Pfarrchronik heißt, eingeführt. An der öffentlichen Einführung am 26.6.1938 nahmen viele Jugendliche mit ihren Bannern und eine große Zahl von Gläubigen aus Sieglar und Monheim teil. B. stellte ungebrochen und engagiert in einer sehr ausführlichen Predigt sein pastorales Programm vor, wie er es in Sieglar bereits praktiziert hatte.
„Die erste in Angriff genommene Arbeit war die Instandsetzung des Pfarrsaales“ — so die Eintragung B.s in der Pfarrchronik —, um auch außerhalb des Kirchenraumes eine Möglichkeit für die „religiöse Unterweisung“ haben zu können. Der Pfarrsaal trat schnell in Konkurrenz zum gerade erbauten NS-Jugendheim. Daraus entstand ein erster Konflikt. Die Geldsammlung für die Renovierung führte zu einem Strafverfahren. Mit Kriegs beginn wurde der Pfarrsaal für die Unterbringung polnischer Kriegsgefangenener beschlagnahmt und ebenso das Wohnzimmer des Pfarrers, das dann als Wachlokal diente. Obwohl es in dieser Situation nicht ungefährlich war, bemühte sich B. am 18.12.1939 darum, mit polnischen Kriegsgefangenen am 1. Weihnachtstag eine hl. Messe feiern zu dürfen. Er berief sich in seinem Schreiben an den Landrat auf die „Richtlinien für Kriegsgefangene“ des Generalvikariats und auf die Rücksprache mit der örtlichen Behörde. Bis zum Jahresende 1940 konnte er sich ungestört um die Polenseelsorge, sein altes Herzensanliegen, kümmern. Ostern 1940 organisierte er eine „Religiöse Woche“. Vom 18. bis 25.5.1941 konnte sogar eine „Religiöse Jugendwoche“ in St. Gereon stattfinden, an der 144 Jungen und Mädchen teilnahmen. Wie auch in Sieglar besuchte B. nach einem Plan, der noch erhalten ist, alle kath. Familien seiner Pfarre. Viel Mut und Glaubenskraft gehörten zu Durchführung all dieser hier nur unvollständig aufgeführten Aktivitäten. Es waren Glaubenskundgebungen, die aber von den großen und kleinen NS-Machthabern als Konfrontation und Provokation ausgelegt wurden. Als mit der Schlacht um Stalingrad der Krieg seinen schrecklichen Höhe- und Wendepunkt er. hatte, kam es am 25.10.1942 am Christkönigsfest durch eine Predigt zu einem wichtigen Anlaß für die spätere Verhaftung B.s. Er rief in dieser Predigt, die in einer Mitschrift der Gestapoakte erhalten ist, zur Standhaftigkeit im Christentum und zum Kampf gegen den „Fürst dieser Welt“ auf. Ferner sprach er von dem „wahnwitzigen Unterfangen, dessen Ende nur ein Ende mit Schrecken“ sein könne. Diese Formulierungen waren im Kontext der Predigt nicht unmittelbar auf die Kriegsereignisse bezogen, wurden aber von der Gestapo so interpretiert. Wegen dieser Predigt zeigte der NS-Bürgermeister am 1.12.1942 B. in einem Briet bei der Gestapo Düsseldorf an und bat schon zu diesem Zeitpunkt um dessen Einweisung in ein KZ. Es kam aber nur zu einem Verhör und zu der Verhängung eines Sicherungsgeldes in Höhe von 3 000,—RM.
B. wurde im Jahr 1943 vorsichtiger, doch lange konnte er nicht schweigen. In seiner Osterpredigt für die Erstkommunikanten am 14.4.1944 übte er Kritik an NS-Filmen, die im Kino unmittelbar neben der Kirche St. Gereon gezeigt wurden. Um welche Filme es sich dabei gehandelt hat, ist nicht sicher verbürgt. Belegt ist nur der ihm in der Gestapo-Akte zur Last gelegte Ausspruch: „(...) man gebe den Kindern im Kino Schweinefutter zur Speisung (...)“. B. hatte anscheinend ins Herz der NS-Propaganda getroffen, oder man hatte nur nach einem neuen Anlaß gesucht, um ihn am 5.6.1944 in der Kirche zu verhaften. Entscheidender Grund für die Verhaftung waren die vielen kritischen Auseinandersetzungen B.s mit dem N5 in seiner Sieglarer und Monheimer Zeit.
Der inzwischen 64jährige B., der an einer Nervenentzündung litt, wurde in einem Einzeltransport nach seiner Untersuchungshaft in Wuppertal in das KZ Dachau gebracht. Er erhielt die Häftlingsnummer 91 577. B. erkrankte bald an Gesichtsrose, er war geschwächt durch die Strapazen der Haft und die Schrecken des KZ-Umfeldes. Leidensgenossen erinnerten sich daran, daß B. zeitweilig von Mut- und Kraftlosigkeit erfüllt war. Der Mithäftling Dr. Carls berichtete allerdings später in seiner Trauerpredigt bei den Exequien in Monheim: „...Er hat eine stramme Haltung gehabt, wenn er auch in mancher Stunde von Sehnsüchten geplagt war (...) Er war eine Kampfnatur. Er hat es immer noch gezeigt. In keiner Weise hat er sich vor den SS-Leuten etwas vergeben (...)“• Jesuitenpater Otto Pies spendete B. die Sakramente, der Steyler Pater Franz Dabeck stand B. bei, als er am 13.2.1945 starb. Seine Leiche wurde verbrannt.
Die zivilen und kirchlichen Autoritäten in Sieglar und Monheim halten die Erinnerung an ihren Pfarrer wach. In Monheim und Sieglar sind Straßen nach ihm benannt. Das Pfarrheim von St. Gereon in Monheim erhielt am 15.2.1989 den Namen „Pfarrer-Franz-Boehm-Haus“. Im gleichen Jahr wurde seiner in einer Gedenkschrift, in mehreren Veranstaltungen und in einer großen Ausstellung gedacht.
QQ: AEK; HSTAD — RW 58, Nr. 9323; BA Pd, Best. 51.01, 22251, 62-166; Pfarrarchiv St. Johannes Sieglar; Pfarrchronik; Kirchenzeitung der Pfarrei Sieglar (1925-1937); Pfarrarchiv St. Gereon Monheim; Pfarrchronik; Verkündigungsbücher Akten 267-271 (1937-April 1944); Sammlung zur Ausstellung über B. im Jahr 1970 und 1989; Stadtarchiv Monheim., Akte Alltag im Dritten Reich, 2 Bde.; Carls; Kadi. Kirchengemeinde St. Gereon, Monheim, F. B., ein Glaubenszeuge unserer Gemeinde. Eine Dokumentensammlung über seinen Widerstand gegen den Nationalsozialismus [Vorwort P. Buter] (o.O. o.J. [1989]); mdl. Mitteilungen von Pfr. Hubert Schultchen f (1970), Pfr. i.R. Hans Meixner, Königswinter (1994), Rudi Pohlmann, Monheim (1997), Heinrich Behrens, Monheim (1997), Willi Firneburg, Monheim (1997), Msgr. Theodor Buter, Mettmann (1998), Msgr. Dr. Wilhelm Meuser, Bonn (1998), Msgr. Johannes Schwickerath, Siegburg (1998).
Lit.: A. Schulte, Von Monheim ins KZ — F. B., in: Land an Wupper und Rhein. Heimatkalender 1970, 72-78; Hehl, Katholische Kirche, bes. 222-225; Stadt Monheim (Hrsg.), Begleitschrift zu einer Ausstellung im Kulturzentrum der Stadt Monheim vom 22.2. bis 22.3.1985 (Monheim 1985); Hegel, 630; H. Welfens, Die Rheingemeinden unter dem Hakenkreuz. Alltag in Monheim, Baumberg und Hitdorf 1933-1945 (Monheim 21987) 116-128; St. Krenzel, Pfarrer B. (1880-1945) als exemplarische Gestalt kirchlichen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus im Erzstbistum Köln (Diplomarbeit Bonn 1989); U. v. Hehl, Die katholische Kirche im Rheinland während des Dritten Reiches. Kirchenpolitische und alltagsgeschichtliche Aspekte, in: RhV 59 (1995) 249-270, bes. 261-263; Hehl-Kösters, Priester4, 701f.
Peter Buter