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Rektor Theodor Helten

Priester des Erzbistums Köln * 9. April 1897 Köln-Ehrenfeld +18. Mai 1942 KZ Sachsenhausen

„Die durch die Nationalsozialisten bewirkte künstliche Vereinzelung der Deutschen ist Ursache, daß nicht allen alle unsere Märtyrer bekannt sind und daß von denen, die man kennt, nicht viel mehr als der Name bekannt ist". Diese Einsicht der ev. Schriftstellerin Ricarda Huch (1864-1947) trifft auf Theodor Helten zu, der am 9.4.1897 als Sohn des Pferdekutschers Hermann H. und seiner Ehefrau Gertrud, geb. Albrecht, in Köln-Ehrenfeld, einem Arbeiterviertel im Westen der Domstadt, das Licht der Welt erblickte. Zusammen mit sechs Geschwistern wuchs er im Bereich der Pfarre St. Joseph auf, die, 1866 vom Stadtteil Bickendorf abgetrennt, 1869 zur selbständigen Pfarre erhoben wurde. Sein Pfarrer war Peter Joseph Ropertz, der von 1869 bis 1902 amtierte. Angesichts der mehr als 16 000 Katholiken wurden der Pfarre vier Kapläne zugeteilt. H. studierte, wie es damals die Regel war, drei Jahre Theologie an der Universität Bonn. Eine einjährige Zeit im Kölner Priesterseminar an der Marzellenstraße schloß sich an. Unter den 76 Diakonen, die am Fest des hl. Laurentius 1923 im Hohen Dom zu Köln durch Kardinal Karl Joseph Schulte die Priesterweihe empfingen, befand sich auch H. Ein Zeitzeuge, der damalige Ministrant Konrad Porschen, kann sich noch lebhaft an die Primiz in Köln-Ehrenfeld erinnern.

Der Kölner Oberhirte, seit 1920 Erzbischof und seit 1921 Kardinalpriester, schickte den Neupriester am 11.12.1923 nach Nievenheim. Die zum Dekanat Zons gehörende Pfarrei mit ihren mehr als 2 600 Katholiken bildete seit dem 16. Jh. einen Kristallisationspunkt für Pilger aus nah und fern, die Christus als „Salvator" verehrten. H.s erste Kaplansstelle sollte nur von kurzer Dauer sein, wurde er doch schon am 16.8.1924 in das oberbergische Morsbach im Dekanat Wissen versetzt. In dieser 3 300 Seelen großen Pfarrei wohnten mehrheitlich Landwirte und Grubenarbeiter. Nach fast vierjähriger Tätigkeit ernannte ihn Kardinal Schulte zum Kaplan an St. Johannes der Täufer in Meckenheim, einer Gemeinde mit gut 2 300 Katholiken, wo er am 6.3.1928 seinen Dienst antrat.

Drei Jahre später, am 23.3.1931, wurde H. zum Rektoratspfarrer in Heisterbacherrott, das damals zum Dekanat Beuel gehörte, ernannt. In dieser 575 Katholiken zählenden Gemeinde bestand eine Wallfahrt zu Ehren des hl. Judas Thaddäus, eines der zwölf Apostel (Mk 3,18 bzw. Mt 10,3; Lk 6,16 bzw. Apg 1,13; Joh 14,22), der in der Volksfrömmigkeit seit Jhh. in aussichtslosen Situationen angerufen wurde. Bereits 1911 hatte Rektor Rudolf Schmidt eine Thaddäusreliquie erworben. Kurze Zeit später entwickelte sich eine Wallfahrt, angestoßen und vorangetrieben von Gertrud Finette (1879-1943), einer Geschäftsfrau von St. Marien in Bad Godesberg. Nach H.s Amtsantritt nahm die monatliche Godesberger Wallfahrt feste Formen an, Pilgerkreise aus den Nachbarorten entstanden, und Spenden erlaubten der armen Kirchengemeinde die Anschaffung zahlreicher Paramente sowie einer Orgel. Der neue Seelsorger engagierte sich auch persönlich für die einen erstaunlichen Aufschwung nehmende Wallfahrt, indem er den Aushilfsgeistlichen Kost und Logis bot, mit einem Kleinmotorrad die Werbeaufgaben erfüllte sowie die anfallenden Druck- und Portokosten für die häufigen Einladungen aus seinem bescheidenen Privatvermögen bezahlte. Er mußte sich mit einem ziemlich verbauten Pastorat zufrieden geben, in dem außer ihm seine kränkliche Mutter sowie zwei Privatschüler lebten, denen er Unterricht gab, die alle von einer Haushälterin versorgt wurden. Ein Zeitzeuge berichtet, H. habe ihm unentgeltlichen Lateinunterricht erteilt, weil er dort Ministrant gewesen sei. Der neue Seelsorger, persönlich zurückhaltend und kontaktarm, konnte auf die Hilfe seines Kirchenvorstandes bauen, wenn es darum ging, für einen reibungslosen Ablauf der Wallfahrten zu sorgen. Jedes Jahr zählten die Dorfbewohner eine größere Zahl von Gläubigen, die zu Fuß oder mit Bussen von der Eifel bis zum Westerwald, vom Niederrhein bis zum Bergischen Land nach Heisterbacherrott aufbrachen, um ihren Heiligen zu verehren.

Solche religiösen Versammlungen aber waren den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Dem Konkordat von 1933 zum Trotz schränkten sie die Aktivitäten der Kirche nach und nach ein, indem sie z.B. den Verbänden ab 1937 jedes öffentliche Auftreten verboten und die Priester in die Defensive drängten. Es sollte nicht lange dauern, bis H. angeschwärzt wurde: Unbekannte beschuldigten ihn der Unterschlagung von Wallfahrtsgeldern und der Steuerhinterziehung. Die anonymen Denunziationen führten im April 1937 zur Festnahme H.s. Volle 18 Monate saß er im benachbarten Königswinter im Gefängnis ein. Die Kirchenchronik von Heisterbacherrott hält dann fest: „Darauf frei gelassen; da die Anschuldigungen wohl nichtig waren. Für einen Tag kam er 1938 nach Heisterbacherrott. Da berieten die Nazis, und ließen ihm mitteilen, sie würden einen Demonstrationszug gegen ihn im Dorf veranlassen. Daraufhin wird dann die Gestapo (Die geheime Staatspolizei) ihn in Sicherheit bringen d.h. wieder verhaften. Auf Grund dessen verließ er nach einem Tag Heisterbacherrott". Über die Hintergründe dieser üblen Machenschaften hielt ein Zeitzeuge, dessen Vater Mitglied des Kirchenvorstandes war, im Dezember 1996 fest, die Verhaftung sei „auf Befehl der Gestapo Bochum" ergangen, wie ihm der verhaftende Polizeihauptwachtmeister später mitgeteilt habe. Wörtlich heißt es: Die o.g. Beschuldigungen „waren haltlos. Rektor Helten war in finanziellen Dingen akribisch genau. So hatte er in Zigarrenkistchen für jede Aktion das Geld und die dazugehörigen Aufzeichnungen über Eingang und Bestände aufbewahrt. Noch bei der letzten Kirchenvorstandssitzung vor seiner Verhaftung habe er alles den Teilnehmern vorgelegt. Mein Vater hatte ihn bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam gemacht, daß es doch besser sei, das Geld der Spar- und Darlehenskasse anzuvertrauen, als im Hause aufzubewahren. Darauf ist Helten aber nicht eingegangen. Die Gelder waren für die verschiedensten Zwecke gedacht. Für die Ausmalung der Kirche, für den Kindheits-Jesu Verein und für mehrere karitative Zwecke. Natürlich fielen die Gelder bei der Hausdurchsuchung auf und man sah sich in dem Verdacht der Unterschlagung bekräftigt.

H. wurde zunächst in das Amtsgerichtsgefängnis nach Königswinter gebracht. Mein Vater besuchte ihn dort mit zwei Mitgliedern des Kirchenvorstandes und im Nachhinein alleine. H. war sehr, sehr niedergeschlagen und wußte selbst nicht, warum und weshalb. Später wurde er der Justizverwaltung Bonn überstellt. Daß nunmehr hier oder da von einigen wenigen Parteigenossen laute Vermutungen ausgesprochen wurden, man könnte auch sagen Denunzierungen erfolgten, war nicht zu verhindern. Mein Vater wurde wegen seiner Besuche bei Helten im Gefängnis vor ein örtliches Polizeigefängnis zitiert, bei dem außer den örtlichen Parteigenossen der Ortsgruppenleiter und ein Kreisfunktionär fungierten (…).

Ob Rektor Helten in bestimmten Kreisen gegen das Regime agitierte, ist auch nicht bekannt. Zuzutrauen wäre es ihm schon gewesen, denn mit meinem Vater pflegte er politische Gespräche, denn das Hetzen und Vorgehen gegen die Juden ließen für ihn die Vermutung aufkommen, dass es eines Tages auch gegen die Kirche ging. Daß sich hin und wieder ein Parteiangehöriger hinter dem Kirchenpfeiler stehende Notizen bei seiner Predigt machte, blieb Helten nicht verborgen. Fest steht, daß Helten meiner Erinnerung nach fast eineinhalb Jahre im Gefängnis war und ohne Verurteilung entlassen wurde.

Eine Nacht nur verbrachte er nach seiner Entlassung in seiner Wohnung und hat am frühen Morgen noch einmal in seiner ihm liebgewordenen Kirche eine hl. Messe zelebriert. Davon hat nur der Küster gewußt, der ihm ja schließlich die Kirche aufschließen mußte. Aber meines Wissens hat ihn kein Bewohner aus der Gemeinde mehr gesehen. So hat er dann bei Nacht und Nebel das Dorf verlassen .

Hier werden die möglichen Gründe genannt, die zur Inhaftierung H.s geführt haben: Die Hetze und das praktische Vorgehen der Nationalsozialisten gegen die Juden erfüllten ihn mit großer Sorge, auch die mögliche Konsequenz, bald würde die kath. Kirche ebenso verfolgt werden. Religiöse Motive standen demnach am Anfang seines bitteren Leidensweges. Er war schon gewarnt, insofern seine Predigten überwacht und ihre Inhalte weitergeleitet wurden.

Die Kirchenchronik von Heisterbacherrott weiß diesbezüglich folgendes: „Nach einiger Zeit wurde Herr Pfr. Theod. Helten von d. Erzbischöflichen Behörde in der wandernden Kirche verwandt und kam in die Umgebung von Berlin". Dies wird durch einen Zeitzeugen bestätigt. Schon 1934 hatte die Fuldaer Bischofskonferenz die spezielle Seelsorge in Arbeitsdienstlagern mit Sitz in Berlin gegründet. Bischof Maximilian Kaller, der Leiter dieser neuen Einrichtung, schrieb, dieser Begriff „bezeichnete den Strom der außerordentlichen Wanderung, der auf Grund besonderer Maßnahmen des Staates fast alle Jugendlichen vorübergehend erfaßte (...). Von allen deutschen Diözesen, besonders den großen Heimatdiözesen der Wandernden unterstützt, hat der Katholische Seelsorgsdienst in den Diasporagebieten Ost- und Norddeutschlands für die Betreuung durch eigens für diese Arbeit entsandte Priester gesorgt". Weil den Bischöfen zu Ohren gekommen war, daß die Heime programmatisch entkonfessionalisiert wurden und die kath. Seelsorger systematisch von den männlichen und weiblichen Jugendlichen ferngehalten wurden, was manchen Kirchenaustritt zur Folge hatte, entschlossen sie sich zum Einsatz vieler Priester auf diesem nicht leichten Feld. Kardinal Schulte hatte Ende der dreißiger Jahre, als 6,5 Millionen Katholiken von der „Wandernden Kirche" begleitet wurden, immer wieder Jungpriester für diese Aufgabe freigestellt, obwohl das Kirchliche Amtsblatt H. weder 1938 noch 1939 erwähnt.

Noch einmal die Kirchenchronik: „Die Gestapo verfolgte ihn [bei der Wandernden Kirche] und brachte ihn bald in das Konzentrationslager Oranienburg bei Berlin". Offensichtlich hatte sich die Gestapo zum Ziel gesetzt, H. nicht nur aus Heisterbacherrott zu vertreiben, sondern ihn auch zu vernichten. Wie aus der Sterbeurkunde des Standesamtes Oranienburg vom 21. 5. 1942 hervorgeht, ist „Rektor Theodor H e 11 e n, katholisch, wohnhaft in Köln, Görresstraße 8, ... am 18. Mai 1942 um 5 Uhr 15 in Oranienburg im Lager Sachsenhausen verstorben". Als Todesursache wurde „Bronchopneumonie" angegeben. Die Eintragung erfolgte „auf schriftliche Anzeige des Lagerkommandanten des Lagers Sachsenhausen in Oranienburg". Der Auskunft der „Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen" vom 10.4.1997 zufolge ist die „Leiche (...) mit ziemlicher Sicherheit im ,kleinen' Krematorium auf dem Industriehof des KZ Sachsenhausen verbrannt worden". Die Kirchenchronik hielt fest: H. „war im Konzentrationslager zu Tode gequält worden, dann verbrannt, damit man die Todesspuren nicht sehen konnte". Eine Nichte ergänzte, H.s Mutter, die verschiedentlich in Berlin gewesen sei, um ihren Sohn im KZ zu besuchen, habe ihren Verwandten berichtet, i voller Wunden und Striemen gewesen, d aber weder pflegen noch verbinden d Über den Verbleib der Urne gab eine Nichte unter dem 15.7.1997 folgendes zu Protokoll: „Des weiteren ist mir bekannt, daß meine Mutter im Auftrag von meiner Großmutter nach dem Ableben meines Onkels im Jahre 1942 die Urne auf der Aachener Straße gegenüber dem Eingang zum Melatenfriedhof gegen Zahlung eines Entgeltes im Empfang genommen hat. Diese Urne wurde dann in einen Holzsarg eingebaut, damit ein christliches Begräbnis stattfinden konnte. Die Beisetzung erfolgte im elterlichen Grab auf dem Friedhof Köln-Bocklemünd (Westfriedhof)".

In Heisterbacherrott lebt Rektor H. weiter. Auf Vorschlag eines Mitglieds des dortigen Kirchenvorstandes wurde 1996 eine Straße nach ihm benannt. Nicht nur der „Rektor-Helten-Weg" wird die Erinnerung an diesen ebenso tapferen wie um des Glaubens willen getöteten Martyrerpriester bewahren. Auch im Erzbistum Köln ist sein Name unvergessen. In seinem Eintreten auch für die Würde des Menschen bewies er seinen Gegnern, daß der moralische Wert eines Menschen gerade dort beginnt, wo er bereit ist, für seine Überzeugungen sein Leben einzubüßen.

QQ: BA Pd, Best. 51.01,22263,175-184; Pfarrarchiv der Kath. Kirchengemeinde St. Judas Thadäus Königswinter-Heisterbacherrott, Chronik S. 26f.; Kirchlicher Anzeiger für die Erzdiözese Köln 71-79 (Köln 1931-1939); Handbuch des Erzbistums Köln. 23. Ausgabe (Köln 1933); 24. Ausgabe (Köln 1954); Pfarrarchiv der Kath. Kirchengemeinde St. Judas Thaddäus Königswinter-Heisterbacherrott, 26f.; AEK: Bestand Heisterbacherrott Nr. 6501; Pfarrarchiv Niederdollendorf, Karton 6500-6900; Totenurkunde Nr. 1489 vom 21. 5.1942; H. Klein, So war es damals. Heisterbacherrott zwischen den Kriegen (o.O. o.J. [1992])125f.; ders., Krieg und Währungsreform im Siebengebirge. Ein Heisterbacherrotter berichtet (o.O. o.J. [1994]) 18f.; ders., Erinnerungen an den Priester Th. H., Dezember 1996 (Ms.); mdl. Auskünfte von Elvira Pilgram, Köln, einer Nichte H.s, vom 25. 3. 1997; schriftl. Mitteilungen von Gertrud Hahselbach-Wankellier, Köln, einer Nichte Heltens, vom 15.7.1997, von Victor Finette, Bonn, vom 13.1.1998, und von Zeitzeuge Konrad Porschen, Köln, vom 15.1.1998.

Lit.: M. Kaller, Wachsende Sorge um die „Wandernde Kirche", in: Priester-Jahrheft des Bonifatiusvereins 1940 (Paderborn 1940) 3-14; R. Huch, Aufruf, in: Weisenborn, Aufstand, 9; H. J. Schmitt, Der „Katholische Seelsorgsdienst" für die „Wandernde Kirche". Eine Einrichtung der deutschen Bischöfe zur Zeit des Nationalsozialismus, in: W. Corsten u.a. (Hrsg.), Die Kirche und ihre Ämter und Stände. Festgabe Joseph Kardinal Frings (Köln 1960) 600-636; Hehl, Katholische Kirche, 225 Anm. 233; Hehl, Priester, 535; Hegel, 630; M. Walz, „Man kann auch in Godesberg beten": Bonn und die Thaddäus-Wallfahrt Heisterbacherrott, in: Katholisches Bildungswerk Bonn (Hrsg.), In Bonn katholisch sein. Ursprünge und Wandlungen der Kirche in einer rheinischen Stadt (Bonn 1989) 146-158; A. Brecher, Sorge um die „Wandernde Kirche" im Bistum Aachen 1934-1945, in: Geschichte im Bistum Aachen. Bd. 2. Hrsg. vom Geschichtsverein für das Bistum Aachen e.V. (Aachen-Kevelaer 1994) 317-410; H. Moll, Rektor Th. H. (1897-1942). Ein Märtyrerpriester aus Heisterbacherrott, in: Heimatblätter des Rhein-Sieg-Kreises 64/65 (1996/1997) 241-245; Hehl-Kösters, Priester4, 731.1970; Moll, Leben, 26f.

Helmut Moll