1-385

Dr. Dr. Lisamaria Meirowsky

Ärztin

* 7. September 1904 Graudenz/Weichsel

+ 9. August 1942 KZ Auschwitz

Am Ufer der Weichsel, in der Stadt Graudenz (von 1772 bis 1920 preußisch) wurde Lisamaria Meirowsky am 7.9.1904 geboren. Ihr Vater Emil M. (* 1876 Guttstadt/Ostpreußen) war Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten und zog 1908 nach Köln-Lindenthal. 1910 wurde in Köln Sohn Max Arnold geboren.

M., die in einem großbürgerlichen jüdischen Elternhaus aufwuchs, besuchte ein Kölner Humanistisches Gymnasium und erwarb dort ihr Abitur. An dieser Schule war der Kölner Diözesanpriester Wilhelm Neuß als Religions- und Mathematiklehrer tätig. M. nahm im Oktober 1923 an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn ihre medizinischen Studien auf. Dort suchte sie den mittlerweile in Bonn tätigen Prof. Neuß auf. Dieser beriet M. mündlich und schriftlich über ihre geplante Konversion, bevor sie sich zum Weiterstudium nach München im Oktober 1925 begab.

Erst am 18.8.1927 meldet sich M. wieder bei Neuß mit einem Brief, der ihre schweren seelischen Auseinandersetzungen erkennen läßt: „Ich kann nicht katholisch werden. Ihre Kirche war in schweren Stürmen, in Zeiten großer innerer Not meiner Seele Herberge geworden, aber nicht Heimat (...). Ich bin nicht mehr ohne Gott. - Das ist ein unendlich, unnennbar großes Geschenk, das ich zum großen Teil ihrer Kirche danke. Aber man muß Gott immer wieder suchen, sonst verliert man ihn. (...) Ich muß jetzt sein, was ich bin, ein außerhalb der Kirche stehender Mensch." - Ihr Medizinstudium in München beendete sie im Frühjahr 1933 mit der Dissertation.

Wahrscheinlich nach Abschluß ihrer Promotion suchte sie wiederum in Bonn Neuß auf. Sie berichtete von einer schweren durchstandenen Erkrankung, die sie in Todesnähe gebracht hatte. Die Notwendigkeit einer religiösen Entscheidung sei ihr klar geworden. Mit Bezug auf die neue politische Situation in Deutschland gelte ihre Konversion auch nicht als opportunistischer Akt, denn die Machthaber würden keinen Unterschied zwischen nicht getauften und getauften Juden machen. Neuß vermittelte die junge Ärztin zum Konvertitenunterricht an Dr. Josef Könn, den Pfarrer von St. Aposteln in Köln. Am 15.10. 1933 empfing M. in der (1944 durch Bomben zerstörten) Kapelle des Malteserkrankenhauses in Bonn durch Neuß das Sakrament der Taufe.

Danach für kurze Zeit nach München als Universitätsassistentin zurückgekehrt, verließ M. bald darauf Deutschland, denn die Machthaber behinderten wegen ihrer jüdischen Abstammung ihre berufliche Tätigkeit. Ihrem Vater, Vorsitzender der Kölner Ärztekammer, war am 24.11.1933 die Lehrbefugnis entzogen worden. M. entschied sich für Rom, wo sie wiederum das Medizinstudium aufnahm, das sie später mit einer zweiten Promotion abschloß. In Rom traf sie auf den aus Deutschland geflüchteten Dominikanerpater Franziskus M. Stratmann (1883-1971). Dieser trug sich mit dem Gedanken, eine dominikanische Genossenschaft von Frauen zu gründen: Pax Christi in regno Dei, kurz Christkönigsdominikanerinnen genannt, inspiriert von der Christkönigsenzyklika Quasprimas Pius' XI. M. begeisterte sich für den Plan, und P. Stratmann nahm, als sich drei weitere Postulantinnen meldeten, sie schon als Oberin in Aussicht. M. wurde als Tertiarin eingekleidet in der Zelle des hl. Dominikus in S. Sabina und erhielt den Namen Maria Magdalena Dominika. Drei der zukünftigen Schwestern unterzogen sich zunächst einer geistlichen Ausbildung im Mutterhaus der Dominikanerinnen von Bethanien in Montferrandle-Chäteau.

M. ging mit P. Stratmann im Sommer 1938 in die Niederlande, um in Utrecht im Werk von Prof. Schmutzer für nichtarische Flüchtlinge aus Deutschland mitzuhelfen. Eine Rückkehr nach Köln war inzwischen unmöglich geworden. Im Februar 1936 war ihrem Vater die Führung der akademischen Titel verboten worden, 1939 emigrierte er nach England, 1947 in die USA, wo er 1960 starb.

Der 10.5.1940 wurde mit dem Einmarsch der deutschen Truppen in die Niederlande auch für M. zum Schicksalstag. Am 14.10.1941 fand sie Unterschlupf bei den Trappistinnen in der Abtei Koningsoord in Berkel-Enschot (Brabant). Wohnung nahm sie im Pförtnerhaus, wo sie von nun an als Pförtnerin und auch als Ärztin für den Konvent ihre Dienste tat. Mit dem inzwischen in Belgien untergetauchten P. Stratmann konnte sie auf heimlichem Korrespondenzweg in Verbindung bleiben. Der letzte Brief erreichte ihn am 9.8.1942, ihrem vermutlichen Todestag in Auschwitz. Beunruhigt über ihr Schicksal, ließ er im Februar 1943 bei den Trappistinnen in Berkel-Enschot anfragen. Die Antwort schrieb eine Schwester: „Zu Beginn des Monats August hat sie [M.] unser Haus mit zwei anderen Schwestern (ebenfalls Nichtarierinnen) verlassen müssen. (...) Von Zeit zu Zeit schickte mich unsere Ehrwürdige Mutter ins Sprechzimmer, um mich mit Lisamaria zu unterhalten. Letzten Sommer war ich betroffen, wie sehr sie sich fortwährend mit dem Gedanken an den Tod beschäftigte. Sie bat mich, ihr alles darüber zu sagen, was ich Tröstliches darüber zu sagen wisse, und merkte es sich. Ich hatte den Eindruck, dal? Gott sie auf ein großes Opfer vorbereite."

P. Stratmann ergänzte diese Mitteilung durch seine eigenen Beobachtungen aus der Korrespondenz mit M.: „Daß Lisamaria in auffallender Weise sich im letzten Jahr auf den Tod vorbereitete, war auch mir bekannt, sie schrieb mir wiederholt darüber und schrieb mir einige Gebete ab, namentlich eine Vereinigung mit aller. Messen, die im Augenblick unseres Todes in der ganzen WELT dargebracht werden. Nachdem sie im vorletzten Brief geschrieben hatte, daß sie sich täglich fünf Minuten lang auf den Tod vorbereite, teilte sie im letzten mit, daß diese Beschäftigung mit den ,letzten Dingen' täglich nun länger dauere. Auch hatte sie sich in einem Heftchen eine Reihe solcher Gebete und Gedanken zusammengestellt."

Der Hirtenbrief der kath. Bischöfe der Niederlande, mit dessen Verlesung am 26.7.1942 in allen Kirchen gegen die Verschleppung der Juden durch die deutsche Besatzung protestiert wurde, löste die Verhaftungswelle am darauffolgenden Sonntag aus. Wahrscheinlich waren M. und die fünf Geschwister Lob die ersten, die die Häscher am 2.8.1942 zur Stunde des Morgenoffiziums verhafteten: Sr. Hedwige und Sr. Marie-Therese in der Abtei Koningsoord und die drei Löb-Brüder P. Ignatius, P Nivardus und Br. Linus in der benachbarten Abtei Koningshoven. Gemeinsam wurden sie in das Polizeilager Amersfoort eingeliefert, wo besonders die Männer durch angedrohte Erschießung gequält wurden. Dort trafen sie mit Sr. Teresia Benedicta a Cruce und den übrigen bei der landesweiten Razzia verhafteten Ordensleuten zusammen. Am 4.8. wurde die Gruppe in das Lager Westerbork weitertransportiert. Von hier aus erreichten später die Abtei der Trappistinnen noch drei Nachrichten von M. mit der Bitte um Kleidung, Dokumente und geistliche Literatur: Manuale Christianum, Missale Romanum, Preces Gertrudianae, Garrigou-Lagrange, Trois Ages de la Vie Interieure, „Im Banne der Dreieinigkeit", Bernadot, Notre Dame dans ma vie.

Für M. bedeutete es wahrscheinlich einen tiefen Trost, daß sie in der Haft am 4.8. (nach der damaligen liturgischen Ordnung) das Fest des hl. Ordensstifters Dominikus feiern durfte. Am Tag darauf schrieb sie ihrem Beichtvater, P. Frehe OP, einen Brief, der nicht nur für sie, sondern für alle in dieser besonderen Gruppe zusammengekommenen Frauen und Männer als ein außerordentliches geistliches Zeugnis bewertet werden muß: „Sie wissen wohl, daß wir hier sind und die Verschickung nach Polen abwarten. Morgen vormittag geht es weiter. Mit mir sind zwei Trappistinnen und die zwei Patres und ein Laienbruder der Abtei. Sonntagvormittag sind wir alle früh geholt worden nach Amersfoort ins Camp. Und Dienstag, dem Fest unseres hl. Vaters Dominikus, nach Westerbork bei Hooghalen geschickt worden. Ich weiß, guter Pater, daß Sie alles von Herzen mit mir erleben, mit uns allen. Auch Ihr geistliches Kind, Schwester Judith, ist hier, ebenso die Karmelitin aus Echt, die ich damals in Amsterdam traf. Eben darum will ich Ihnen einen letzten Gruß senden und Ihnen sagen, daß ich voll Vertrauen und ganz ergeben in Gottes heiligen Willen bin. Mehr noch: ich betrachte es als eine Gnade und Auserwählung, unter diesen Umständen weg zu müssen und so einzustehen für das Wort unserer Väter und Hirten in Christus.

Ist unser Leiden auch größer geworden, dann ist auch die Gnade doppelt so groß, und eine herrliche Krone ist uns bereitet im Himmel. Freuen Sie sich mit mir. Ich gehe mit Mut, Vertrauen und Freude - auch die Ordensschwestern, die mit mir sind - wir dürfen Zeugnis ablegen für Jesus und mit unseren Bischöfen zeugen für die Wahrheit. Wir gehen als Kinder unserer Mutter, der heiligen Kirche. Unsere Leiden wollen wir vereinigen mit dem Leiden unseres Königs, Erlösers und Bräutigams, sie aufopfern für die Bekehrung vieler, für die Juden, für die, die uns verfolgen,und so vor allem beitragen für den Frieden und das Reich Christi.

Falls ich es nicht überlebe, werden Sie wohl die Güte haben, später an meine geliebten Eltern und Brüder zu schreiben und ihnen zu sagen, daß das Opfer meines Lebens für sie ist. - Möge Gott ihnen das Licht des Glaubens geben und ewiges und zeitliches Glück, wenn es sein Wille ist. Übermitteln Sie ihnen allen meine Liebe und Dankbarkeit, und daß ich sie um Verzeihung bitte für alles Verkehrte und das Leid, das ich ihnen vielleicht antat. (...)

Alle unsere guten Freunde sind ins Gebet und Opfer eingeschlossen. (...)

Nun haben wir nicht einmal die hl. Messe und Kommunion, das ist das Schlimmste. Aber wenn Jesus es nicht will, will ich es auch nicht. Er wohnt in meinem Herzen und geht mit uns und gibt mir Kraft - er ist meine Kraft und mein Friede."

Der Bitte von M. sowie der Löb-Geschwister um nützliche Sachen und geistliche Bücher entsprach der Abt von Koningshoven, Dom Simon, durch Entsendung eines Boten nach Westerbork. Herr van Riel aus Tilburg machte sich am 6.8. auf den Weg. Dank eines Ausweises als Vertreter der Bierbrauerei „De Schaapskoi" und seiner Redegewandtheit gelang es ihm, ins Lager zu kommen und mit den Patres und den Schwestern zu sprechen. Mit M. konnte er ein längeres Gespräch führen, weil er sie von der Klosterpforte in Koningsoord her gut kannte. Sie trug eine Armbinde, denn als Ärztin war sie im Lager dem Roten Kreuz zugeteilt worden. Darüber muß sie sehr glücklich gewesen sein, weil ihr dadurch mehr Möglichkeiten gegegeben war, den anderen zu helfen, andererseits hätte sie darin eine Chance gesehen, vor dem Schlimmsten bewahrt zu bleiben. Am nächsten Morgen, als Herr van Riel zur Rückfahrt am Bahnhof Hooghalen stand, mußte er feststellen, daß sie und viele andere Menschen auf den Abtransport nach Polen geschickt worden waren. Auf der Westerbork-Liste A Nr. 17 vom 7.8.1942 ist ihr Name unter den nach Auschwitz Deportierten zu finden. Einen weiteren Beweis für ihren Tod in Auschwitz gibt es nicht; es kann angenommen werden, daß sie mit der Gruppe der Ordensfrauen sofort in die Gaskammer des „Weißen Hauses" geschickt worden ist.

Erst nach dem Krieg konnte P. Stratmann der Familie M., die sich in den USA befand, vom Schicksal ihrer Tochter berichten. Der Vater, ein religiös nicht gebundener Mann, schrieb zurück: „Es ist für uns fast unmöglich, über diesen Schlag hinwegzukommen. Alle unsere Gedanken sind Tag und Nacht mit ihr beschäftigt, und alle unsere Sorgen und Kämpfe haben ihren Sinn verloren. Wir sind seelisch und körperlich zusammengebrochen, und leider ist für uns kein Trost gegeben. Es ist wirklich ein Wunder, welche Kraft ihr Glaube ihr gegeben hat. Ihr letzter Brief an Pater Frehe ist ein erschütterndes Dokument ihrer inneren Vollendung und Reinheit."

WW: Über das Krankheitsbild des Erythema palmoplantare symmetricum hereditarium, in: Archiv für Dermatologie und Syphilis 168 (1933) 420-428 (Auszug aus der Med. Diss. München vom 6.3.1933).

QQ: Gollwitzer, 263f.; F. M. Stratmann, In der Verbannung. Tagebuchblätter von 1940 bis 1947 = Zeugnisse unserer Zeit (Frankfurt a. M. 1962); ders., Widersteht den Anfängen! Ein Brief des „Friedenskämpfers", in: Wort und Antwort 26 (1985) 152-154; Prcgardier/Mohr, 195-207; schriftl. Mitteilungen von Prof. Dr. W Neuß an den Kölner Karmel (Edith-Stein-Archiv).

Lit.: De Spiritu Sancto, Stein, 256; Kloidt, Verräter 204-206; Kempner, Stein, 100f., 124f; Holböck, 96-99; Kempner, Nonnen, 172, 185f.; Klein, 126; P. Engelhardt, Ein verhinderter Pax-Christi-Orden? L. M., in: Wort und Antwort 28 (1987) 137f.; F. Golczewski, Kölner Universitätslehrer und der Nationalsozialismus. Personengeschichtliche Ansätze = Studien zur Geschichte der Universität Köln. Bd. 8 (Köln-Wien 1988) 172f., 451; Gerl, Licht, 29,190; W Benz (Hrsg.), Die Juden in Deutschland 1933-1945. Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft (München 31993); W Senner, Aus einem Biographischen Interview mit P Willehad Paul Eckert OP, in: ders.

(Hrsg.), Omnia disce. Kunst und Geschichte als Erinnerung und Herausforderung. Willehad Paul Eckert OP zum 70. Geburtstag und goldenen Profeßjubiläum (Köln 1996) 424-433, hier 431; Pregardier, 489.

Elisabeth Pregardier