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Ludwig Freiherr von Leonrod
Major
* 17. September 1906 München
+ 26. August 1944 Gefängnis Berlin-Plötzensee
Ludwig Freiherr von Leonrod war ein tief gläubiger kath. Christ. Er erfuhr eine liebevolle, tief religiöse Erziehung durch seine Eltern, die ihm Ritterlichkeit, Aufrichtigkeit und Gewissensverpflichtung als wahre Werte vermittelt haben. Die Fähnrichszeit brachte ihn in freundschaftliche Verbindung mit Claus Graf Schenk von Stauffenberg. Unmittelbar vor dem Prozeß berichtete er darüber seinem Pflichtverteidiger, auch vom Glück seiner jungen Ehe mit Monika von Twickel. Im Ausbau des militärischen Widerstandes gegen Hitler berief Claus Graf Schenk von Stauffenberg den Baron L. nach Berlin, weil er einen zuverlässigen Offizier suchte. Die Zulässigkeit des „Tyrannenmordes" machte Baron L. aus religiösen Gründen schwer zu schaffen, mehr noch als das Problem „Fahneneid". Im Dezember 1943 fand im Pfarrhaus München-Bogenhausen zwischen Ludwig Freiherrn von L. und seinem Beichtvater, Kpl. Hermann Joseph Wehrle, ein unter dem Siegel der Verschwiegenheit geführtes Seelsorgegespräch statt. Dabei bat der Offizier Baron L. um den Gewissensrat, ob das Wissen um die Vorbereitung eines „Tyrannenmordes" eine Sünde sei. Kaplan Wehrle verneinte dies, riet aber von der Verwirklichung ab. Nach dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler wurde Oberst Graf Schenk von Stauffenberg noch am 20.7.1944 erschossen, Major Ludwig Freiherr von L. am 21. Juli und Kaplan Wehrle am 18.8.1944 von der Gestapo verhaftet, beide in das Gestapo-Gefängnis nach Berlin, Lehrter Straße 3, überstellt. Ludwig von L.s Gattin Monika Freifrau von L. versuchte alles Menschenmögliche, um ihren Ehemann vom Vorwurf der Mittäterschaft an dem Attentat vom 20.7.1944 zu entlasten, saß aber seit 10.8.1944 selber im Polizeigefängnis Berlin-Charlottenburg und wurde wegen unterlassener Anzeige des „hoch- und landesverräterischen Unternehmens" am 21.3.1945 beim Volksgerichtshof angeklagt. Wie die Gestapo mit Baronin von L. verfuhr, so erging es in der proklamierten „Sippenhaft" auch anderen Ehefrauen und zum Teil sogar den Kindern der am „20. Juli" beteiligten Männer.
Die wochenlangen harten Foltermethoden der „verschärften Vernehmung" durch die Gestapo brachen die Widerstandskraft des - wie die anderen angeklagten Offiziere - aus der Wehrmacht ausgestoßenen Barons L. Er gab den Inhalt des Seelsorgegesprächs mit Kpl. Wehrle preis, allerdings in der Annahme, seinem Beichtvater könne nichts geschehen, weil auch das Reichskonkordat von 1933 im Artikel 9 nicht nur die sakramentale Beichte, sondern auch andere bei Ausübung der Seelsorge vertrauliche Auskünfte unter die zu respektierende geistliche Verschwiegenheitspflicht Gerichtsbehörden und anderen Behörden gegenüber gestellt hatte.
Von dem von Hitler befohlenen „Ehrenhof der deutschen Wehrmacht" wurden in einem würdelosen Schnellverfahren 55 Offiziere der militärischen Widerstandsgruppe aus der Wehrmacht ausgestoßen; der Major Ludwig Freiherr von L. erscheint als Nummer 30 auf der Liste vom 14.8.1944. Der „Zivilist" L. wurde nun dem Volksgerichtshof unter dem Präsidenten Roland Freisler überstellt. Die Anklage lautete auf Hoch- und Landesverrat. Der Angeklagte konnte seinen Verteidiger nicht frei wählen. Vom Volksgerichtshof wurde ihm Dr. Rudolf Mäder als Pflichtverteidiger zugewiesen, der sich um Entlastung seines Mandanten bemühte. Während des Prozeß Verlaufes unternahm Baron L. keinen Versuch, seine Lage durch Leugnen zu verbessern. Er fühlte sich vor Gott und seinem Gewissen zur unbedingten Wahrheit verpflichtet. Der aufrechten inneren Haltung entsprach sein äußeres Auftreten. Nur einmal wirkte er bestürzt und erschüttert, als Roland Freisler den inzwischen verhafteten Kpl. Wehrle vor ihm, in Handschellen und von zwei Polizisten begleitet, in den Zeugenstand rufen ließ; denn niemals war es in seiner Absicht gelegen, seinen Beichtvater in diese Vorkommnisse hineinzuziehen.
Am 21.8.1944 verkündete Roland Freisler selbst das Urteil gegen drei des Hoch- und Landesverrates angeklagte Offiziere: „Im Namen des deutschen Volkes. Fritz Thiele, Ulrich Wilhelm Graf Schwerin von Schwanenfeld, Ludwig Freiherr von Leonrod verrieten eidbrüchig, ehrlos, statt mannhaft wie das ganze deutsche Volk, dem Führer folgend, den Sieg zu erkämpfen, so wie noch niemand in unserer Geschichte, das Opfer unserer Krieger, Volk, Führer und Reich. Den Meuchelmord an unserem Führer setzten sie ins Werk, Verräter in allem, wofür wir leben und kämpfen, werden sie alle mit dem Tode bestraft. Ihr Vermögen verfällt dem Reich." Ein Gnadengesuch des Freiherrn von L., noch vom Tag der Urteilsverkündung, wurde abgelehnt, aber nun als zusätzliches Beweisstück gegen Kpl. Wehrle gewertet. Ludwig Freiherr von L. wurde am 26.8.1944 in Berlin-Plötzensee durch den Strang hingerichtet, am folgenden 14.9. in gleicher Weise Kpl. Hermann Joseph Wehrle. Ihre Asche wurde verstreut, um die Erinnerung an einer bestimmten Grabstelle auszulöschen. Für ihre Bereitschaft, an der Aktion des 20.7.1944 mitzuwirken, starben außer L. auch die aus Bayern stammenden Offiziere Max Ulrich Graf von Drechsel und Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg. Sie alle haben ihren Einsatz für christliche Grundsätze, für Freiheit, Recht und Menschenwürde - mitten in einer verbrecherischen Diktatur - mit dem Lebensopfer bezahlt.
Lit.: F. Zimmermann, L. Freiherr von L. (Waldsassen 1952); Donohoe, Opponents; G. van Roon (Hrsg.), Neuordnung im Widerstand. Der Kreisauer Kreis innerhalb der deutschen Widerstandsbewegung (München 1967); ders. (Hrsg.), Helmuth James Graf von Moltke. Völkerrecht im Dienste der Menschen (Berlin 1986); W Wagner, Der Volksgerichtshof im nationalsozialistischen Staat (Stuttgart 1974); F. Zipfel, Gedenkstätte Plötzensee (Berlin 231984); F. von Schlabrendorff, Offiziere gegen Hitler (Berlin 1984); W E. Winterhager (Bearb.), Der Kreisauer Kreis. Porträt einer Widerstandsgruppe. Begleitband zu einer Ausstellung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Berlin 1985); W Schieder, Zwei Generationen im militärischen Widerstand gegen Hitler, in: Schmädecke-Schieder, Widerstand, 436-459, hier 450; Oleschinski, 107; F. J. Morschhäuser, Hermann Joseph Wehrle (1899-1944). Zeuge des Glaubens in bedrängter Zeit (St. Ottilien 1994) 121-205; K. v. Klemperer, Die verlassenen Verschwörer. Der deutsche Widerstand auf der Suche nach Verbündeten 1938-1945 (Berlin 1994); H.-J. Ramm, „... stets einem Höheren verantwortlich". Christliche Grundüberzeugungen im innermilitärischen Widerstand gegen Hitler (Neuhausen/Stuttgart 1996) 232-235.
Georg Schwaiger