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Pfarrvikar Otto Günnewich

Priester des Erzbistums Paderborn * 4. April 1902 Lügde (Kr. Höxter) + 10. August 1942 Schloß Hartheim b. Linz (Östr.)

Otto Günnewich wurde am 4.4.1902 in Lügde (Kr. Höxter) geboren. Er entstammte einer Familie mit 12 Kindern. Von 1908 bis 1914 besuchte er die Volksschule in Lügde. Durch Vermittlung eines Verwandten wurde er 1914 in das Internat der Bethlehem-Missionare in Immensee (Schweiz) aufgenommen. Dort blieb er bis zum Ende der Mittelstufe. Von 1921 an besuchte er die Oberstufe des Gymnasiums Theodorianum in Paderborn, an dem er 1924 das Abitur ablegte. Noch in demselben Jahr begann er an der Theologisch-Philosophischen Akademie in Paderborn das Studium der Theologie, das er nach einem Studienjahr an der Universität Münster 1928 abschloß. Am 5.4.1930 wurde er in Paderborn zum Priester geweiht.

Als erste Seelsorgestelle wurde ihm die Gemeinde Gommern bei Magdeburg anvertraut. Hier lernte er die schwierigen Bedingungen der Diaspora kennen. Der kräftezehrenden Tätigkeit in der weitverzweigten Gemeinde war er gesundheitlich nicht gewachsen. Auf seinen Wunsch hin wurde er 1934 an die Pfarrvikarie in Salwey bei Eslohe im Sauerland versetzt. Am neuen Wirkungsort gewann er sich durch seinen seelsorglichen Eifer und sein freundliches Wesen die Anerkennung der Gemeinde. Wie zuvor in Gommern bedeutete ihm die Gestaltung der Gottesdienste ein besonderes Anliegen. In politischer Hinsicht legte er sich Zurückhaltung auf, da eine kämpferische Auseinandersetzung ihm weniger lag. Nichtsdestoweniger hat er den Standpunkt der Kirche mutig vertreten, was ihm die Feindschaft des Amtsbürgermeisters eingetragen hat.

Ungewollt geriet G. wegen der Fronleichnamsprozession im Jahre 1941 in Konflikt mit den NS-Behörden. Auf deren Anordnung mußte seit 1940 die kirchliche Feier auf den nachfolgenden Sonntag verlegt werden. Prozessionen durften nur „in Form eines Umgangs um das Kirchengebäude" stattfinden. Bei Luftgefahr mußten sie zwangsläufig ganz unterbleiben. Pfarrvikar G. hatte in Verhandlungen mit der Amtsverwaltung in Eslohe erreicht, daß die Prozession im Jahre 1940 ein Stück über die Dorfstraße, etwa 150 m, ziehen durfte. In der Meinung, die Genehmigung gelte uneingeschränkt weiter, hatte er es 1941 ebenso gehalten. Von einem Verbot, wie eine spätere Version lautet, war ihm nichts bekannt. Nach dem heutigen Kenntnisstand liegt vielmehr die Annahme nahe, daß er „durch Verantwortliche der zuständigen Amtsverwaltung Eslohe bewußt falsch oder zu seinem Nachteil gar nicht informiert wurde."

Am Tage selbst traf es sich, daß während der Prozession ein Auto mit zwei Parteifunktionären den Ort passierte, ob mit Absicht oder durch Zufall, ist nicht mehr feststellbar, und einige Zeit warten mußte. Zunächst blieb G. unbehelligt. Erst einen Monat später, nachdem er noch einige Urlaubstage im Elternhaus verbracht hatte, wurde er am 11.7.1941 verhaftet und am Tage darauf in das Gestapogefängnis in Dortmund eingeliefert. Am 15. August wurde er in das Zentralgefängnis in Bochum verlegt, wo er über Wochen hin in Einzelhaft gehalten wurde. Von nun an war G. der Willkür der Gestapo völlig ausgeliefert. "Weder eine Anklage noch eine Verurteilung durch ein ordentliches Gericht sind jemals erfolgt. Eine seelsorgliche Betreuung wurde nicht gestattet. Wohl konnte er Besuche empfangen. Ein Brief aus der Gefängniszelle gibt näheren Aufschluß, in welcher Verfassung G. sich in dieser Zeit befunden hat: „Gott ist überall, und wo man sich ihm ganz nahe fühlt, ist fast der Himmel. Das kann auch hier sein, wo ich bin, auch wenn man es für gewöhnlich nicht annimmt. Mit Gott allein! Man hat, — ich kann es ruhig sagen, — nie so die Gelegenheit gehabt, so allein mit Gott zu sein, auch nicht in den Exerzitien; soweit drang man nicht vor. Jetzt aber ist man so weit gekommen. Mußte also nicht für mich diese Gelegenheit vom Herrgott herbeigeführt werden?"

Diese Zeilen bekunden, daß G. sein schweres Los nicht nur gottergeben auf sich genommen, sondern darin eine Fügung Gottes gesehen hat. Die gleiche Haltung bezeugt der Polizeibeamte Karl Soestwöhner, der in Bochum zum Wachpersonal gehörte und dem Pfarrvikar persönlich näher gekommen ist. Nach dem Kriege gab er zu Protokoll: „Seine bescheidene und zurückhaltende Art, sein ruhiges und ausgeglichenes Wesen, vor allem aber seine Gottergebenheit ergriffen mich zutiefst." Dem an Gott zweifelnden Polizeibeamten begegnete G. mit einem nicht zu erschütternden Gottvertrauen: „Otto Günnewich richtete mich mit seinem unerschütterlichen Glauben wieder auf, wenn mir Zweifel an der Gerechtigkeit Gottes kamen."

In die Fänge der Gestapo geraten, blieb G. weiterhin in Schutzhaft. Ein Entlassungsgesuch des Vaters wurde vom Reichssicherheitshauptamt in Berlin abgelehnt. Am 21.11.1941 wurde er in das KZ Dachau gebracht. Dort wurde er unter der Häftlingsnummer 28 707 geführt und dem Priesterblock 26 zugewiesen. Unzureichend ernährt und vom Frühjahr 1942 an unter schikanösen Bedingungen bei Feld- und Plantagenarbeiten eingesetzt, brach G. nach wenigen Wochen infolge Entkräftung zusammen. Um ihn vor der Selektion im Krankenrevier zu bewahren, die den sicheren Tod bedeutete, trugen ihn geistliche Mitgefangene eine Zeitlang zur Arbeitsstelle und verbargen ihn vor den Aufsehern. Arbeitsunfähig und nicht imstande, sich selbst zu helfen, lag er den Tag über auf dem Erdboden. Für den Hilflosen muß es eine unsägliche Qual gewesen sein. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich derart, daß eine Einweisung in die Krankenstation nicht mehr zu umgehen war. Wider Erwarten erholte er sich und übernahm Aufgaben eines Hilfspflegers. Es bewahrte ihn nicht davor, auf die Invalidenliste gesetzt zu werden. Den Lagerakten zufolge führte ihn ein Invalidentransport am 10.8.1942 in das Vernichtungslager Schloß Hartheim bei Linz an der Donau, wo er den Vergasungstod erlitten hat. Die offizielle Todesursache lautete: „Tod infolge eines Darmkatarrhs." Die Urne mit seiner Asche wurde am 8.10.1942 neben der St. Kilianskirche in Lügde beigesetzt.

Auf dem Kirchplatz in Salwey erinnert seit 1967 eine Gedenkstätte in der Form eines Fronleichnamsaltars an den ermordeten Seelsorger. Kreuz, Kelch und Krone symbolisieren das Erlösungswerk Christi. Das Kreuz trägt die Inschrift: „Treu dem Bund mit Gott." In Gommern, der ersten seelsorglichen Wirkungsstätte, wurde am 29.5.1994 ein Bronzerelief zum Gedenken an G. eingeweiht.

QQ: Erzbistumsarchiv Paderborn, Best. XXII, Parteipolitik, NSDAP, Verurteilte Priester der Erzdiözese Paderborn 1935-1942; Kommission für kirchliche Zeitgeschichte des Erzbistums Paderborn, Akte O. G.

Lit.: G. Klausener, Pfarrvikar O. G. 1902-1942 — ehemaliger Bethlehemstudent als Bekenner der heiligen Eucharistie, in: Bethlehem-Kalender 37 (1958); Weiler, 278; Baumjohann, 723, 745f.; M. Senger, Glaubenstreue und persönlicher Mut, in: Schieferbergbau-Heimatmuseum Schmallenberg-Holthausen (Hrsg.), Das Hakenkreuz im Sauerland (Schmallenberg 1988); O. G. (1902-1942) — Erinnerung und Mahnung, zusammengestellt und hrsg. von der Firmgruppe „O. G." der Kath. Kirchengemeinde St. Marien Lügde (1994); Wagener, Zeugen, 22-26; Hehl-Kösters, Priester4,1165.

Peter Möbring