O Himmel, entsetz dich! Ein Gott in einem Stall!"

 

Predigt des heiligen Pfarrers von Ars über das Geheimnis der Weihnacht

Unter dem Titel "Meine lieben Zuhörer!" erschienen die Predigten des heiligen Pfarrers von Ars im Theresla‑Verlag Lauerz in der Schweiz. Vorangestellt ist ein Lebenslauf des Heiligen von Ida Lüthold‑Minder. Die Weihnachtspredigt war leider zu lang für unser gelbes Blatt. Aber damals haben die Predigten auch noch keine zehn Miauten gedauert. Der 524 Seiten umfassende, sehr gut illustrierte Band enthält 21 Predigten, die heute wie eine ausgeteilte Glaubenslehre auf uns wirken. Das Buch kostet DM 31,‑ und kann beim Clausen‑Verlag bestellt werden. Hier predigt keiner, der mal eben am Samstag in ein aktuelles Buch geschaut hat. Die Tiefe der Gedanken besticht ebenso wie seine zupackende Art, die Gemeinde anzusprechen. Der 1. Band ist so wertvoll, daß man sich auf die anderen vier freut.

Könnte es wohl, meine Brüder, für einen Kranken, der in den letzten Zügen liegt, eine beseligendere Nachricht geben, als die Meldung, daß ein geschickter Arzt ihn nun den Händen des Todes entreißt und wieder vollkommen gesundmacht? Aber unendlich beseligender, meine Brüder, ist die Botschaft, welche der Engel heute der ganzen Welt in Person der Hirten bringt. Ja, meine Brüder, der Teufel hatte durch die Sünde unseren Seelen die greulichsten und tödlichsten Wunden geschlagen. Er hatte die drei schrecklichsten Leidenschaften, aus denen alle anderen entspringen, aufgepflanzt: den Hochmut, die Habsucht und die Sinnlichkeit. Zu Sklaven dieser abscheulichen Leidenschaften geworden, waren wir wie ebenso viele hoffnungslose Kranke, die nur den ewigen Tod zu erwarten hatten, wäre nicht Jesus Christus, unser wahrhaftiger Arzt, gekommen, uns zu helfen. Doch, gerührt durch unser Unglück, verließ er den Schoß seines Vaters, kam in die Welt in Erniedrigung, in Armut und unter Leiden, um das Werk des Teufels zu zerstören und für die greulichen Wunden' die diese alte Schlange uns zugefügt hat, wirksame Heilmittel zu bereiten.

Ja, meine Brüder, dieser zärtlich liebende Heiland kommt, um uns von unseren geistigen Krankheiten zu heilen und uns die Gottesgnade zu verdienen, ein demütiges, armes und abgetötetes Leben zu führen; und um uns um so besser dazu anzuleiten, will Er selbst uns ein Beispiel geben. Das sehen wir auf wunderbare Weise bei seiner Geburt. Wir sehen, wie Er es uns zubereitet: 1. Durch seine Erniedrigung und seinen Gehorsam ein Heilmittel für unseren Hochmut. 2. Durch seine äußerste Armut ein Heilmittel für unsere Liebe zu den irdischen Gütern. 3. Durch sein Leiden und seine Abtötung ein Heilmittel für unser Streben nach sinnlichen Vergnügungen.

Dadurch, meine Brüder, stellt Er uns das geistige Leben wieder her, das die Sünde Adams uns geraubt hatte. Kurz und gut: Er kommt, um das Tor des Himmels uns zu öffnen, das die Sünde uns verschlossen hatte. Nach alledem, meine Brüder, lasse ich euch beurteilen, von welcher Freude und Dankbarkeit ein Christ beim Anblick so vieler Wohltaten ergriffen werden muß! Braucht's noch mehr, meine Brüder, um Liebe zu erzeugen zu diesem holdseligen und liebenswürdigen Jesus, der kommt, um sich mit all unseren Sünden zu beladen und es auf sich nimmt, für uns alle der Gerechtigkeit seines Vaters Genugtuung zu leisten! O mein Gott, kann wohl ein guter Christ an all das denken, ohne vor Liebe und vor Dankbarkeit zu sterben?

Ich sagte soeben, meine Brüder, daß die erste Wunde, die die Sünde unserer Seele geschlagen hat, der Hochmut ist, diese so gefährliche Leidenschaft, die in einer übertriebenen Selbstliebe und Hochschätzung unserer selbst besteht und zur Folge hat, daß wir: 1. von niemandem abhängen, noch gehorchen wollen, 2. nichts so sehr fürchten, als in den Augen der Menschen erniedrigt zu werden, 3. all das suchen, was uns nach menschlicher Ansicht in Ansehen bringen kann.

Nun, meine Brüder, gerade das bekämpft Jesus Christus bei seiner Geburt durch die tiefste Demut. Nicht nur will Er von seinem himmlischen Vater abhängen und ihm in allem gehorchen, sondern er will auch den Menschen gehorchen und in jeder Beziehung von ihrem Willen abhängen. So gibt Kaiser Augustus, sei es aus Eitelkeit, Laune oder Staatsklugheit, den Befehl, daß man eine Zählung aller Untertanen vornehme und daß jeder Untertan sich an seinem Geburtsort einschreiben lasse. Kaum ist dieser Befehl veröffentlicht, schon treffen wir die heilige Jungfrau und den heiligen Joseph auf dem Weg, und Jesus, obwohl im Schoße seiner Mutter, gehorcht mit Wissen und Willen dieser Anordnung. Sagt mir, meine Brüder, können wir ein Beispiel der Demut finden, das großartiger und fähiger wäre, uns zu bewegen, mit Liebe und Eifer diese Tugend zu üben? Wie, meine Brüder, ein Gott gehorcht seinen Geschöpfen und will von ihnen abhängen, und wir erbärmliche Sünder, die sich beim Anblick ihres geistigen Elends im Staub verbergen sollten, wir könnten es versuchen, unzählige Vorwände ausfindig zu machen, um uns zu dispensieren vom Gehorsam gegenüber den Befehlen Gottes und seiner Kirche, gegenüber unseren Oberen, die hier die Stelle Gottes selbst vertreten? Welche Schande für uns, meine Brüder, wenn wir unser Verhalten mit dem Jesu Christi vergleichen!

Eine weitere Anleitung zur Demut gab uns Jesus, als nach einer Reise von mehr als vierzig Stunden Maria und Joseph nach Bethlehem kamen. Mit welcher Ehrenbezeigung hätte man den empfangen sollen, den man seit viertausend Jahren erwartete! Aber da Er kam um uns von unserem Hochmut zu heilen und uns Demut zu lehren, so läßt Er es zu, daß jedermann ihn abweist und niemand ihm ein Obdach gewähren will. Seht also, meine Brüder, der Meister des Universums, der König des Himmels und der Erde, wird mißachtet, abgewiesen von den Menschen, für die Er im Begriff steht, sein Leben hinzugeben, um sie zu erlösen! Ja, dieser holdselige Erlöser sieht sich genötigt, sogar von den Tieren eine Wohnung zu borgen. O mein Gott, welche Demut und Selbstverleugnung für einen Gott! Wir, meine Brüder, sind ohne Zweifel für nichts empfindlicher als für Mißachtung, Geringschätzung und Zurücksetzung. Aber, wenn wir die Verkennung betrachten, welcher Jesus Christus sich unterzogen hat, können wir es dann je wagen, uns über die unsrige zu beklagen, und wenn diese noch so groß wäre? Welches Glück für uns, meine Brüder, daß wir ein so gutes Vorbild vor unseren Augen haben, dem wir folgen können ohne Besorgnis, uns zu täuschen!

Jesus Christus will also, weit entfernt zu suchen, was ihm in den Augen der Menschen hätte Ansehen verschaffen können, in der Verborgenheit und Vergessenheit geboren werden. Er will, daß arme Hirten insgeheim durch einen Engel über seine Geburt Nachricht erhalten, damit die erste Huldigung, die Er empfängt, von den Geringsten unter den Menschen erwiesen werde. Er ließ die Großen und Glücklichen der Welt in Ruhe und Überfluß und schickte seine Boten zu den Armen, um sie in ihrem Stand zu trösten, indem sie in einer Krippe auf einer Handvoll Stroh liegend ihren Gott und Erlöser sahen.

Die Reichen werden erst lange nachher gerufen, um uns zu belehren, daß Reichtum und Bequemlichkeit weit vom lieben Gott entfernen. Können wir, meine Brüder, nach einem solchen Beispiel noch Ehrgeiz nähren und einen Geist behalten, der aufgeblasen ist von Hochmut und angefüllt mit Eitelkeit? Können wir noch nach Hochschätzung und nach den Lobsprüchen der Menschen streben, wenn wir die Augen auf diese Krippe richten? Scheint es nicht, als ob wir diesen holden und liebenswürdigen Jesus uns allen zurufen hörten: Lernt von mir, wie sanftmütig und demütig von Herzen ich bin. [Mt 11, 29]

Demnach, meine Brüder, laßt uns ein Leben in Verborgenheit führen und die Geringschätzung der Welt lieben. Fürchten wir nichts so sehr, sagt der heilige Augustinus, als die Ehren und Reichtümer dieser Welt, denn wäre es erlaubt, sie zu lieben, so hätte der selbst sie geliebt, der aus Liebe zu uns Mensch geworden ist. Wenn Er all das floh und verachtete, so müssen wir desgleichen tun, wenn wir lieben wollen, was Er geliebt, und verachten, was Er verachtet hat. Das also, meine Brüder, ist der Unterricht, den Jesus Christus uns erteilt, indem Er in die Welt eintritt, und es ist gleichzeitig das Heilmittel, das Er auf unsere erste Wunde, den Hochmut, legt. Aber wir haben noch eine zweite Wunde, die nicht weniger gefährlich ist: der Geiz.

Die zweite Wunde, meine Brüder, welche die Sünde dem Herzen des Menschen geschlagen hat, ist die Habsucht, das heißt eine ungeordnete Liebe zu den Reichtümern und Gütern dieser Welt. Ach, meine Brüder, welche Verheerungen richtet diese Leidenschaft in der Welt an! Der heilige Paulus hat doch wahrlich recht, wenn er uns belehrt, daß sie die Wurzel aller Übel sei. Ist es nicht in der Tat diese verfluchte Gewinnsucht, aus der Ungerechtigkeit, Neid, Haß, Meineid, Prozesse, Klagen, Erbitterung und Hartherzigkeit gegenüber den Armen entspringen?

Können wir uns demnach wundern, meine Brüder, wenn Jesus Christus, der in die Welt kommt, um die Leidenschaften der Menschen zu heilen, in der größten Armut geboren werden will, beraubt aller Bequemlichkeiten, welche für das Leben der Menschen so notwendig scheinen? Daher sehen wir, wie Er sich zunächst eine arme Mutter auserwählt, wie er für den Sohn eines armen Handwerkers gelten will, und da die Propheten voraus verkündet hatten, daß Er geboren würde aus der königlichen Familie Davids, so läßt Er, um diese hochadelige Abkunft mit seiner großen Liebe zur Armut zu versöhnen, zu, daß zur Zeit seiner Geburt diese erleuchte Familie in Dürftigkeit gerate und fast dem Untergang nahe sei.

Maria und Joseph, obwohl sehr arm, hatten doch ein Häuschen in Nazareth. Das war noch zu viel für ihn: Er will nicht an einem Ort, der ihm gehört, geboren werden, und deshalb verpflichtet Er Maria, seine heilige Mutter, zu der Zeit nach Bethlehem zu reisen, als sie ihn der Welt schenken sollte. Aber in Bethlehem, das die Heimat seines Vaters David war, wird Er doch wenigstens Verwandte finden, die ihn in ihr Haus aufnehmen? Aber nein, sagt uns das Evangelium: Niemand will ihn aufnehmen; jedermann weist ihn zurück mit dem Vorwand, daß Er arm sei.

Sagt mir, meine Brüder, wohin will denn dieser zarte Erlöser sich wenden, wenn niemand ihn aufnehmen will, um ihn gegen Schäden durch die rauhe Witterung zu schützen? Indessen eine Hilfsquelle bleibt noch übrig, nämlich das Betreten eines Wirtshauses. Joseph und Maria stellen sich dort in der Tat vor. Aber Jesus, der alles vorausgesehen hatte, ließ zu, daß das Gedränge so groß war, daß sie keinen Platz fanden. Oh, meine Brüder, wohin nur will unser liebenswürdiger Erlöser gehen? Der heilige Joseph und die heilige Jungfrau suchen nach allen Seiten; endlich werden sie eines alten Gemäuers gewahr, wohin die Tiere bei ungünstiger Witterung sich zurückzuziehen pflegten.