Hl. Theresia von Lisieux

Der kleine Weg: „Ich will euch tragen“

Ich habe immer danach verlangt, eine Heilige zu werden;

aber ach!

Wenn ich mich mit den Heiligen verglich, stellte ich fest, dass zwischen ihnen und mir derselbe Unterschied besteht wie zwischen einem Berg, dessen Gipfel sich in die Himmel verliert, und einem unscheinbaren Sandkorn, über das die Füße der Leute achtlos hinwegschreiten.

Statt zu verzagen, sagte ich mir:

Der Liebe Gott flößt keine unerfüllbaren Wünsche ein,

ich darf also trotz meiner Kleinheit nach Heiligkeit streben;

mich größer machen ist unmöglich;

ich muß mich ertragen, wie ich bin, mit all meinen Unvollkommenheiten;

aber ich will ein Mittel suchen, in den Himmel zu kommen, auf einem kleinen Weg, einem recht geraden, recht kurzen, einem ganz neuen kleinen Weg.

Wir leben in einem Jahrhundert der Erfindungen, man nimmt sich jetzt die Mühe nicht mehr, die Stufen einer Treppe emporzusteigen, bei den Reichen ersetzt ein Fahrstuhl die Treppe aufs vorteilhafteste. Auch ich möchte einen Aufzug finden, der zu Jesus emporhebt, denn ich bin zu klein, um die beschwerliche Treppe der Vollkommenheit hinaufzusteigen.

Ich suchte daher in den heiligen Büchern nach einem Hinweis auf den Fahrstuhl, den ich begehrte, und ich stieß auf die aus dem Munde der Ewigen Weisheit kommenden Worte:

„Ist jemand ganz klein, so komme er zu mir.“ (Sprüche 9,4)

So kam ich denn, ahnend, dass ich gefunden hatte, was ich suchte.

Weil ich wissen wollte, o mein Gott! was du dem ganz Kleinen tätest, der deinem Ruf folgen würde, setzte ich meine Erkundungen fort und fand: –

„Wie eine Mutter ihr Kind liebkost, so will ich euch trösten; an meiner Brust will ich euch tragen und auf meinen Knien wiegen!“ (Isaias 66, 13.12)

Ach! niemals sind zartere, lieblichere Worte erfreuend an meine Seele gedrungen; der Fahrstuhl, der mich bis zum Himmel emporheben soll, Deine Arme sind es, o Jesus!