Die Gebete von Papst Leo XIII.
In der Vergangenheit hat der Himmel mehrmals von einer Krise in der Kirche gesprochen. Zum ersten Mal war es durch eine Vision, die Papst Leo XIII. am 13. Oktober 1884 hatte und die in die Zeit vor den Erscheinungen von Fatima im Jahr 1917 zurückreicht.
Von dieser Vision gibt es mehrere Berichte. Folgendes steht im Buch von Don Gabriele Amorth Ein Exorzist erzählt (S. 33):
«P. Domenico Pechenino schreibt über die Entstehung dieses Gebets in der Zeitschrift Ephemerides Liturgicae (1955, S. 58 f.):
„Ich erinnere mich nicht mehr an das genaue Jahr [es war der 13. Oktober 1884]. Eines Morgens hatte der große Papst Leo XIII. die Hl. Messe gefeiert und an der folgenden Danksagungsmesse teilgenommen. Auf einmal sah er, wie der Kopf des Zelebranten energisch in die Höhe gezogen wurde, und dann entdeckte er irgendetwas über dessen Kopf. Er schaute genau hin, ohne mit der Wimper zu zucken, aber mit einem Gefühl des Schreckens und der Verwunderung. Dabei veränderte er seine Gesichtsfarbe und sein Aussehen. Etwas Eigenartiges, etwas Großes geschah in seinem Inneren.
Endlich, wie wenn er aus einer Bewusstlosigkeit erwacht wäre, gab er ein leichtes, aber energisches Handzeichen, stand auf und wankte zu seinem privaten Arbeitszimmer. Die Familiaren folgten ihm eilig und mit Sorge. Sie fragten ihn untertänig: ,Geht es Eurer Heiligkeit nicht gut? Braucht Ihr etwas?' Er antwortete: ,Nichts, nichts.'
Nach einer halben Stunde ließ er den Sekretär der Ritenkongregation kommen und reichte ihm ein Blatt Papier mit dem Auftrag, es drucken und an alle Ordinariate der Welt senden zu lassen. Was stand auf diesem Papier? Das Gebet, das wir am Ende der Messe zusammen mit dem Volk beten, also das Bittgebet an Maria und die inständige Anrufung des Fürsten der himmlischen Heerscharen, Gott zu bitten, dass er Satan in die Hölle zurückstoßen möge."»
Nach dieser Vision verfasste Leo XIII. zwei Dokumente: Gebete, die nach den stillen Messen gebetet werden sollen und einen kleinen Exorzismus. Don Amorth schreibt in seinem Buch Ein Exorzist erzählt:
«Zur Bestätigung dessen, was P. Pechenino schreibt, möchte ich aus dem Fastenhirtenbrief 1946 des damaligen Bischofs von Bologna, Kardinal Nasalli Rocca, zitieren:
„Leo XIII. schrieb dieses Gebet selbst. Der Satz “Satan und die anderen bösen Geister, die in der Welt umhergehen, um die Seelen zu verderben” haben eine geschichtliche Erklärung, die uns von seinem Privatsekretär Monsignore Rinaldo Angeli oft mitgeteilt wurde. Leo hatte wirklich die Vision von höllischen Geistern, die sich über der Ewigen Stadt (Rom) versammelten. Aus diesem Erlebnis entstand das Gebet, das er in der ganzen Welt verrichtet haben wollte und das er selbst mit kräftiger Stimme betete. Wir hörten es oft in der vatikanischen Basilika. Und das ist nicht alles. Er schrieb ebenfalls mit eigener Hand einen besonderen Exorzismus, der im Rituale Romanum enthalten ist (Ausgabe von 1954, tit. XII, c. III, S. 863ff). Den Bischöfen und Priestern empfahl er, diese Exorzismen oft in ihren Diözesen und Pfarreien zu beten. Er selbst betete sie tagsüber oft.»
Die Geschichte dieser Texte ist lehrreich.
Die Gebete nach der Messe
Die Gebete, die Leo XIII. nach jeder stillen Messe anordnete, sind die folgenden:
Drei Ave Maria, das Salve regina, gefolgt von einer Oration und dann das Gebet zum hl. Erzengel Michael:
«Heiliger Erzengel Michael, verteidige uns im Kampfe! Gegen die Bosheit und Nachstellungen des Teufels sei unser Schutz. 'Gott gebiete ihm!' so bitten wir flehentlich. Du aber, Fürst der himmlischen Heerscharen, stoße den Satan und die anderen bösen Geister, die in der Welt umhergehen, um die Seelen zu verderben, durch die Kraft Gottes hinab in die Hölle. Amen.»
Am 19. Juni 1904, also weniger als ein Jahr nach seiner Wahl zum Papst, ordnete Pius X. an, dass noch dreimal die Anrufung: «Heiliges Herz Jesu, erbarme dich unser!» hinzugefügt werden sollte. Damit bestätigte er die Instruktion seines Vorgängers. Am 20. Juni 1913 beschloss er ebenfalls, dass diese Gebete bei stillen Messen, die eine gewisse Feierlichkeit haben, ausgelassen werden können.
Bei seiner Ansprache vom 30. Juni 1930 forderte Pius XI., nachdem er an die verheerende Glaubensverfolgung in Russland erinnerte sowie an die Gebete für Russland, zu denen er am 19. März aufgefordert hatte, dass die von Leo XIII. vorgeschriebenen Gebete für Russland gebetet werden sollen. Damit bestätigte er erneut die Instruktion seines Vorgängers:
«Und damit alle ohne Mühe und Beschwernis diesen heiligen Kreuzzug fortsetzen können, legen wir fest, dass diese Gebete, die unser Vorgänger seligen Gedenkens, Leo XIII., anordnete, nach der Messe von den Priestern und den Gläubigen in dieser besonderen Meinung, also für Russland, gebetet werden. Daher sollen die Bischöfe sowie der weltliche und der Ordensklerus dem Volk und den beim Hl. Messopfer Anwesenden immer wieder das oben Gesagte in Erinnerung bringen.»
So wurde nicht nur dieses Gebet zum hl. Erzengel Michael an einem 13. Oktober verfasst, und zwar auf den Tag genau 33 Jahre vor der letzten Erscheinung von Fatima und dem Sonnenwunder, sondern Papst Pius XI. forderte, dass es in besonderer Weise für Russland gebetet werden soll. Es besteht daher ein sehr starkes Band zwischen der Vision von Leo XIII. und der Bitte Unserer Lieben Frau in dem Geheimnis vom 13. Juli 1917.
Bis 1964 war dieses Gebet zum hl. Erzengel Michael am Ende der stillen Messen verpflichtend. Dann wurde es mit dem Motu proprio Sacram liturgiam vom 25. Januar 1964 abgeschafft. Papst Paul Vl. beauftragte eine Kommission mit der Umsetzung der Liturgiekonstitution des II. Vatikanischen Konzils Sacro sanctum concilium vom 4. Dezember 1963. Diese Kommission erarbeitete den Novus Ordo Missae, der am 6. April 1969 promulgiert wurde. Aber schon im ersten Jahr ihres Bestehens gab die Kommission eine erste Instruktion heraus, die Instruktion lnter oecumenici, die der Papst am 26. September 1964 unterzeichnete. Diese Instruktion schaffte die stillen Gebete am Altar vor und nach der Messe ab. In Nr. 48 der Instruktion heißt es: «Bis zur Reform des gesamten Mess-Ordo soll folgendes schon jetzt beachtet werden: (...) c) Beim Stufengebet zu Beginn der Messe fällt der Psalm 42 weg. (...) j) Das letzte Evangelium entfällt; die Leoninischen Gebete werden abgeschafft.»
So forderte die Kirche in dem Augenblick, als der Kommunismus auf seinem Höhepunkt war, vier Jahre nachdem Chruschtschow 1960 «ein Jahr des Kommunismus» ausgerufen hatte, dass man am Ende jeder Messe nicht mehr für Russland beten solle. Pater Pio war mit dieser Entscheidung überhaupt nicht einverstanden und betete diese Gebete weiterhin bis zu seinem Tod im Jahr 1968.
Dreißig Jahre später gab ihm Papst Johannes Paul II. in gewisser Weise recht, denn beim Regina Coeli am Sonntag, den 24. April 1994 bat er die Gläubigen, das Gebet zum hl. Erzengel Michael, das Leo XIII. verfasst hatte, zu beten, damit er uns hilft «im Kampf gegen die Mächte der Finsternis»...