GEISTLICHE UNTERWEISUNG

 von Meister Eckehart

(aus dem Mittelhochdeutschen übersetzt: Hermann Büttner - 1923)

 

 

1. Von der Hingabe

 

Aufrichtige und völlige Hingabe ist eine Tugend vor allen Tugenden. Kein Werk von Belang kann ohne sie zustande kommen. Und wie unbedeutend ein Geschäft auch ist und wenig im Ansehen, doch ist’s mit Hingabe getan förderlicher, als Messe lesen oder hören, als beten, kontemplieren oder was du gedenken magst – nimm, sag ich, das schnödeste Geschäft von der Welt: deine aufrichtige Hingabe verleiht ihm Adel und höhern Wert. Hingabe tut überall das Beste zur Sache. Hingabe geht nimmer fehl. Und bleibt auch nichts schuldig. sei unsere Leistung, welche sie wolle. Den des Guten bleibt sie nichts schuldig! Hingabe darf sich nicht sorgen, es entgeht ihr kein Gewinn: wo der Mensch aus Hingabe das Seine preisgibt, da auf der Stelle muss notgedrungen Gott für ihn eintreten. Denn so einer um sich nicht sorgt, um den muss Gott sorgen genau so wie für sich. Wenn ich mich meines Willens begeben habe in die Hand meines Oberen und für mich nicht sorge, das verpflichtet Gott, für mich zu sorgen. So aber ganz allgemein: wo ich für mich nichts will, da will statt meiner Gott. Nun überlege: was denn will er für mich, wo ich für mich nicht will? Unweigerlich doch eben das, was er für sich will, nicht weniger, nicht mehr, sondern bis ins einzelne dasselbe. Und tät er’s nicht: bei der Wahrheit, die Gott ist! so wäre Gott nicht gerecht, noch gut, was doch sein natürliches Wesen ist.

In aufrichtiger Hingabe wird nie erfunden werden ein „ich will’s so oder so, dies oder das“, sondern nur: vorbehaltloser Verzicht auf das Deine. Daher auch im besten Gebet, das der Mensch beten kann, darf es so etwas nicht geben: „gibt mir diese Tugend, diesen Weg“, nicht einmal: „ja, Herr, gib mir dich selber“ – oder „das ewige Leben“, sondern: „Herr, gib mir einzig, was du willst, und tu, Herr, was und wie du es willst, in aller Weise!“ Das übertrifft das erste wie der Himmel die Erde, und wenn man sein Gebet also verrichtet, so hat man wohl gebetet; ist man doch ganz und gar ausgegangen in Gott in wahrem Gehorsam. – Und wie echte Hingabe kein „ich will’s so“ kennt, so darf auch nimmer von ihr vernommen werden ein „ich will nicht“: ein „ich will nicht“ ist wahres Gift für jede Hingabe. Den getreuen Diener, sagt Sankt Augustinus, gelüstet nicht, dass man ihm sage oder gebe, was er gerne sähe; sein erstes, dringendstes Anliegen ist, zu hören, was Gotte allermeist gefällt.

Das kräftigste Gebet, allmächtig fast, alle Dinge zu erwerben, und ebenso unter allen das wertvollste Werk ist solches, das hervorgeht aus einem ledigen Gemüte. Je lediger dieses, desto kräftiger, wertvoller, näher, desto löblicher und vollkommener so Gebet wie Werk. Das ledige Gemüt hat Macht zu allen Dingen! – „Was ist ein lediges Gemüt?“ – Eines, das nirgendwomit beladen oder beworren ist, an nichts gebunden, es nirgend auf seinen Vorteil absieht in der Welt, sondern ganz und gar in den liebsten Willen Gottes versenkt ist, den eigenen aber aufgegeben hat! Mag was wir tun dann noch so scheinlos sein, es schöpft hierin von Gottes Kraft, von Gottes Allmächtigkeit.

So inbrünstig, so mit allen Fasern Leibes und der Seele muss man beten, dass man beide, Aug und Ohr, Herz und Mund und alle Sinne herzugekehrt hält; und nicht eher darf man aufhören, als bis man fühlt, dass man eins zu werden im begriff steht mit dem, den man sich gegenüber hat und zu dem man betet, mit Gott.

 

 

2. Vom Lassen der Dinge

 

Die Leute sagen einem: „ach ja! lieber Herr, ich wollte gerne, ich stünde auch mit Gott auf so gutem Fuß und hätte so viel Sammlung und Frieden mit Gott, wie andere Leute haben. Hätt ich’s nur auch so gut und könnte so arm sein!“ Oder: „ich komme nie in die rechte Stimmung, außer ich weile da oder dort, treib es so oder so: ich muss ohne Dach und Decke leben, oder in einer Klause, oder im Kloster.“

Aber daran bist du wahrhaftig ganz alleine schuld, eigener Wille ist es, weiter nichts, ob du’s auch nicht Wort haben willst! Nimmer steht ein Unfriede in dir auf, er entspringt aus Eigenwillen, man sei sich dessen bewusst oder nicht. Was wir uns da einreden: man müsse diese Dinge fliehen und jene suchen, ausgerechnet diese Stätten und Menschen, diese Weise, diese Richtung, diese Beschäftigung – nicht das ist schuld, dass die Lage oder die Dinge dich hindern! Sondern du bist es in den Dingen selber, was dich hindert: deine Stellung zu den Dingen ist verkehrt. Bei dir also setz den Hebel an und lasse dich! Denn wahrlich! fliehst du dich nicht zuerst, dann, wo du auch hinfliehst, findest du immer nur Behinderung und Unfrieden. Die Leute, die Frieden suchen in äußeren Dingen: bei Orten und Weisen, durch Menschen oder Werke, durch Unbehaustheit, Armut und Niedrigkeit – wie stattlich sich’s auch ausnimmt, das ist dennoch alles nichts und gibt keinen Frieden! Sie suchen ganz verkehrt, die also suchen: je ferner sie fortgehen, um so weniger finden sie, was sie suchen. Sie gehen wie einer seines Weges vermisst: je weiter er geht; je mehr er irrt.

„Aber wie soll man’s denn machen?“

Zuerst einmal sich selber lassen! Damit hat man auch alle Dinge gelassen. Ohne Übertreibung: ließe einer ein Königreich, ja die ganze Welt, und behielte sich, er hätte gar nichts gelassen! Ja, und gibt er sich auf, so kann er behalten, was er will, Reichtum, Ehre oder was immer: er hat alles aufgegeben. Ein Heiliger bemerkt zu dem Ausspruch Sankt Peters: „Sieh, Herr, wir haben alles gelassen“ – und er hatte doch weiter nichts gelassen als ein armes Netz und seinen Kahn –, der Heilige sagt: wer das Kleine willig lässt, der lässet nicht nur dieses, er lässet alles, was die Kinder der Welt gewinnen, ja sich auch nur wünschen mögen. Denn wer seinen Willen, wer sich selber lässt, der hat die ganze Welt gelassen, so gut, als ob sie sein freies Eigen wär und er sie zu voller Gewalt besessen hätte. Alles, was du ausdrücklich nicht begehrst, des hast du dich begeben, hast es gelassen um Gott. Selig sind die Armen im Geist, hat unser Herr gesagt; es bedeutet, die arm sind am Willen. Und daran soll niemand zweifeln: gäb es einen bessern Weg, unser Herr hätt ihn uns gewiesen. Wie er auch sagt: Wer mir nachfolgen will, der verzichte zuerst auf sich selber! Darauf allein kommt’s an. Fahnde auf dich, und wo du dich findest, da gibt dich auf! Das ist das Heilsamste. Und lass dir sagen: es hat sich noch nie einer in diesem Leben so darangegeben, er findet immer, wie er sich noch mehr begebe. Derer sind wenige, die das recht wahrnehmen und darin sicher stehn. Es ist recht ein gleich mit gleich vergelten und ein gerechter Kauf: so weit du selber ausgehst aus den Dingen, genau so weit, keinen Schritt weniger oder mehr, geht Gott ein mit allem, was sein ist. Hier heb an und lass dich’s kosten, was du nur leisten kannst, so findest du wahren Frieden! Und anders nicht.

 

 

3. Werk und Wesen

 

Die Leute sollten nicht immer soviel nachdenken, was sie wohl tun sollen, sie sollten lieber bedenken, was sie sein sollen. Wären Sie nur gut und ihre Art, so möchten ihre Werke sehr leuchten. Bist du gerecht, so sind auch deine Werke gerecht. Denke nicht, dein Heil zu setzen auf ein Tun: man muss es setzen auf ein Sein. Denn die Werke heiligen uns nicht, sondern wir müssen die Werke heiligen. Und seien’s noch so fromme Werke, sie heiligen darum, weil wir sie verrichten, uns auch nicht im mindesten: sondern soweit wir Sein und Wesen haben, soweit heiligen wir all unser Tun, gleich ob Essen, Schlafen, Wachen oder was sonst. Die nicht von großem Wesen sind, was die auch schaffen, da wird nichts draus. Entnimm hieraus, wie man allen Eifer darauf richten muss, dass man ein Guter sei: nicht so sehr, was man tue, oder in welche Gattung die Werke schlagen, sondern wie der Grund der Werke sei. Der Grund, auf dem es beruht, ob des Menschen Wesen gut sei, der Grund zugleich, von dem des Menschen Werke ihren Wert empfangen, ist: ob unser Gemüt gänzlich zu Gott gekehrt sei. Darauf setz all dein studieren, dass Gott in dir groß werde und dein Ernst und Eifer ihm gelte in allem Tun und Lassen! Um so besser fürwahr werden, welches Namens immer, auch deine Werke sein. Suche Gott, so findest du Gott und alles Gute dazu. Ja, du könntest in solcher Gesinnung auf einen Stein treten, und es wäre eher ein frommes Werk, als wenn du bloß um deinetwillen den Leib des Herrn nähmest, deine Gesinnung also der Abgeschiedenheit ermangelte. Wer sich an Gott hängt, dem hängt Gott sich an und alles Tüchtige. Und was du zuvor suchtest, das sucht nun dich, welchem du zuvor nachjagtest, das jagt nun dir nach, und was du zuvor fliehen musstest, das flieht nun dich. Darum: zu dem, der sich an Gott hängt, zieht sich, was göttlich ist, und weicht von hinnen, was Gott unähnlich und fremd ist.

 

 

4. Von der Sammlung

 

Ich ward gefragt: „eine Art Leute zögen sich streng von allem Umgang zurück und liebten es, allein zu sein: sie bedürften des zu ihrer Sammlung; oder müssten sich dazu in der Kirche befinden: Ob das das beste wäre?“ Nein! hab ich erwidert. Und lass dir sagen warum!

Wem recht zu Mut ist, dem passt es allerorten und bei allen Leuten; wem aber unrecht, dem ist’s allerorten und bei allen Leuten nicht recht. Ein Rechtgemuter nämlich, der hat Gott bei sich. Gott aber, hat man ihn überhaupt, so hat man ihn allerorten: auf der Straße und unter den Leuten so gut, wie in der Kirche oder in der Einöde oder in der Zelle. Ob einer ihn, und nur ihn hat, den Menschen vermag niemand zu stören.

„Warum?“

Gott ist ihm ein und alles; und wer in allem es rein nur auf Gott absieht, ein solcher trägt Gott in alle seine Werke und an alle Stätten. All sein Tun tut vielmehr Gott. Denn wer die Handlung verursacht, dem gehört sie in Wahrheit mehr, als dem, der sie nur ausführt. Ist, ohne jeden Nebenblick, Gott unser Ziel, fürwahr! so muss er der Täter unserer Taten sein. Und ihn an seinem Wirken zu hindern hat durchaus niemand Macht, auch Raum und Masse nicht. So auch diesen Menschen hat niemand Macht zu hindern. Denn er ersehnt und sucht nichts und schmeckt ihm nichts, als Gott: der wird in aller seiner Gesinnung mit ihm eins. Und gleich wie Gott keine Mannigfaltigkeit zu zerstreuen vermag, so vermag nun auch diesen Menschen nichts zu verstreuen, noch zu vermannigfaltigen: er ist Eines in dem Einen, darin alle Mannigfaltigkeit Einheit, unverbrüchliche Einheit ist.

Mitten in den Dingen muss der Mensch Gott ergreifen und sein Herz gewöhnen, ihn allzeit als einen gegenwärtigen zu besitzen im Gemüt, in der Gesinnung und im Willen. Gib acht, wie du gegen deinen Gott gesonnen bist, wenn du in der Kirche oder in der Zelle weilst: die selbe Gemütsverfassung halte fest und trag sie hinaus unter die Menge und in das Getümmel, in eine so fremde Welt! Wie ich aber auch sonst betont habe: wenn wir damit ein sich gleich bleiben fordern, so ist unsere Meinung doch nicht die, als solle man alle Beschäftigungen für gleich achten, und alle Stätten und Menschen – das wäre gar verkehrt: denn freilich ist beten ein besser Werk als spinnen, und eine geeignetere Stätte die Kirche, als die Straße. Sondern du sollst unter der Arbeit das gleiche Gemüt haben und eine gleiche Treue und gegen deinen Gott den gleichen Ernst hegen. Traun! hieltest du in solcher Weise dich gleich, so unterbräche dir niemand deines Gottes stete Gegenwart.

Wem dagegen Gott nicht solch innerer Besitz ist, sondern sich allen Gott von draußen holen muss in diesem oder dem – wo er ihn denn auf unzulängliche Weise sucht, mittels bestimmter Werke, Leute oder Örter: so hat man ihn eben nicht, und da kommt dann leicht etwas, was einen stört. Und zwar stört einen dann nicht bloß schlechte Gesellschaft, sondern auch die gute, nicht bloß die Straße, auch die Kirche, nicht bloß böse Worte und Werke, sondern gute genau so. Denn das Hindernis liegt in ihm: Gott ist in ihm noch nicht zur Welt geworden. Wär er ihm das, so fühlte er sich allerorten und bei allen Leuten gar wohl und geborgen: immer hätt er Gott, und den kann ihm niemand nehmen, niemand ihn in seinen Wirken hindern.

Worauf beruht nun solch ein echter Gottbesitz? Er beruht auf dem Gemüt und einer innigen vernünftigen Hinwendung und Willensausrichtung auf Gott. Nicht auf einem steten unentwegten Denken an Gott! Es wär ja auch menschenunmöglich, solchen Vorsatz durchzuführen, oder doch äußerst schwierig und jedenfalls das Beste nicht. Der Mensch soll sich nicht zufrieden geben mit einem gedachten Gott – wenn der Gedanke vergeht, so vergeht auch der Gott. Sondern man muss einen wesentlichen Gott haben, der erhaben ist über das Gedenken des Menschen und aller Erschaffenen. Der Gott vergeht nicht, man kehre sich denn freiwillig ab.

Wer Gott so, im Wesen, hat, der nur nimmt Gott göttlich, und dem leuchtet er entgegen aus allen Dingen: alle schmecken ihm nach Gott, in allen spiegelt sich ihm Gott, Gott selber blickt in ihn allezeit. Eine gelöste Abkehr ist in ihm, und die Bildkraft nach innen gerichtet, auf den Gegenstand seiner Liebe, auf Gott. – Wie wenn einen hitzig dürstet, so mit rechtem Durste. Der tut wohl anderes als trinken, mag auch anderer Dinge gedenken. Aber was er auch schaffe, bei wem er sei und in welcher Absicht, ihm vergeht doch das Bild des Trankes nicht, solange sein Durst anhält. Und je größer sein Durst, um so innerlicher, gegenwärtiger und stetiger wird auch das Bild des Trankes. Oder wer mit aller Inbrunst etwas liebt, also, dass ihm nichts anderes zusagt und zu Herzen geht, und hat nur dieses im Sinn, und anderes überhaupt nicht, traun! wo der auch ist und bei wem, was er auch beginn’ und schaffe, so verlischt doch nimmer in ihm sein heiß Geliebtes, in allem findet er dessen Bild und hat es in dem Maße mehr vor Augen, als seine Liebe noch immer mächtiger wird.

Dieser Mensch sucht nicht die Ruhe: denn ihn stört keine Unruhe. Dieser Mensch steht gut bei Gott angeschrieben: weil er alle Dinge göttlich nimmt (wenne er alliu dinc götliche nimt), besser als sie an sich sind. Freilich! dazu gehört Fleiß und Hingabe und scharfe Obacht auf unser Inneres und ein waches, wahres, wirksames Bewusstsein, worauf das Gemüt zu fußen habe trotz Dingen und Leuten. Solches kann der Mensch nicht lernen durch Weltflucht: indem er vor den Dingen flieht und sich in die Einsamkeit kehrt von der Außenwelt fort. Sondern er muss eine innerliche Einsamkeit lernen, wo und bei wem’s auch sei: er muss lernen, durch die Dinge hindurchzubrechen, muss seinen Gott darinnen ergreifen, und fähig werden, ihn sich in seinem Innern wirksam vorzubilden, als der nun eine Bestimmtheit unsers eigenen Wesens geworden.

Gleicherweis wie einer, der sich vornimmt, schreiben zu lernen. Soll er je die Kunst meistern, traun! da muss er sich viel und oft in dieser Tätigkeit üben, wie sauer und schwer es ihm auch werde und schier unmöglich dünke. Hält er sich nur fleißig herzu, er lernt’s und gewinnt die Kunst! Freilich! zuerst muss er an jeden Buchstabe einzeln denken und den peinlich genau in sich vorbilden. Später, wenn er die Kunst erst weg hat, dann schreibt er frisch drauf los, seien’s Federspiele oder ernstere Geschäfte, die seine Kunst in Anspruch nehmen: für ihn genügt einfach das Bewusstsein, dass er sein Können betätigen will. Und ob er auch nicht beständig an die Buchstaben denkt, sondern sonst woran, dennoch vollbringt er die Leistung kraft seiner Kunst.

So muss auch der Mensch mit göttlicher Gegenwart leuchten ohne alle Arbeit, nur: fremder Zutat sich schlechthin entkleiden und ein für allemal der Dinge ledig bleiben. Da gehört anfangs auch solch Darandenken und achtsam Vorerbilden zu, wie beim A-b-c-Schützen für dessen Kunst: Schließlich aber muss der Mensch mit seinem göttlichen Gegenstand durchdrungen, mit der Form seines herzlich gehegten Gottes durchformt und mit seinem ganzen Wesen so in ihm gewurzelt sein, dass Gott als Gegenwärtiger ihm leuchte ohne alle Arbeit.

 

 

5. Von der Wachsamkeit

 

Solcher Leute findet man viele und bringt es einer, wenn er will, ziemlich leicht dazu, dass ihn die Dinge, unter denen er wandelt, nicht mehr stören, noch deren Bilder bleibend in ihm sitzen – denn wo der Herz Gottes voll ist, da können unmöglich noch die Kreaturen Platz finden. Aber daran soll uns nicht genügen, wir müssen uns die Dinge insgesamt auf höhere Art zu nutze machen: als die da sind, was wir sind – die Dinge, die wir sehen und hören, wie fremd und unverwandt sie uns anmuten! Dann erst stehen wir recht und nicht eher. Und nimmer wird ein Mensch hiermit zu Ende kommen: ohn Unterlass kann er hierin noch wachsen und hinzugewinnen in einem wahren Zunehmen. Bei jedem Werk und jeder Sache muss man bewusst von seiner Vernunft Gebrauch machen, überall ein vernünftiges Mitwissen haben von sich und seiner Innerlichkeit und in allen Dingen Gott ergreifen im höchsten nur möglichen Sinne! Damit man sei, wie unser Herr es fordere: „ihr sollt sein wie Leute, die allzeit wachen und ihres Herrn warten!“ Traun! solche harrenden Leute sind auf dem Posten und sehen sich um, wo er wohl herkommt, des sie harren; und erwarten ihn in allem, das da kommt, wie fremd es ihnen auch scheine: ob er nicht doch dabei sein. So auch gebührt sich uns ein bewusstes Ausspähen nach unserem Herrn in allen Dingen. Wozu denn freilich Fleiß gehört und man sich’s kosten lassen muss, was man nur irgend leisten kann mit Sinnen und Seelenkräften. So kommen die Leute ins Lot und ergreifen Gott unterschiedslos in allen Dingen und empfinden ihn mit gleicher Stärke in jeder Lage. Und mag dazu auch eine Beschäftigung geeignetere sein als die andere: wer nur sein Werk täte aus einem gleichen Gemüt, dessen Werke hätten auch alle gleichen Wert. Und dem Rechtgemuten, fürwahr, dem leuchtete Gott so unverhüllt im weltlichsten wie im frömmsten Geschäft – einem, dem „Gott“ auch zur „Welt“ geworden wär (dem got alles were worden). Dies nun nicht in dem Sinne, als ob man von sich aus etwas recht Weltliches oder Widerstrebendes vornehmen müsse! Sondern was einem von der Außenwelt her ankommt mit Sehen oder Hören, das soll man zu Gott kehren.

Wem Gott so gegenwärtig ist in allen Dingen, wer seiner Vernunft in vollem Maße mächtig ist und von ihr entsprechenden Gebrauch macht, der weiß allein von wahrem Frieden und der nur hat wirklich „das Himmelreich“. Denn wer zurecht kommen will, dem muss je unter zweien Dingen eines geschehen: entweder er muss Gott ergreifen und festhalten lernen in seiner Arbeit, oder er muss Welt und Werke überhaupt lassen! Da nun der Mensch in diesem Leben nicht bestehn kann ohne Arbeit, diese vielmehr des Menschen Teil ist und von vielerlei Art, darum so lerne der Mensch, seinen Gott zu haben mitten in den Dingen und ungehindert zu bleiben von Geschäft und Ort.

Darum denn auch, wenn der anhebende Mensch etwas zu schaffen hat unter den Leuten, so soll er sich zuvor kräftig zu Gott verwarnen, sich ihn fest ins Herz prägen und all sein Wollen und Gedenken, all seine Seelenkräfte in ihn zusammenfassen, auf dass sich anderes nicht in ihm erbilden könne. Überhaupt darf man’s bei keinem Werk zu leicht nehmen mit „wohlgewählt und rechtgetan“, damit man über der Arbeit nicht frei werde und zu sicher, und unserer Vernunft nicht müßig gehe oder einschlafe: je und je müssen wir mit dem Flügelpaar Vernunft und Willen uns erheben und unser Heil damit in höchster Höhe greifen, vor allem Schaden aber, so auswendig wie inwendig, uns besonnen warnen. So kommt man nimmer in Verzug, sondern nimmt ohne Unterlass zu ins Mächtige!

 

 

6. Von der Macht des Willens

 

Wisse: Versuchung zum Bösen bleibt beim tüchtigen Menschen niemals ohne großen Segen und Förderung! So höre: Es gibt zwei Arten Menschen. Der eine ist so angelegt, dass ihn keine Schwachheit befällt oder doch selten. Der andere ist ihr zugänglich: von der sinnfälligen Gegenwart der Dinge wird sein äußerer Mensch leicht entflammt, sei’s zu Zorn oder eitlem Prangen oder auch sinnlich, je wie der Gegenstand ist; aber in seinem höchsten Vermögen steht er unerschüttert aufrecht und ist nicht gesonnen, der Schwachheit nachzugeben, sondern kämpft gegen sie mit aller Macht. Wo sie doch vielleicht in seiner Natur liegt, wie denn mancher von Haus aus jähzornig oder hochfärtig ist oder sonst dergleichen: aber zur sündigen Tat lässt er’s nicht kommen! Dieser soll ungleich mehr gepriesen sein, ist sein Gewinn doch weit größer, seine Tugend weit edler, als des ersten. Nur aus der Anfechtung kommt Vollkommenheit. Wie Sankt Paulus spricht. „die Tugend vollendet sich in der Schwachheit.“

Sündiger Hang ist noch nicht Sünde – aber der Wille zu sündigen, der ist bereits Sünde. Wahrhaftig! der Rechtberatene, hätt er Gewalt zu wünschen, der wird nicht wünschen, dass der sündige Hang ihm schwinde. Denn ohne ihn stünde der Mensch unsicher da in der Welt trotz allen seinen Werken, wär nicht auf seiner Hut und ermangelte dazu der Ehren des Streites wie des Siegerlohns. Erst der Anstoß und die Erschütterung durch die Untugend bringen die Tugend als den Lohn für heißes Mühen: solch Hang macht einen fleißiger, sich allerwegen in der Tugend zu üben, er treibt uns zur Tugend mit Gewalt, als eine strenge Geißel, die zur Hut und Selbstzucht anhält. Je schwächer darum sich einer findet, desto eher darf er sich der Stärke und des Sieges versehen. Denn Tugend sowohl wie Laster beruhen auf dem Willen. Durch keine Enttäuschung soll man sich abschrecken lassen, derweil man sich bei gutem Willen findet. Es sich auch nicht zu Herzen nehmen, ob man ihn auch nicht zu vollbringen vermag mit der Tat, vielmehr sich nicht für ferne achten von der Tugend, wofern man in sich rechten Willen fühlt: denn Tugend und jede Güte beruht nur auf dem guten Willen. Nichts kann dir fehlen, wenn anders du ein echtes, rechtes Wollen hast, weder Liebe noch Demut noch sonst ein Vorzug. Sondern was du mit aller Kraft und ganzem Willen willst, das besitzest du, und Gott samt allen Kreaturen können dir’s nicht benehmen. Vorausgesetzt, dass dein Wille ein ganzer, ein göttlicher und vor Gott ein gegenwärtiger ist. Nicht ein „ich wollte wohl“ – das wäre etwas Künftiges; sondern „ich will, dass es jetzo also sei!“ Überlege doch: mag ein Gegenstand auch tausend Meilen weit sein und ich fasse den Willen, ihn zu besitzen, so ist er eher mein Eigentum, als was ich im Schoße halte und will es nicht besitzen.

Und die Macht eines guten Willens ist dabei um nichts geringer, als die eines bösen. Ob ich auch nie etwas Böses tue, habe aber dennoch den Willen zum Bösen, so habe ich die Sünde begangen, wie wenn ich die Tat begangen hätte. In einem entschlossenen Wollen vermag ich soviel Schuld auf mich zu laden, als wenn ich alle Welt gemordet hätte, und brauche doch keinen Finger dazu zu rühren. Warum sollte nicht dasselbe möglich sein beim guten Willen, ja noch viel und ungleich mehr? Und wirklich! mit meinem Willen vermag ich alles: kann aller Menschen Mühsal tragen, kann alle Armen speisen und aller Menschen Arbeit leisten und was du sonst erdenken magst. Gebricht dir’s nicht am Wollen, sondern allein am Vermögen, wahrhaftig! vor Gott hast du es alles getan, und niemand kann dir das benehmen noch es dir einen Augenblick streitig machen.

Denn tun wollen, sobald ich’s vermag, und getan haben, das gilt vor Gott gleich. Wollt ich zum Beispiel soviel Wissen besitzen (wölte ich als vil wissen han), als irgend der Menschheit Teil ist, und ist mein Begehren danach nur stark und ungeteilt, wahrhaftig! so besitze ich’s. Denn was ich haben will, das habe ich. Oder begehrte ich Liebe zu haben wir nur je ein Mensch, oder Gott zu verherrlichen, oder was du magst: das besitzest du alles, so du ganzen Willen hast.

Nun möchtest du fragen: wann denn der Wille ein rechter und ganzer Wille ist?

Wenn er alle Eigenheit abgelegt, aus sich selber ausgegangen und in den Willen Gottes eingebildet und umgeformt ist! Je mehr das der Fall ist, desto mehr ist dein Wille ein rechter und wirklicher Wille, kraft dessen du zu allem fähig bist, sei’s Gottesliebe oder was du willst.

Es wird der Einwand erhoben: „Wie aber kann ich Gottesliebe besitzen, wenn ich doch davon nichts spüre noch gewahr werde? Wie ich an anderen Leuten sehe: die große Werke aufzuweisen haben und finde an ihnen wunder welche Andacht, was mir doch alles abgeht?“

 

Hier musst du zwei Seiten unterscheiden an dieser Liebe: ein Wesen – und ein Werk oder Ausbruch solches Wesens!

Stätte der Liebe ist allein der Wille: wer mehr Willen hat, der hat auch der Liebe mehr. Aber wer davon mehr habe, das weiß keiner vom andern, das liegt verborgen in der Seele: weil Gott verborgen liegt im Grunde der Seele. In diesem Sinne fällt die Liebe ganz und gar in den Willen: wer mehr Willen hat, der hat auch mehr Liebe.

Nun ist da aber noch ein zweites, ein Ausbruch und Auswirkung der Liebe, das denn freilich sehr ins Auge sticht als Innigkeit, Andacht und Jubilieren. Aber ehrlich gesagt: das Beste ist das keineswegs! Denn es stammt mitunter auch nicht aus Gottesliebe, sondern aus bloßer Natürlichkeit, dass man dergleichen schmelzende Gefühle zu kosten bekommt. Es kann des Himmels Einfluss ein, es kann aber auch sinnlich eingetragen sein, und die dergleichen häufiger erleben, die sind darum noch lange nicht die Besten. Denn gesetzt auch, es stamme wirklich von Gott, so schickt unser Herr das manchen Leuten, um sie neugierig zu machen und anzulocken, wozu noch kommt, dass dergleichen Erlebnisse den Menschen stark von seiner Umgebung abziehen. Aber dieselben Menschen, wenn sie hernach in der Gottesliebe gewachsen sind, so haben sie vielleicht nicht mehr soviel „Gefühle“ und „Erlebnisse“! Und daran erst kommt an den Tag, ob sie wirklich Gottesliebe besitzen: wofern sie auch ohne solchen Rückhalt Gott unentwegt Treue halten.

Angenommen nun, es sei eitel Gottesliebe, so ist das doch nicht die beste Seite daran! Denn solchen Jubilus muss man zuweilen unterbrechen für ein Besseres an Liebe: um zwischendurch ein Liebeswerk zu üben, wo man seiner gerad bedarf (da man sin iht not hat), zu geistlicher, weltlicher oder auch rein leiblicher Förderung. Wie ich auch sonst gesagt habe: wär einer in solcher Verzückung wie weiland Sankt Paulus und wüsste einen siechen Menschen, der eines Süppleins von ihm bedürfte, ich achte es weit besser, du ließest von Liebe und Verzückung und dientest Gott in einer größeren Liebe! Man braucht auch nicht Angst zu haben, dass man der Gnade darüber verlustig gehe. Denn was man aus Liebe willig lässet (swaz der mensche von minnen lat), das empfängt man um so herrlicher zurück. Wie Christus spricht: „wer etwas lässet um meinetwillen, der soll hundertfach wiedererhalten“. Es ist so! wes einer Gottes wegen sich entschlägt – und verlangte ihn noch so dringend nach solchen Tröstungen und innigen Gefühlen, und tut dazu was er vermag, und Gott gibt es ihm nicht, und er getröstet sich dessen und will es Gottes wegen gerne missen – wahrlich! er wird es in sich finden genau so, wie wenn er diese Güter sämtlich in seinem Verwahrsam hätte. Aus Liebe darf man schon getrost sich aller Labungen der Liebe begeben!

Dass man solches Empfinden um der Liebe willen zuweilen unterbrechen muss, das weist uns der liebe Paulus, wenn er sagt: „Ich habe gewünscht, dass ich von Christo müsse geschieden sein um der Liebe willen zu den Brüdern.“ Von dieser, nicht von jener ersten Seite der Liebe meint er’s; denn von der wollt er um keinen Preis der Welt auch nur einen Augenblick geschieden sein.

Du sollst aber wissen, dass die Freunde Gottes nie ohne Labe sind, denn was Gott will, das ist, ob erquicklich oder unerquicklich, für sie das höchste Labsal. Du sollst wissen, dass der gute Wille Gottes gar nicht missen kann! Nur das Empfinden des Gemüts vermisst ihn unterweilen und verfällt dem Wahne, Gott sei fortgegangen. Was sollst du dann tun? Genau dasselbe, wie wenn du im schönsten Wohlgefühle wärst! dasselbe lerne tun, so du im ärgsten Leiden stehst. Es gibt keinen bessern Rat, Gott zu finden, als: wo man ihn gelassen hat! Wie dir war, da du ihn zum letzten male hattest, so tu auch nun, derweil du seiner missest! so findest du ihn. Aber wie gesagt: der gute Wille, der verliert noch vermisst Gottes überhaupt niemals.

Viele Leute sprechen: „wir haben guten Willen!“ Sie haben aber nicht Gottes Willen! Sie wollen ihren Willen haben und wollen unsern Herren lehren, er hab es so und so zu machen. Das ist durchaus kein guter Wille. Bei Gotte muss man forschen nach dessen liebstem Willen! Darauf ist Gott überall aus, dass wir das Wollen aufgeben. Da Sankt Paulus mit unserm Herrn geheime Red’ und Widerrede pflog, das schaffte alles nicht, bis dass er den Willen aufgab und sprach: „Herr, was willst du, dass ich tun soll?“ Da wusste unser Herr wohl, was er tun sollte! So auch da Unsere Frau der Engel erschien. Alles, was sie je getan und geredet, das hätte sie niemals zu Mutter Gottes gemacht: aber sobald sie ihren Willen aufgab, da auf der Stelle ward sie eine wahre Mutter des ewigen Gottesworts, da empfing sie Gott; der ward ihr natürlicher Sohn. Nichts in der Welt macht uns zu wahren Menschen, als Willenshingabe. Ohne sie haben wir mit Gott überhaupt nichts zu schaffen. Wiederum: käm es dahin, dass wir allen unsern Willen aufgäben und uns aller Dinge, äußerlich wie innerlich, zu entschlagen getrauten, so hätten wir die Welt geschaffen, nicht er. Solcher Leute findet man wenige.

Ob sie sich’s bewusst sind oder nicht, die immer nur auf „Stimmung“ und große „Erlebnisse“ aus sind und nur diese angenehme Seite haben wollen: Eigenwille ist das, weiter nichts! Du solltest dich Gotte gänzlicher ergeben. Und da kümmer dich weiter nicht, was er anfange mit seinem Eigentum! Es sind tausend Menschen tot und im Himmel, die niemals völlig aus ihrem Willen gingen. Das wär allein ein vollkommener und wahrer Wille, dass man ganz getreten wär in Gottes Willen und ständ des Eigenwillens bar. Je weiter es einer hierin gebracht hat, um so mehr ist er Gott einverleibt. Ja! ein Ave Maria in solcher Gesinnung gesprochen, ist förderlicher, als tausend Psalter gelesen ohne sie, ein Schritt in ihr besser, als ohne sie eine Fahrt über Meer.

Der Mensch, der also sich selbst ganz entgangen wär, wahrlich, der wär so ganz und gar in Gott gesetzt, wo man ihn rühren wollte, da müsste man Gott zuerst anrühren: Gott umschließt ihn, wie meine Kappe mein Haupt umschließt, und wer mich wollt angreifen, der müsste zuerst mein Kleid berühren. Oder ein andrer Vergleich. Soll ich trinken, so muss der Trank zuerst über die Zunge gehn, da empfängt er seinen Geschmack. Ist die Zunge bekleidet mit Bitterkeit, dann mag der Wein an sich noch so süß sein, er muss ja bitter werden auf dem Wege, auf dem er an mich kommt. So auch ein seines Ichs entkleideter Mensch würde dermaßen mit Gott umfangen sein, dass die Erschaffenen allesamt unfähig wären, ihn zu rühren, sie rührten denn Gott zuerst: was an ihn kommen sollte, das müsste durch Gott hindurch zu ihm gelangen, da empfängt es seinen Geschmack und wird gottartig. Wie hart daher ein Leiden sei, kommt es auf dem Wege über Gott, darunter leidet Gott an erster Stelle. Und sogar dies: vor Gott ist nie ein Leid, das uns befällt, so gering, eine Missstimmung, eine Widerwärtigkeit, dass es nicht in Gott gesetzt, ihn ohnmaßen näher rührte und viel ärger zuwiderliefe als dem Menschen. Lässt aber Gott es sich gefallen um irgend einen Vorteil, den er dir darin ersehen hat, und willst du leiden, was er erleidet und durch ihn an dich kommt, so wird es von selber gottartig, Verschmähung und Bitternis wie das Allersüßeste und die dickste Finsternis wie das klarste Licht: es nimmt alles seinen Geschmack an Gott und wird göttlich, es formt sich alles nach dessen Bilde, was immer an diesen Menschen kommt.

 

Das Licht leuchtet in der Finsternis, da wird man seiner gewahr. Was soll denn den Leuten so „Licht“ wie Lehre, denn dass sie’s nützen? So sie in der Finsternis sitzen und mitten im Leid, so wird man sehen, was es ist mit ihren Erleuchtungen!

 

 

7. Vom Segen der Sünde

 

Wer die Selbstheit hinter sich gelassen, der kann ja eigentlich niemals Gottes missen (gotes gemissen), bei keinem Tun. Geschäh’s aber doch, dass Fuß oder Zunge ihm strauchelte oder sonst ein Ding ihm zu unrecht geriete, ob doch Gott sein Beginn war bei dem Werk: so muss Er wohl oder übel den Schaden auf sich nehmen, doch du darfst darum keineswegs von deinem Werke lassen! Solcher Zwischenfälle wird man in diesem Leben wohl nie ganz überhoben sein. Doch darum, weil etwann auch Ratten unter das Korn fallen, darum soll man das gute Korn noch nicht verwefen. Vielmehr, wer recht gemutet, und sich mit Gott auskennt, dem gerieten alle solche Prüfungen und Zwischenfälle zu erheblicher Förderung. Denn dem Guten müssen alle Dinge zum Besten dienen – wie Sankt Paulus sagt und ebenso Sankt Augustinus: sogar die Sünde!

 

Gesündigt haben ist keine Sünde, sobald’s uns leid ist. Zwar darf man Sünde nicht begehen wollen, um alles nicht in Zeit noch Ewigkeit, weder „tödliche“ noch „lässliche“, sondern überhaupt keine. Wer sich auf Gottes Art versteht, der wird sich immer vor Augen halten, dass der getreue huldreiche Gott den Menschen aus einem sündigen in ein göttlich Leben gebracht, aus seinem Feinde ihn zu seinem Freunde gemacht hat – was mehr ist, als eine neue Erde zu schaffen!

Gewiss der stärksten Antriebe einer, den Menschen ganz auf Gott zu stellen und wunder wie zu entzünden in mächtiger Gottesliebe! Aber wer wirklich hereingenommen wäre in den Willen Gottes, der wird auch nicht wollen, die Sünde, in die er gefallen, möge überhaupt nicht geschehen sein (Die Bulle von 1329 erklärte den Satz im Artikel 14 für ketzerisch).

Nicht zwar insofern, als sie etwas Widergöttliches war: sondern sofern du damit zu desto größerer Liebe gebunden und dich durch sie gemindert und gedemütigt fühlst. Denn war deine Tat auch wider Gott gerichtet, so darfst du doch Gotte schon zutrauen, dass er dir so etwas nicht verhängt hätte, er wollte denn dein Bestes daraus ziehen. Wenn dann aber der Mensch sich entschlossen aufrichtet und abkehrt von der Sünde, so tut der getreue Gott, als ob der Mensch nie in Schuld gefallen wär, und will ihn alle seine Sünden auch nicht einen Augenblick entgelten lassen: und wären ihrer mehr, als je die Menschheit aufgehäuft, nie wieder wird ihn Gott etwas davon entgelten lassen, er ist imstande, mit diesem Menschen alle Vertraulichkeit zu haben, die er je einem Sterblichen gestattete. Ob er ihn anders jetzt bereit findet, so sieht er nicht an, was er zuvor gewesen ist! Gott ist ein Gott der Gegenwart: wie er dich findet, so nimmt er dich und lässt dich zu. Er fragt nicht, was du gewesen, sondern was du jetzt bist. Allen Schaden und Schande, die Gott angetan werden durch die Sünde, die will er sich gerne gefallen lassen, jahrelang, nur damit der Mensch hernach zu einer überwältigenden Erkenntnis seiner Liebe komme und Anhänglichkeit und Dankbarkeit bei ihm nur um so stärker, sein Ernst und Eifer nur um so brennender werde, wie das ja billig nach der Sünde zu geschehen pflegt.

Darum hat denn auch Gott das Sündenelend am öftesten gerad über die Menschen verhängt, die er zu großen Dingen hat ersehen wollen. Sieh es doch an: wer war unserm Herrn lieber und heimlicher als die Apostel? Nicht einer bleibt, der nicht gefallen war, alle waren sie Todsünder gewesen! Im alten und im neuen Bunde hat er’s immer wieder bewiesen an denen, die ihm hinterher wer weiß wie nahe standen. Und auch noch hört man selten, dass die Leute es weit bringen, sie seien denn zuerst auf Abwege geraten.

Worin Gott uns seine große Barmherzigkeit zu erkennen geben und uns mahnen will zu rechter Demut und Bedenklichkeit! Denn so oft die Reue sich erneut, wird auch die Liebe mit Macht gesteigert und erneuert werden.

 

 

8. Von der Reue

 

Reue gibt es von doppelter Art. Die eine ist zeitlich und sinnlich, die andere göttlich und übernatürlich. Die zeitliche zerrt sich nur immer tiefer hinab in immer ärgere Pein und setzt den Menschen in einen Jammer, als ob er straks verzweifeln müsse. Die bleibt stecken im Elend und kommt nicht vom Fleck: es wird nichts daraus.

Anders die göttliche Reue. Sobald nur im Menschen eine innere Missbilligung auftaucht, gleich erhebt er sich auch zu Gott und setzt sich, gegen jede Sünde sorglich gewappnet, in einen unerschütterlichen Willen. Und von da erhebt er sich zu grenzenlosem Gottvertrauen und gewinnt eine grenzenlose Sicherheit. Und hieraus entspringt eine geistige Freude, die die Seele heraushebt au allem Elend und Jammer und zusammenschließt mit Gott. Und je gebrechlicher sich einer fühlt und je zahlreicher seine Missetaten: je mehr Ursache hat er, sich in ungeteilter Hingabe an Gott zu binden, bei dem es keine Sünde und kein Gebresten gibt.

Der sicherste Grad darum, den man beschreiten mag, will man in gesammelter Andacht zu Gotte gehen, ist: sündlos zu sein kraft der göttlichen Reue. Und je schwerer man selber die Sünde wägt, um so eher ist Gott bereit, sie zu vergeben, zur Seele zu kommen und die Sünde zu vertreiben. Ist jeder doch am rührigsten, das abzutun, was ihm am meisten zuwider ist. Je zahlreicher und schlimmer die Sünden sind, nur um so lieber und rascher vergibt sie Gott, je mehr sie ihm damit zuwider sind. Kaum also, dass die göttliche Reue sich zu Gott erhebt, so sind alle Sünden bälder verschwunden in den Abgrund Gottes, als ich mein Auge zutun könnte, und werden so vollständig zunichte, wie wenn sie nie geschehen wären.

 

 

9. Von zweierlei Gewissheit ewigen Lebens

 

Wahre und vollkommene Gottesliebe (ware und volkomene minne) lässt sich daran prüfen: ob man unbegrenzte Hoffnung und Zuversicht hegt zu Gott. Es gibt keinen bessern Maßstab der Liebe als Vertrauen. Wenn man einen andern herzlich und hingegeben liebt, so ist damit das Vertrauen son selber gesetzt. Was man Gott irgend zutraut, das findet man auch wirklich an ihm, und tausendmal mehr! Wie nie ein Mensch Gott zuviel lieben kann, so kann man ihm auch nie zuviel vertrauen – alles, was man sonst tun könnte, ist nicht entfernt so ziemlich, als ein unbegrenztes Gottvertrauen. Alle, die zu dieser großen Zuversicht sich aufgeschwungen haben, die hat er nicht wieder losgelassen, er wirkte große Dinge mit ihnen. Er wusste wohl, dass dieses Vertrauen herkommt aus Liebe.

Aber Liebe hat nicht allein Vertrauen, sie besitzt auch ein echtes Wissen und eine unzweifelhafte Sicherheit. Zweierlei Wissen gibt es in diesem Leben über das ewige Leben.

 

Das eine beruht darauf, dass Gott es dem Menschen selber sage, oder durch einen Engel entbiete, oder es ihm durch eine sonderliche Erleuchtung dartue. Das geschieht selten und wenigen Leuten.

Das andere Wissen ist ungleich besser und förderlicher und wird regelmäßig allen vollkommen gottliebenden Leuten zu teil. Es beruht eben darin, dass der Mensch kraft der Liebe und Zugehörigkeit, die er zu seinem Gotte hegt, zu ihm voll rückhaltlosen Vertrauens und seiner ganz sicher ist; wie er ihn denn unterschiedlos entgegennimmt (wan er in nimet) in allem Endlichen. Und bestritten’s ihm auch alle Kreaturen unter ihrem Eide, ja stritte Gott selber es ihm ab: sein Zutrauen wankte nicht! Denn Liebe kann nicht misstrauen, sie gewärtigt nur Gutes. Und es hat nicht Not, dass man das dem Liebenden und Geliebten erst sagen dürfe: Indem einer empfindet, dass er Gottes Freund ist, ist er auch kurzerhand vergewissert über alles, was ihm gut ist und zu seiner Seligkeit gehört. Denn wie liebend dir auch zu ihm ist: des kannst du sicher sein, dass ihm ohnmaßen liebender ist zu dir, und er in dich noch ungleich größeres Vertrauen setzt. Denn er ist selber die Treue.

Solcher Dinge kann man von ihm sicher sein, und sind alle sicher, die ihn lieben. Diese Gewissheit ist viel umfassender und verlässlicher als die erste, sie kann nicht trügen. Das Sagen könnte trügen, und das Licht möchte vielleicht ein Irrlicht sein. Diese Gewissheit dagegen verspürt man in allen Vermögen der Seele, sie kann nicht trügen in denen, die ihn wahrhaft lieben! Ein Zweifel ist für sie daran so wenig möglich wie an Gott selber.

Liebe vertreibt alle Furcht, sagt Paulus; und gleichfalls geschrieben steht: Liebe deckt der Sünden Fülle zu, sie weiß von Sünde nicht! Was doch gewiss nicht bedeutet, man dürfe nie gesündigt haben: sondern dass sie ganz und gar verderben und vergehen, wie wenn sie nie gewesen wären. Alle Werke Gottes sind auf einen Schlag vollkommen bis zum Rande: wem er vergibt, dem vergibt er alles mit einem Male und lieber Großes als Kleines. Auch dies eine Wirkung des rückhaltlosen Vertrauens. – So achte ich denn dieses Wissen für ungleich besser: es bringt mehr Gewinn und ist verlässlicher als das erste. Denn hier bildet auch die Sünde kein Hindernis. Sondern die Gott in gleicher Liebe findet, die urteilt er als gleich, hab einer nun viel oder gar nicht missgetan! Da gilt nur das Wort unsers Herrn: „Wem mehr vergeben wird, der liebe um so mehr!“

 

 

10. Von rechter Pönitenz

 

Viele Leute halten dafür, dass sie schwierige Dinge anstellen müssten mit äußerem Gebaren; wie fasten, barfuß gehen und solcher Dinge mehr. Man nennt das: Pönitenzen.

Aber die allerbeste Pönitenz – mit der man wirklich erheblich fördert – ist die, dass man sich zu einer vollständigen Abkehr entschließe von allem, was nicht durchaus Gott und göttlich ist an uns und aller Welt; und dafür eine volle und entschiedene Zukehr eintausche zu seinem lieben Gotte in unerschütterlicher Hingabe, derart, dass unser Gedenken und Gelüsten groß sei zu ihm. Das Werk, bei dem dir das am besten gelingt, das gerad ist für dich das rechte, und je mehr du’s betreibst, desto echter die Pönitenz und die Reue, desto rascher spült sie die Sünde fort, dazu auch alles Fegefeuer. Ja, wolltest du im letzten Augenblick mit aufrichtigem Missbehagen dich von aller Sünde ab- und ebenso entschieden Gotte zukehren: und hättest du alle Sünden getan, die aufgehäuft wurden von Adams Zeiten bis in alle Zukunft, es wird mitsamt dem Fegefeuer dir alles ganz vergeben sein, dass, stürbest du zur Stund, du hinfürest vor Gottes Angesicht!

Dies ist die wahre Pönitenz. Und die kommt, als in ihrem Gipfel, am vollkommensten an den Tag in dem teuren Leiden unsers Herrn Jesu Christi. Je näher man diesem Vorbild kommt, im selben Maße fallen von uns alle Sünden ab samt ihrer Pein. Wir müssen uns gewöhnen, in allem unsern Tun und Lassen, Leiden und Leben uns hinaufzubilden in das Leben und die Werke unsers Herrn Jesu Christi, und allezeit nur ihn im Auge haben (und meinen in alle zeit alleine), wie er’s nur immer auf uns abgesehen hat.

Diese „Pönitenz“ ist: schlechthin Erhebung des Gemüts über alles Endliche, ein Aufgehen in Gott. Die Werke, bei denen dir das am besten gelingt, denen widme dich freien Muts. Und hindert dich dabei ein äußerliches Werk, wie Wachen, Fasten, Lesen oder was sonst, so lass es freimütig weg, unbesorgt, du könntest etwas versäumen an „Pönitenz“. Gott sieht nicht an, welches die Werke seien, sondern nur, welches die Liebe, die Andacht, das Gemüte sei in diesen Werken: es liegt ihm nicht an unsern Werken, sondern einzig an unsrer Gesinnung, daran, dass er in allem unser Ziel sei. Denn der ist allzu gierig, der an Gott nicht genug hat. Das sei dir Lohns genug bei allen deinen Werken, dass dein Gott sie kennt und du ihn darin zum Ziele nimmst!

Je unbeirrter und geschlossener du dies tust, um so gründlicher büßen deine Werke alles Sündige. Gott, so musst du bedenken, ist ein gemeiner Erlöser der ganzen Welt gewesen - und dafür bin ich ihm noch weit mehr Dank schuldig, als wenn er mich alleine erlöst hätte! So sollst auch du sein ein gemeiner Erlöser alles dessen, was du durch Sünde an dir verderbt hast. Da wirf dich, wie du bist, in ihn! Hast du doch mit Sünden verderbt dein Herz und Sinne, Leib und Seele und alle ihre Vermögen: was an dir und in dir ist, es ist alles gar siech und verdorben. Drum fleuch zu ihm, an dem nichts krankes ist, sondern eitel Gesundheit: dass er sei ein gemeiner Erlöser alles Verderbnisses an dir, so inwendig wie auswendig!

 

 

11. Von rechter Nachfolge des strengen Lebens Christi

 

Es kann einem schon angst und bange dabei werden: dass unsers Herrn Jesus Christi Wandel und auch der Heiligen so gar streng und mühevoll gewesen, und man selber darin nicht eben stark ist noch sich sonderlich dazu getrieben fühlt! Und wenn sich nun die Leute hierin so unzulänglich finden, so achten sie sich wer weiß wie fern von Gott, als welchem sie nicht könnten nachkommen. Das soll man nicht! weder um einer Verfehlung oder Schwachheit willen, noch sonst worum. Denn gesetzt auch, arge Verfehlungen hätten dich dermaßen ausgetrieben, dass du unmöglich dich Gott nahe setzen kannst: so sollst du doch Gott dir nahe setzen. Es ist ein verhängnisvoller Irrtum, wenn der Mensch einen Abstand setzt zwischen sich und Gott. Denn ob der Mensch sich auch entfernt oder nähert, Gott geht doch niemals fern, er hält sich immer in der Nähe, und kann er nicht drinnen bleiben, so kommt er doch nicht weiter als vor die Tür.

Und so nun steht es mit der Strenge der Nachfolge. Zunächst musst du dir darüber klar werden, wozu du von Gott am allerdringendsten gemahnt seist. Denn wie Sankt Paulus sagt: alle Menschen sind mitnichten auf einen Weg zu Gott gerufen! Findest du nun, dass dein nächster Weg nicht geht in vielen äußern Werken und großer Mühsal und Entbehrungen  - woran so schlechtweg auch gar nicht groß liegt, es fühle sich denn einer sonderlich von Gott dazu getrieben und besitze die Fähigkeit, solches ohne Beirrung seines Innenlebens durchzuführen (und habe die maht solchs ze tuon) – findest du solches nicht in dir, so bleib du ganz in Frieden und nimm es dir nicht weiter an!

So möchtest du sprechen: „Liegt denn nichts daran, warum denn haben’s unsere Vorfahren und viele Heilige so gehalten?“

So bedenkt: unser Herr hat ihnen diese Weise gegeben, aber auch die Kraft, die dazu gehört, sie ohne Wanken durchzuführen: darin sollten sie zu ihrem Heile kommen. Aber Gott hat des Menschen Heil nicht gebunden an eine sonderliche Weise: was die eine leistet, dies Vermögen hat Gott allen guten Weisen gegeben, keiner ist es versagt! Denn ein Gutes ist nicht wider das andere. Daran sollten sich auch die Leute klarmachen, wie unrecht sie tun, wenn sie etwann einen vortrefflichen Menschen kennen lernen, oder hören von ihm erzählen, der aber nicht ihrer Weise anhängt – so heißt es: alles verlorene Mühe! Weil ihnen deren Methode nicht gefällt, gleich muss es auch mit ihrer Gesinnung nicht weit her sein. Dass ist nicht recht! Man soll andrer Leute Weise achten – auch eine gute Übung das! – und niemandes Weise schmähen. Ein jeder halte sich an seine gute Weise und ziehe dahinein alle andern und eigne mit ihrer Hilfe sich auch die Vorzüge der andern an. Wechsel der Weise ergibt ein unstät Wesen und Gemüt (wandelung der weise machet ein unstet wesen und gemüte). Was die eine dir geben kann, das kannst du auch mit der andern erreichen. Unmöglich können doch alle Menschen nur einem Wege folgen! Das gilt auch von der Nachfolge des strengen Lebens mancher Heiligen, die es sehr hart gehalten haben mit Bußübungen (solicher heiligen, die ser hart gewesen sint in penitenzien). Diese Weise sollst du hochschätzen und mag dir wohl gefallen: ohne dass du ihr doch folgen darfst.

 

Nun möchtest du sprechen: „Unser Herr Jesus, der hatte doch gewiss die höchste Weise; dem tun wir gut nur immer nachzufolgen!“

Schon recht! unserm Herrn sollen wir billig nachfolgen. Aber doch in allen Stücken nicht! Christus hat vierzig Tage gefastet: es wird sich wohl niemand übernehmen, ihm darin nachzufolgen. Er hat viele Werke getan, bei denen ihm an geistiger, nicht an buchstäblicher Nachfolge lag! Man muss sich also Mühe geben, wie man ihm vernünftig könne nachfolgen. Denn er hat mehr auf unserer Gesinnung sein Netz gespannt als auf unsere Werke. Immer müssen wir seinem eigentlichen Sinne folgen. Wie! das musst du dir in jedem Falle besonders überlegen! Wie ich oft gesagt habe: ich achte ein geistiges Werk für viel förderlicher als ein körperliches.

„Wie das?“

Christus hat vierzig Tage gefastet. Darin folge ihm, indem du wahrnimmst, wozu du am leichtesten neigst: da entsage und halt dich in guter Hut. Das frommt dir mehr, dich unbekümmert zu erhalten, als ob du strengstens fastetest von aller Speise. So ist dir’s manchmal schwerer, ein Wort zu verschweigen, als ob man überhaupt schwiege von aller Rede, und fäll’s einem manchmal schwerer, eine kleine Schmähung, auf die nichts ankommt, zu vertragen, wogegen ein wuchtiger Schlag, auf den man sich eingestellt hat, einem leicht vorkäme. Schwerer ist es, allein zu sein unter der Menge, als in der Einsamkeit; schwerer auf Kleines zu verzichten, als auf Großes; oder ein geringes Wert zu vollbringen, als eines, das man für bedeutend hält.

So kann einer wohl unserm Herrn nachfolgen nach dem Maße seiner Schwachheit und braucht, ja darf nicht glauben, er reiche da nicht an. – Freilich darfst du bei deiner „Weise“ nicht beworren sein mit Speise und Kleidern, als die zu deinem Heil gehörten! Sondern gewöhne deinen Grund und dein Gemüt, dass es darüber erhaben sei.

„Und warum?“

Nun, das wär doch eine schwache Innerlichkeit, der dass äußerliche Kleid aufhelfen müsste: das Innere soll dem Äußern aufhelfen! Soweit es dabei nur auf dich ankommt: ist dir aber ein anderes Los gefallen, so magst du aus deinem Grund heraus auch das für gut nehmen, in der Weise, dass du dich darein schickst: wär dir aber das Gegenteil beschieden, dass du auch dieses dir gerne wolltest gefallen lassen. Ebenso mit der Speise, mit Freunden und Verwandten oder was dir Gott sonst geben oder nehmen mag: immer acht ich’s für das beste, dass man sich großherzig Gott überlasse, mag er auch auf uns werfen Schande, Mühsal und welches Leid es sei: dass man das freudig und dankbar hinnehme und lasse sich lieber von Gott führen, als dass man sich selber darauf versetze.

Entsprechend in allen Dingen lernet willig von Gott und folgt ihm nach, so wird es mit uns recht! In solcher Gesinnung kann man unbeschadet Ehre annehmen und Gemach: nur dass man, fiel Ungemach und Unehre auf uns, auch die zu tragen gern erbötig wäre! Im vollen Bewusstsein des Rechts daher mögen die sich gute Speise gönnen, die ebenso geschickt und bereit wären zu fasten.

Das ist wohl auch der Grund, falls einmal Gott seine Freunde der großen Leidensprobe überhebt, anders könnte seine maßlose Treue das gar nicht zulassen. Eben weil gar solch großer Segen im Leide liegt und es doch nicht seine Art ist, mit guten Dingen zu kargen: er lässt sich auch hier genügen am guten Willen! Sonst ließ er ihnen kein Leid entgehen! Wenn sich aber Gott damit begnügt, so sei auch du es zufrieden. Und wenn ihm ein anderes behagt mit dir, so ebenfalls!

 

Nur um diesethalben lässt der getreue Gott es zu, dass manchmal auch seine Freunde in Schwachheit fallen: damit ihnen aller Halt abgehe, darauf sie sich stützen oder verlassen könnten. Dann natürlich wär’s einem eifrigen Menschen ein großer Triumph, wenn er etwas recht Erkleckliches vermöchte, sei’s im Wachen, Fasten oder anderm, sonderlich in großen und schweren Dingen – eine große Genugtuung ist ihnen das und ein Steuer und eine Hoffnung. Womit denn ihre Werke ihnen einen Halt geben und eine Zuversicht! Das will unser Herr ihnen benehmen, er will, dass er alleine ihr Anhalt und ihr Zuverlass sei. Und das einzig nur aus seiner einfaltigen Güte und Barmherzigkeit. Denn bei Gott bedarf es für sein Tun weiter nichts als seiner Güte: nicht etwa tragen unsere Werke dazu bei, dass Gott uns etwas gebe, etwas tue. Deswegen will unser Herr, dass seine Freunde den Ihren entfallen, und zu diesem Zweck löst er sie los von jenem Anhalt, auf dass er alleine ihr Halt sein müsse. Denn er will ihnen Großes geben, und zwar einzig um seiner freien Güte willen: er soll ihr Enthalt und ihr Trost sein, sie aber sollen als ein lautres Nichts sich finden und achten angesichts aller der großen Gaben Gottes. Denn je gelöster und lediger das Gemüt sich auf Gott wirft, von ihm sich tragen lässt, je tiefer man in Gott gesetzt und aller der köstlichen Gaben Gottes umso empfänglicher wird. Der Mensch also baue allein auf Gott.

 

Denn innerlich sollte der Mensch so mit Gott geeint sein (inwendig gote so geeint sin) in allem seinen Wollen, dass er sich erst gar nicht groß abzugeben brauchte mit Weisen noch mit Werken. Und sonderlich meide alle Sonderlichkeit, sei’s in der Kleidung, der Speise, der Rede, wie hohe Worte zu gebrauchen oder absonderliche Gebärden, womit ja weiter nichts geschafft ist. – Doch sollst du wissen, dass keineswegs dir alles Sonderwesen verboten ist. Es gibt viel Sonderliches, das man manches Mal und bei manchen Leuten einhalten muss. Denn wer ein Besonderer ist, der muss auch Sonderliches tun zu vielen Malen auf vielerlei Weise.

Inwendig also sollen wir in jeder Hinsicht uns eingebildet haben in unsern Herrn Jesus Christus, so dass man in uns einen Abglanz finde aller seiner Werke, seiner ganzen Gottgestalt: wir müssen es in uns tragen, in so vollkommener Annäherung als nur möglich, sein ganzes Tun. An dir ist es nun, zu leisten, an ihm zu empfangen: tu du dein Werk aus aller deiner Versunkenheit, aus deiner innersten Gesinnung! Dazu gewöhne dein Gemüt zu aller Zeit, bis du (zu aller zit, unz daz) in allem deinen Tun in ihm dich spiegeln darfst.

 

 

12. Vom Sakrament

 

Wer den Leib des Herrn gern nehmen möchte, der braucht nicht abzuwarten, bis er wer weiß wie große Innigkeit und Andacht in sich verspüre! Sondern er soll sich nur Rechenschaft geben, wie beschaffen sein Wille und seine Gesinnung sei. Du sollst nicht groß anschlagen, was für Gefühle du hast: das achte groß, was du zu nehmen dir vorsetzest!

Wer freien Herzens sich unserm Herrn nahen will, der bedarf dazu als erstes, dass er sich in seinem Gewissen frei finde von jeder Sündenmahnung. Zum andern, dass sein Wille Gott zugekehrt sei, es ihn nur gelüste nach Gott und dem Göttlichen und ihm missfalle, was mit Gott unverträglich ist. Woran er auch gleich prüfen kann, wie fern oder nah er Gott steht: genau so weit er’s hierin brachte! Und das dritte Erfordernis: dass die Schätzung des Sakraments und die Liebe zu unserm Herrn im Genuss nur immer noch wachse und die Ehrfurcht sich nicht mindere vom öfteren Herzugehn. Denn manchmal was dem einen Leben ist, ist des andern Tod. Also prüfe dich, ob wirklich deine Liebe wächst zu Gott und die Ehrfurcht nicht verlischt: je öfter du dann zum Sakrament gehst, um so viel besser nur und förderlicher. Und da lass dir deinen Gott nicht fortreden noch fortpredigen! Je mehr, je besser und Gott nur desto lieber. Denn unsern Herrn verlangt selbst danach, dass er in uns und bei uns wohne.

 

Nun möchtest du sprechen: „ Ach Herr, ich finde mich so bloß und kalt und träge, dass ich mich nicht getraue, zu unserm Herrn zu gehen!“

So sag ich: desto dringender bedarfst du’s, dass du zu deinem Gotte gehst! Denn in ihm wirst du geheiligt und ihm alleine angeschlossen und geeinet. Denn die Gnade findest du recht eigentlich im Sakrament wie nirgend sonst: dass deine leibliche Vermögen da geeinigt und gesammelt werden durch die hehre Kraft der sinnfälligen Gegenwart des Leibes unsers Herrn, also, dass alle deine zerstreuten Sinne werden hierin gesammelt und in eins gefasst, und die einzeln nur zu tief sich niederneigten, die werden hier aufgerichtet und Gotte nach Gebühr erboten. Und werden von Gottes Pflegerhand nach innen gewöhnt und freigestutzt von leiblichen Hemmungen durch die irdischen Dinge. Und werden sehnsüchtig zu göttlichen Dingen (und werdent gerende zuo götlichen dingen) und gekräftigt und durch seinen Leib erneut. Denn wir sollen in ihn verwandelt und allzumal geeinigt werden: dass das Seine unser wird, und alles Unsere wird das Seine: unser Herz und das seine ein Herz, und unser Leib und der seine ein Leib. Dermaßen sollen alle unsere Sinne, dazu unser Wille und Gesinnung, all unsere Kräfte und Glieder ihm einverleibt werden, dass wir ihn spüren und seiner bewusst werden in allen Vermögen Leibes und der Seele.

 

Nun möchtest du sprechen: „Ach, Herr, von solchen großen Dingen wird ich nichts in mir gewahr, nur Armut: wie dürft ich da denn zu ihm gehn?“

Traun! willst du denn deine Armut wandeln, so geh zu dem entschütteten Schatze alles maßlosen Reichtums: so wirst du reich. Denn des sollst du gewiss sein in dir, dass nur Er der Schatz ist, an dem dir genügen und der dich erfüllen mag. – Darum will ich zu dir gehen, auf dass dein Reichtum einströme in meine Armut, und all deine Unendlichkeit die Fülle werde meiner Leere, deine grenzenlose unbegreifliche Gottheit Erfüllung für mein ach so schnödes, verdorbenes Menschentum!

„Ach, Herr, ich habe zu viel gesündigt, nie vermag ich’s zu büßen!“

Da geh zu ihm, er hat vollauf gebüßt, alle Schuld! In ihm vermagst du wohl das würdige Opfer dem himmlischen Vater zu opfern für alle deine Schuld.

„Ach, Herrn, wie gern wollt ich ihm huldigen: ich kann’s doch nicht!“

Geh zu ihm, er ist allein schon ein huldvoller Willkommensgruß des Vaters, das verkörperte maßlose vollkommene Lob aller göttlichen Güte! Kürzlich: willst du aller Ge-
bresten mit einem Mal benommen werden, dafür mit Vorzügen und mit Gnaden bekleidet und in den Ursprung wonniglich geführt und heimgeleitet werden: so halt dich so, dass du das Sakrament würdig und oftmals zu nehmen im Stande bist. So wirst du ihm hinzugeeint und mit seinem Leib geadelt. Ja, im Leib des Herrn wird die Seele dermaßen nah Gott eingefügt, dass die Engel alle, nicht Cherubim noch Seraphim, den Unterschied mehr wissen noch finden können zwischen ihnen beiden. Denn wo sie Gott  rühren, da rühren sie die Seele, und wo die Seele, da Gott. Nie ward so nahe Einung! Denn die Seele ist viel enger mit Gott vereint, als Leib und Seele, die einen Menschen machen. Diese Einung ist viel inniger, als wenn man einen Tropfen Wasser gösse in ein Fass voll Wein: es wäre Wasser und Wein, und doch wird beides in eins gewandelt, dass alle Kreaturen außer stande wären, den Unterscheid zu finden!

 

Nun möchtest du sprechen: „Wie mag das vor sich gehen! noch empfinde ich rein nichts davon!“

Was liegt daran? Je weniger du’s empfindest und fester glaubst, um so löblicher dein Glaube und wird um so höher eingeschätzt! Denn ein ganzer Glaube ist viel mehr als ein Wähnen: in ihm besitzen wir ein wahres Wissen. Fürwahr, es fehlt uns nichts als ein rechtes Glauben! Dass uns däucht, wir empfingen Wertvolleres in diesem als in jenem, das rührt einzig und allein her von äußeren Festsetzungen, in Wirklichkeit steckt in einem nicht mehr als im andern: wer gleich glaubt, der nimmt gleich und hat gleich.

 

Nun möchtest du sprechen: „Wie könnt ich solche hohen Dinge glauben, da ich mich dessen doch nicht fähig finde, vielmehr recht unvollkommen und hingezogen zu vielen Dingen!“

Sieh! da musst du ein Doppeltes an dir ins Auge fassen, wie solches auch an unserm Herrn zu finden war. Auch bei ihm gibt es Unterschied der oberen und der niederen Kräfte, auch bei ihm hatten sie zweierlei Werk. Seinen oberen Kräften eignete ein Besitzen und Genießen ewiger Seligkeit. Aber die niederen, die standen zur selben Stunde im ärgsten Leiden und stritten auf Erden. Und keine dieser Tätigkeiten hinderte die andere in ihrem Vorhaben. So sollen auch in dir die obern Kräfte erhoben sein in Gott und ihm zumal erboten und hinzugefügt. Doch wahrlich! alles Leiden soll man ausschließlich dem Leib, den niedern Kräften und den Sinnen befehlen. Aber der Geist soll sich mit ganzer Kraft erheben und losgelöst in seinen Gott versenken. Der Leidenszustand aber der Sinne und niedern Kräfte, der geht die Seele nichts an (diu get die sel niht an), noch deren Anfechtungen. Je länger und stärker der Streit, um so größer und löblicher auch der Sieg und die Ehre des Sieges. Denn je schwerer die Anfechtung, je stärker der Anprall des Bösen, und man sie doch noch überwindet: um so eigner wird dir die Tugend, um so lieber deinem Gott.

Darum: willst du deinen Gott würdig empfangen, so lass dir angelegen sein, wie deine oberen Kräfte in deinen Gott gerichtet, dein Wille nach seinem stets auf der Suche sei, und deine Treue stets fester an ihm Wurzel fasse. Nie wird man in dieser Gesinnung den werten Leib unsers Herrn empfangen, dass einem nicht sonderliche große Gnade würde. Und je öfter, desto förderlicher.

Ja, es könnte einer den Leib des Herrn nehmen in solcher Andacht und Gesinnung, wär er anders recht verfasst, dass er gleich kommen müsste in den untersten Chor der Engel!

Er könnte ihn derart empfangen zum andern Mal, dass er in den zweiten Chor erhoben würde.

Ja, mit dermaßen großer Andacht vermöchtest du ihn zu nehmen: du würdest gewürdigt in den achten, gar den neunten Chor!

Darum, stünden zweier Menschen Leben sich sonst in allen Stücken gleich, und der eine hätte einst unseres Herren Leib mit Würdigkeit einmal mehr empfangen als der andere: dadurch wird dieser sein wie eine blitzende Sonne vor dem andern und eine sonderliche Einung mit Gott erlangen.

 

Dies Nehmen und dies selige Genießen des Leibes, unseres Herrn hängt nun keineswegs an dem äußerlichen Genuss: es genügt dazu auch ein geistiger Genuss, mit sehnendem Gemüt, in Hingabe und Andacht. Auch so kann man ihn so aufrichtig nehmen, dass man reicher wird an Gnaden als irgendein Mensch auf Erden. Das kann der Mensch verrichten tausend Mal am Tage und mehr, wo immer er weile, ob er siech sei oder gesund. Nur muss man sich als zu einem Sakrament herzubegeben: nach Gebühr in weihevoller Stimmung, und voller Inbrunst: Fehlt einem aber die Stimmung und die Inbrunst, so reize und bereite man sich dazu und halte sich danach! So wird man heilig in der Zeit und selig in der Ewigkeit.

 

Wenn jemand vorhat, den Leib des Herrn zu nehmen, soll das ohne große Enttäuschung ablaufen, so (sol dan es wol zuo gen ane groz bekümbernüsse, so) ist es ziemlich und sehr förderlich, dass man zuvor beichte, auch wenn man keine Gewissensbisse fühlt, um der Frucht des Sakraments der Beichte willen.

Ständ’s aber so mit ihm, dass er sich irgendworüber strafen muss und vor Bekümmernis sich zur Beichte nicht fähig fühlt, so geh er zu seinem Gotte und gebe er sich dem schuldig in rückhaltloser Ruhe, und sei beruhigt, bis er zur Beichte Muße fühlt.  Entfallen hierbei inzwischen die Bedenken und Gewissensbisse, so mag er denken, Gott habe ihrer auch vergessen.

Man soll Gott eher beichten als den Menschen, wobei man schuldig ist, vor Gott die Fehler schwer zu wägen und sich sehr zu strafen. Auch soll man nicht, weil man doch zum Sakramente gehen will, das leichtfertig übergehen und unterwegs lassen um äußerer Geschäfte willen. Wenn anders des Menschen Meinung auf Gott gerichtet ist und gut.

 

 

13. Vom Wert der Gewöhnung

 

Es will erst gelernt sein, wie man in aller Wirksamkeit sein Inneres frei erhalte. Für einen ungeübten Menschen (einem ungeübten menschen) ist’s ungewohnte Arbeit, bis er es fertig bringt, dass keine Gesellschaft und kein Geschäft ihn hindere und Gott immer gleich gegenwärtig sei, beständig ihm leuchte in derselben Klarheit. Dazu gehört gar ein regsamer Fleiß und sonderlich zwei Dinge.

Das eine, dass er sein Inneres wohl verschlossen halte, sein Gemüt gewarnt sein lasse vor der Welt der Bilder, die draußen um ihn stehen: dass sie auch außer ihm bleiben und nicht, fremd wie sie sind, mit ihm wandeln und verkehren und so eine Stätte in ihm finden.

Das andere betrifft die Vorstellungen seines Innern (das ander daz sein inwendic bilde), seien es Bilder aus einem Aufschwung des Gemüts oder Abbilder der Außenwelt, die gerade den Gegenstand seines Bewusstseins bilden: dass er sich in die nicht zerlasse und zerstreue, noch sich veräußere an ihre Mannigfaltigkeit. Dazu muss man seine Seelenkräfte erst erziehen und seinen innern Stand sich immer gegenwärtig halten.

 

Nun möchtest du sprechen: „Der Mensch muss sich hinauskehren, soll er in der Welt etwas schaffen; zu jeder Arbeit bedarf es der genau entsprechenden Vorstellung!“

Schon wahr! Aber seine Vorstellungen von der Außenwelt sind dem Geübten nichts Äußerliches! Denn alle Dinge sind dem inwendigen Menschen nur eine inwendige göttliche Bestimmtheit.

Die erste Bedingung dafür ist, dass der Mensch seine Vernunft gründlich zu Gott gewöhne, nur so wird sein Zustand dauernd ein göttlicher. Der Vernunft ist nichts so eigen und gegenwärtig und nahe als Gott, sie mag sich anderm gar nicht zukehren: erst wenn man ihr Gewalt und Unrecht antut, kehrt sie sich den endlichen Dingen zu, sie wird da geradezu gebrochen und verkehrt. Ist sie aber einmal verdorben in einem jungen Menschen oder überhaupt in einem, da muss man dann alle erdenkliche Sorgfalt daransetzen, um sie nur wieder her zu gewöhnen und zu ziehen. Denn so eigen und natürlich ihr Gott auch ist, ist sie erst einmal aus der Bahn geraten, hat sie sich hingewöhnt zu den Kreaturen und mit ihnen sich befreundet und verbildert: so wird sie dieses Teils dermaßen verelendet und der Herrschaft über sich beraubt und von ihrem edlen Ziel in solchem Maße abgebracht, dass aller Fleiß, dessen man fähig ist, - der reicht immer noch kaum aus, sie völlig wieder her zu gewöhnen: hinfort bedarf es steter Hut!

Vor allen Dingen also muss man sehen auf eine feste und verlässliche Gewöhnung. Wollte ein ungewöhnter Mensch sich so halten und handeln wie ein geübter, der würde sich nur gründlich verderben, es würd’ nie etwas aus ihm. Erst nachdem man sich der Welt entwöhnt und ihr entfremdet hat, darnach dann mag man frei schalten und walten und unbekümmert der Dinge genießen oder entbehren, ohne Schaden (der dinge ledecliche gebruchen). Sonst aber, wenn man irgend worauf eine Neigung und Gelüste wirft und seinen Willen hinterdrein schickt, handle es sich um Essen und Trinken oder andere Dinge, das kann ohne Verfehlung gar nicht abgehen bei einem ungeübten Menschen.

Nicht eignen Vorteil, sondern Gott in allen Dingen zu suchen und zu ergreifen, das muss uns zur Gewohnheit werden! Gibt Gott doch niemals eine Gabe, nur damit man sie besitze und sich dabei bescheide. Sondern alle Gaben, die er gegeben im Himmel und auf Erden, die gab er alle darum, damit er eine Gabe geben könne, sich selber, mit ihnen allen will er uns nur bereiten zu der Gabe, die er selber ist. Und alle Werke, die Gott je vollbracht im Himmel und auf Erden, die vollbrachte er um eines Werkes willen, dass er dieses möchte zu stande bringen: dass er uns möchte selig machen. Also sage ich: in allen seinen Gaben und Schöpfungen müssen wir Gott erblicken lernen, an nichts uns genügen lassen, bei nichts stehen bleiben. Es gibt für uns überhaupt kein Stehenbleiben in diesem Leben, für keinen, wie weit er auch kann! Man muss nur allen Dingen gegenüber gefasst sein auf Gaben Gottes, und immer auf neue!

 

Ich flechte eine kurze Geschichte ein von einer, die durchaus darauf aus war, eine bestimmte Gnade zu erlangen von unserm Herrn; da hätte ich erwidert: es fehle ihr an der nötigen Bereitung und gäbe ihr Gott die Gabe so unbereitet, sie müsste daran zu grunde gehen!

Frage: „Warum war sie nicht bereit? Sie hatte doch einen guten Willen, und Ihr behauptet ja, dass der alles vermöge und jede Vollkommenheit in ihm beschlossen liege?“

Allerdings! Nur muss man zwei Bedeutungen unterscheiden beim Willen. Es gibt ein zufälliges und wesenloses Wollen; und es gibt ein schicksalmäßiges und schöpferisches, ein „gewöhntes“ Wollen. Glaub mir, damit ist’s nicht getan, dass des Menschen Gemüt abgeschieden sei im Augenblick, da man den Entschluss fasste, sich Gott anzuschließen! Sondern man muss eine wohlgeübte Abgeschiedenheit besitzen, die voran und hinterher geht, das erst befähigt uns, große Güter von Gott entgegenzunehmen, und in diesen Gütern Gott. Und ist man unbereit, zerstört man die Gabe (man verderbet die gabe) und damit auch Gott. Das ist der Grund, warum uns Gott nicht allzeit geben kann, wie wir’s erbitten. An ihm fehlts’s nicht – ist’s ihm doch tausendmal dringender zu geben, als uns zu nehmen – aber wir tun ihm Gewalt und Unrecht an damit, dass wir ihn an seiner natürlichen Betätigung hindern mit unsrer Unbereitschaft. Für solch Empfangen muss man lernen, sich aus sich selbst hinauszuschaffen und gar nichts Eigenes zu behalten: man darf’s nicht absehen auf Förderung, Verzückung, schmelzende Gefühle, auf Lohn, aufs „Himmelreich“, auf irgendein Ziel des Eigenwillens! Nie und nimmer gibt Gott sich in einen fremden Willen: wo er seinen Willen findet, da gibt er sich, ergießt er sich hinein. Je mehr wir uns entwerden, um so mehr wachsen wir aus ihm. Darum ist es nicht genug, wenn wir uns einmal aufgeben: sondern wir müssen uns oftmals erneuen und uns selber in jeder Weise vereinfachen und befreien.

Auch tut man gut, dass man sich nicht daran genügen lasse, seine Tugenden nur im Gemüte zu besitzen: auch im Werk, der Frucht der Tugend, soll man sich versuchen und erproben und von den Leuten geübt und versucht zu werden nicht verschmähen.

Aber nicht genug, dass man die Tugend betätige, Gehorsam übe, Armut und Entsagung auf sich nehme oder auch bei weltlicher Lebensweise sich demütig und gelassen führe! Man soll darnach stehen und nicht nachlassen, bis man die Tugend gewinne in ihrem Wesen und Grunde. Und ob man sie endlich habe, dafür dies als Probe: Wenn sie unsere erste Regung ist, wenn man sie betätigt auch ohne Bereitung des Willens – wo man’s, bei passender und bedeutender Gelegenheit, sich erst besonders vornimmt – wenn sie sich sozusagen von selber tut, rein aus Liebe zu ihr und ohne ein Warum. Dann hat man sie wirklich und eher nicht!

So lange währe die Schule des Verzichts, bis man nichts Eigenes mehr behält. Alles Gestürmes Unfriede stammt nur aus Eigenwillen, ob man es merke oder nicht. Sich selber muss man ohn’ Besinnen, ein Geläuterter und Entwordener an Wunsch und Willen, begraben in Gottes guten und lieben Willen, mit dem allein man wollen und wünschen darf hinfort.

Frage: „Soll man auch göttlicher Verzückungen mit Willen sich begeben? mag das nicht vielmehr seinen Grund haben in Trägheit und allzu schwacher Liebe zu ihm?“

Freilich schon: wenn man einen Unterschied nicht übersieht! Ob es in Trägheit oder wirklicher Abgeschiedenheit seinen Grund hat, dafür gelte als Merkmal: Ob man in diesem Zustand der Verlassenheit (als man so gar von ime gelassen ist) Gott so getreu ist, wie wenn man in den höchsten Gefühlen schwelgte; ob man hier in seinem Handeln gegen dort um nichts zurückbleibt, und sich so ablehnend verhält gegen jeden Trost und äußeren Behelf, wie da man Gott als gegenwärtig spürte!

 

Dem rechten Menschen bei seinem guten und vollkommenen Willen kann denn auch keine Zeit zu kurz sein. Denn wo der Wille also steht, dass er zu allem dessen er fähig, auch fest entschlossen ist – nicht allein jetzt: sondern wären ihm tausend Jahre zu leben vergönnt, er wollte allzeit tun, was irgend in seinen Kräften steht – dieser Wille zählt für so viel, als einer in den tausend Jahren wirklich zu stande bringen könnte! Vor Gott hat er alles getan.

 

 

14. Vom rechten Beginn

 

Wer in ein neues Leben oder Wirken treten will, der gehe zu seinem Gotte und von dem heische er mit großer Kraft und ganzer Andacht, dass er ihm das Allerbeste füge, wie’s ihm am liebsten und seiner würdig sei. Und suche und sinne darin nichts für sich, sondern: wo Gott wohl hinaus wolle, weiter nichts! Was ihm dann Gott zuteilt, das nehm er unmittelbar aus Gottes Hand, halt es für sein Erwünschtes und sei darin ganz ohne Rest zufrieden. Gescheh es nun, dass ihm nachmals eine andre Weise besser gefällt, so soll er gedenken: „deine Weise hat Gott dir aufgegeben!“ Sie wird wohl für ihn die beste sein, das darf er Gott schon zutrauen! In der einen ergreife man alle gute Weise, und nicht bloß ihre Besonderheit. Denn der Mensch muss je eines tun – alles kann er doch nicht tun – und muss je eines sein: in das eine aber soll man alles fassen. Denn wollte einer alles tun, bald dies bald das, und von seiner Weise lassen und die eines andern annehmen, die ihm im Augenblick besser gefiele, das hätte nur eine bedenkliche Unstätheit zur Folge. Wie denn einer eher vollkommen würde, er aus der Welt erstmals in einen Orden träte, als wer aus einem Orden in einen andern übergeht, wie heilig er auch gewesen wäre. Das kommt vom Wechsel der Weise. Man ergreife eine gute Weise und bei der bleibe man – und beginne nicht heute eines und morgen ein anderes – unbesorgt, dass man bei dieser etwas  versäume: mit Gott verzieht man nicht, so wenig Gott je selber in Verzug kommt.

Eines somit nimm von Gott, und darein ziehe alles Gute. Findet sich’s aber, dass es sich nicht vertragen will, dass eines das andere nicht duldet, das sei dir ein gewisses Zeichen, das es von Gott nicht stammt. Es ist nicht ein Gutes wider das andere! (Wie unser Herr spricht: „ein jedes Reich, das in sich selber geteilt ist, muss zu grunde gehen“, und „wer nicht mit mir ist, der ist wider mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut“.) So auch sei dir’s ein gewisses Zeichen: welches Gut ein andres, ob auch ein kleineres, nicht neben sich duldet, dass das unmöglich von Gott stammen kann. Es muss fördern und nicht zerstören. Um es auf einen angemessenen und kurzen Ausdruck zu bringen, daran kein Zweifel verstattet ist: Der getreue Gott gibt einen jeden je sein Bestes! Soviel steht einmal fest: er nimmt keinen im Liegen, den er ebenso gut hätte stehend finden können. Denn Gott, als das Gute, hat mit aller Welt nur immer das Beste im Sinn.

 

Es wird das Bedenken erhoben: „warum denn Gott nicht beizeiten die Leute von hinnen nehme, die er kennt als solche, die aus der Taufgnade fallen werden: dass sie stürben in ihrer Kindheit, eh sie noch zu Verstande kämen? Da er ja bei ihnen vorherweiß, dass sie fallen und nicht wieder aufstehen werden. Das wär doch bei denen ihr Bestes!“

Da erwidere ich: Gott ist kein Vernichter irgend welches Wertes, sondern ein Vollbringer. Gott ist nicht ein Zerstörer der Natur, sondern ihr Vollender. Zerstörte Gott die Natur schon also im Beginne, so geschäh ihr Gewalt und Unrecht. So etwas tut er nicht! Der Mensch hat einen freien Willen, mit dem er kiesen kann gut oder böse, und legt ihm Gott vor: im Übeltun den Tod, im Rechttun das Leben. Der Mensch soll frei sein und ein Herr aller seiner Werke, unzerstört und unbezwungen! Gnade zerstört nicht die Natur, sie vollendet sie. Verklärung, das ist Gnade an ihrem Ziel.

Somit gibt es nichts in Gott, das zerstöre, was irgend Wesen hat. Sondern er ist ein Vollender aller Dinge. Also sollen auch wir kein kleines Gut, eine unscheinbare Weise, in uns zerstören für eine ansehnlichere, sondern sie zu ihrer Vollendung bringen!

 

So verlief unser Gespräch „von einem Menschen, der vorhätte, aufs neue ein Leben zu beginnen“, und beschloss ich’s etwa in folgender Weise:

Es müsse dieser Mensch, unbeschadet seiner Sonderweise, werden ein Gottsucher und Gottfinder schlechthin: zu aller Zeit, an allen Stätten und bei jeder Art Leuten. In diesem Bestreben kann man ohn’ Unterlass zunehmen und wachsen und nimmer zu Ende kommen mit Zunehmen.

 

 

15. Von der Selbstentäußerung

 

Ein Mensch, nehmen wir an, ziehe sich in sich zurück mit allen seinen Kräften, inneren wie äußeren. Damit befindet er sich in einer Verfassung, wo es in ihm kein Vorstellen noch sonst eine Einengung mehr gibt. Zugleich aber steht er ohne jede Betätigung (an einic werc) innerlich und äußerlich.

Da soll man wohl wahrnehmen, ob sich einem irgend ein Tun von selber darbiete. Spürt man aber keine Lust, sich an ein Werk zu machen und sich’s anzunehmen, so werfe man sich mit einem Ruck hinein in irgend eine Tätigkeit, gleichviel, ob eine inwendige oder auswendige!

Denn nie soll man sich, mag er noch so gut scheinen und auch sein, an einem Zustande genügen lassen, sobald man sich dabei genötigt sieht zu Härte und Gewaltsamkeit gegen sich selber. Wo denn doch auf einen eher die Bezeichnung passt, man werde getan, als: man tue. Auf dass man hier ein Mittun lerne mit seinem Gott.

Nicht als ob man damit seiner Innerlichkeit entgehen, entfallen oder ihr absagen müsse: sondern in und mit und aus ihr muss man zu wirken lernen derart, dass man die Einigkeit entlade in die Wirklichkeit und die Wirklichkeit einleite in die Einigkeit, und so gewohnt werden, in Muße tätig zu sein. Auf dieses Tätigwerden von innen her muss man das Auge richten und von da aus bewirken sein Lesen, Beten oder, ob es gebührt, ein äußeres Werk. Will jedoch das äußere Werk das innere zerstreuen, so halte man sich an das innere. Könnten sich aber beide zusammenfinden, das wäre das beste. Damit man ein Mittun hätte mit Gott.

Eine Frage: „Wie soll man da ein Mittun haben, wo man sich selber und aller Betätigung entfallen ist?“

Antwort: Ein Tun bleibt einem jedenfalls zu eigen, ein sonderbares allerdings. Ein Vernichten seiner selbst! Doch geht auch die eigene Vernichtung und Selbstauslösung nie so weit, Gott muss auch das in sich zu Ende bringen, sonst hapert es damit. Dann erst erlangt dieses Sichdemütigen den nötigen Grad von Vollkommenheit, wenn Gott uns demütigt, durch uns selber. Damit erst genügen wir uns selber und dem Anspruch der Tugend, und nicht eher.

Frage: „Wie kommt Gott dazu, den Menschen, gar durch ihn selber, zu vernichten? Es scheint, dies Sich-selbst-vernichten des Menschen wäre von Gottes Seite nur ein Erhöhen? Wie es im Evangelium heißt: wer sich erniedrigt, der soll erhöht werden.“

Antwort: Ja – und nein! Er soll sich „erniedrigen“: und eben das gelingt ihm gar nicht hinlänglich, Gott tue es denn! Und er soll „erhöht werden“! Nicht als ob dies Erniedrigen eines sei und das Erhöhen ein andres: sondern der höchste Gipfel der Erhöhung, der fällt gerade in den tiefsten Abgrund der Erniedrigung. Je tiefer zu Tal, um so höher und gewaltiger geht die Welle zu Berge. Je tiefer ein Brunnen, um so höher kommt sein Wasser: Tiefe und Höhe ist eins! Darum, je tiefer sich einer bringen kann, um so höher ist er. Wie unser Herr spricht: „Wer der Größte sein will, der werde der Kleinste unter euch!“ Es hängt eben eins am andern. Wer der Kleinste geworden ist, der ist nunmehr der Allergrößte. Womit das Wort bewährt und erfüllt wird, des Evangelisten: „Wer sich erniedrigt, der wird erhöht.“

 

Überhaupt beruht ja alles Wesenhafte an uns einzig und allein auf einem Zunichtewerden. „Sie sind reich geworden in allen Tugenden“, also steht geschrieben. Traun! das wird nimmer geschehen, man werde denn zuvor arm aller Dinge. Wer die Welt will hinnehmen, der muss die Welt hergeben, das ist ein gerechter Kauf, ein Tauschen gleich um gleich – wie ich unlängst schon einmal sagte. Darum, weil Gott sich selber samt aller Welt zu seiner Freunde Eigen (ze siner friunde eigen) bestimmt hat, darum will er uns allen Eigenhalt gar und zumal benehmen. Ja wahrhaftig! daran liegt doch Gott nichts, dass wir als unser Eigentum ansprechen dürfen, was mir gerad ins Auge sticht! Alle Gaben, die er uns jemals gab, natürliche wie Gnadengaben, gab er uns immer nur unter der stillen Bedingung, das wir uns nicht als Eigentümer fühlen dürfen. Niemals hat er derart einem Menschen etwas gegeben, selbst seiner eignen Mutter nicht! Und um uns das nun gehörig einzuschärfen, darum nimmt er uns oft beides, so leibliches wie geistiges Gut. Denn auch an unsrer Ehre soll das Eigentum nicht uns zustehen, sondern ihm. Überhaupt sollen wir alles nur haben, als sei es uns geliehen und nicht gegeben: so Leib wie Seele, Sinne und Seelenkräfte, äußres Gut oder Ehre, Freunde, Verwandte, Haus, Hof und alle Dinge.

Was meint aber Gott, wenn er denen so eifrig nachstellt? Dass er selber an ihre Stelle rücken will! Hierin liegt für ihn die größte Wonne und Ergötzung. Und je besser und umfassender es ihm gelingt, um so größer seine Freude. Je enger unser Aneignen der Welt, um so lockerer halten wir Ihn; und je weniger wir die Welt festhalten, um so eigner haben wir ihn samt allem, was er bieten kann. Als daher unser Herr von allen Gründen zur Seligkeit reden wollte, da setzte er „Armut des Geistes“ zum Haupt ihrer aller: sie eröffnet die Reihe, zum Zeichen, dass alle Seligkeit und Vollkommenheit samt und sonders ihren Ursprung habe in „Armut des Geistes“. Und das mit Recht! da das ein Grund ist, auf dem alles Gute aufgebaut werden kann, jeder andere wäre nicht (weder were niht) ohne eine Beimischung von Besonderheit.

Dass wir uns der Dinge, die außer uns sind, ledig halten, darwider will Gott uns zu eigen geben, was irgend im Himmel ist, und den Himmel selber mit allen seinen Kräften, ja alles, was je aus ihm erfloss, und aller Engel und Heiligen eigensten Besitz: dass das so gut unser Eigen sei, wie Ihr’s – im Maße, wie ich weniger Eigner von Dingen bin.

Dass ich aus meinem Selbst ausgehe um seinetwegen, darwider will Gott mit allem, was er ist und leisten mag, uneingeschränkt mein Eigen sein: recht mein wie sein, nicht weniger noch mehr. Tausendmal mehr wird er mein Eigen sein, als je ein Mensch ein Stück erwarb, das er im Kasten hat oder sich einverleibt hat. Nie ward etwas dermaßen mein, wie Gott mein soll sein mit allem, was er vermag und ist!

Dieser Besitz lässt sich nur dadurch erringen, dass wir hienieden kein Besitzrecht beanspruchen an uns selber und allem, was Er nicht ist. Und je wie diese Armut vollkommener und lediger ist, umso besessener jener Besitz.

Wiederum darf es auch nicht auf diese Gegengabe abgesehen sein: nicht einmal zwischendurch darf das Auge darauf abirren, ob man anders je dergleichen gewinnen soll und heimtragen! Reine Liebe zum Guten, das ist der einzige Weg.

Denn je lediger, desto einiger.

 

 

16. Von der Unbedürftigkeit

 

Wir sollen haben als hätten wir nicht und sollen doch alle Dinge besitzen; so verlangt es der edle Lehrer Sankt Paulus.

Der hat ohne Eigenhaft, der keinerlei Anspruch erhebt weder auf das eigne Selbst noch auf das, was außer ihm ist, nicht einmal auf Gott. Willst du wissen, was, berechtigtermaßen, ein „armer Mensch“ ist? Der ist wirklich „arm im Geist“, der alles das wohl entbehren mag, was nicht nötig ist. Das hat, dem Sinne nach, schon Diogenes gesagt, der in seiner Tonne nackt saß, und zwar zum großen Alexander, der alle Welt unter sich hatte. „Ich bin“, sprach er, „ein viel größerer Herr als du! Denn ich habe mehr ausgeschlagen, als du in Besitz genommen hast. Was du für groß achtest zu besitzen, das ist mir zu gering, es erst noch ausdrücklich zu verschmähen!“

Der ist viel seliger, der der Dinge nicht bedarf, als wer auf ihnen sitzt als auf lauter Unentbehrlichkeiten. Der ist der Beste, der dessen entraten kann, was für ihn nicht Notdurft ist.

So auch, wer am meisten verschmähen kann, der hat am meisten gelassen. Es nimmt sich gewiss stattlich aus, wenn einer zu frommen Zwecken tausend Mark Goldes hergibt und reichlich mit seinem Gelde Klausen und Klöster baut und alle Armen speist. Aber der wäre viel seliger, der ebensoviel von Gotteswegen verschmähte. Der Mensch besäße ein rechtes Himmelreich, der um Gott sich aller Dinge zu entschlagen fähig wäre, gleichviel was Gott ihm gäbe oder nicht.

 

So sprichst du: „Ja Herr, wenn’s nur an einem nicht scheiterte, an meinem Schwächen!“

Hast du Schwächen, so bitte Gott öfters: ob es denn nicht seine Ehre erfordere und ihm gefallen möchte, dass er sie dir abnehme, da du’s doch ohne ihn nicht vermagst! Nimmt er sie dir ab, so dank ihm. Und tut er’s nicht, so trägst du’s nunmehr von ihm her: nicht mehr als sündige Schwäche, sondern als förderliche Übung, an der du ein Verdienst erwerben und Geduld üben sollst. Sei du zufrieden, ob er dir eine Bitte gewährt oder nicht: er gibt einem jeglichen, wie es sein Bestes ist und für ihn passt. Soll man einem einen Rock zuschneiden, muss man ihn machen nach seinem Maß: der dem einen passt, der passt dem andern noch lange nicht, man misst einem jeglichen besonders an. So gibt auch Gott einem jeden das Beste, wie’s seiner überlegenen Einsicht nach für ihn am Platze ist. Führwahr, wer ihm hierhin nur völlig vertraut, der nimmt und hält in der kleinsten Gabe so viel, wie in der größesten. Wollte mir Gott geben, was er dem Paulus gab, ich ließ mir’s weiß Gott gern gefallen! Doch da er mir’s nun einmal nicht geben will – denn nur verschwindend wenig Leuten bestimmte er, in diesem Leben schon dergleichen zu erfahren -, weil er das mir nicht gibt, darum bleibt er mir genau so lieb, sag ihm genau so Dank und bin’s genau so gut zufrieden, dass er mir’s vorenthält, wie wenn er’s mir gibt. Einfach sein Wille wird mir genug sein! Überhaupt sollte mir sein Wille so lieb und wert sein: wo er es anders will (da got niht wölte würken oder geben), dass mir das lieber wäre, als wenn er mir die Gabe gegeben, in mir sich betätigt hätte. So trüg ich alle Gaben in mir (so weren alle gabe in mir) und alles Wesen: Gott und alle Kreatur mögen dann ihr Bestes oder ihr Bösestes dazu tun, sie können mir’s mit nichten benehmen. Wie kann ich da klagen, wo aller Menschen Gaben mein Eigen sind? Wahrlich, so wohl fühl ich mich bei dem, was mir Gott tut, gibt oder nicht gibt, dass ich’s nicht mit einem Heller vergelten wollte, würd’ mir ein Leben beschieden, wie ich mir’s etwa als bestes erdenken möchte.

 

Nun sprichst du: „Ich fürchte, ich setz nicht genug Fleiß daran und bewahr mich nicht, wie ich möchte!“

Das lass dir leid sein: aber leid es mit Geduld und nimm’s für eine Übung, so wirst du Frieden haben! Gott leidet gerne Schmach und Ungemach und will seines Dienstes und Lobes gern entbehren, damit die in sich Frieden haben, die  (umbe daz die in in fride haben, die) sich ihm widmen und hingegeben sind. Warum also sollten wir nicht Frieden haben, mag er uns geben oder mögen wir entbehren müssen? „Selig die da leiden um der Gerechtigkeit willen,“ so steht geschrieben, unser Herr selber sagt’s. Fürwahr, könnte ein Dieb, den man im Begriff steht zu hängen, der’s auch ehrlich verdient hätte, weil er gestohlen hat, oder ein Mörder, den man eben nach Gebühr entleiben will, könnten die sich in ihrem Gemüte zu der Einsicht hinfinden: „Sieh, du willst es leiden um der Gerechtigkeit willen, da man dir nur recht tut!“ Sie würden ohne Umstände selig. Mögen wir noch so ungerechte Leute sein: nehmen wir von Gott, was er uns tut, als von ihm aus gerecht, leiden wir „um der Gerechtigkeit willen“, so sind wir – selig. Dann aber klage auch nicht! Darüber klage allein, dass du noch klagest. Dass du noch nicht zufrieden bist, darüber beklage dich! Das du zuviel hast! Denn wem recht wär, der empfinge genau so im Darben wie im Haben.

Nun sprichst du: „Ei sieh! Gott wirkt doch so Großes in manchen Leuten, sie werden dermaßen mit göttlichem Wesen überkleidet: Gott handelt in ihnen, nicht mehr sie!“

Da danke Gott von ihnen aus, und gibt er dir’s, in Gottes Namen, so nimm’s! Gibt er dir’s nicht, so musst du eben gutwillig darauf verzichten und alles ihm überlassen. – Beschwer dich auch nicht mit der Frage, ob Gott deine Werke wirke, oder du: Gott muss sie wirken, sobald nur er dein Ziel, mag er wollen oder nicht! Kümmer dich auch nicht darum, welch Wesen oder Weise Gott jemand anderm gebe! Wär ich dermaßen gut und heilig, dass man mich unter die Heiligen erheben müsste, so redeten die Leute und forschten hinter mir drein, ob es „Gnade“ oder „Natur“ sei, was in mir steckt, und kämen nie ins Reine. Wie verkehrt von ihnen! Lass Gott doch schalten in dir, dem gib das Werk; und kümmre dich nicht, ob er’s „natürlich“ oder „übernatürlich“ zuwege bringe! Beides ist, Natur wie Gnade, sein. Was geht’s dich an, womit’s ihm passt zu wirken in dir oder einem andern? Mag er doch sehen, wie und wo und auf welche Weise! Irgendwer hätte gern eine Quelle in seinen Garten geleitet; er sagt sich: damit ich Wasser bekomme, da schiert’s mich nicht im mindesten, welcher Gattung die Rinne ist, durch die’s mir zufließt: ob eisern, hölzern oder beinern, ob rostig oder blank; wenn ich nur Wasser kriege! So tun auch die gar verkehrt daran, die sich damit beschweren: wodurch wohl Gott seine Werke zustande bringt in dir? Ob durch „Natur“ oder durch „Gnade“? Lass ihn nur machen und hab alleine – Frieden!

Denn so weit bist du in Gott, als du im Frieden bist; und so weit außer Gott, als außerm Frieden. Ist etwas in Gott, dasselbe hat Frieden: soweit in Gott, soweit in Frieden.

Daran ermiss jeweils, wie weit du in Gott bist, und andern Falles: wo du Frieden, wo Unfrieden zu suchen hast! Wofern du Unfriedliches hast, muss dir auch notgedrungen unfriedlich sein: Unfriede kommt von der Kreatur, nicht von Gott.

Auch gibt es nichts in Gott, das zu fürchten wäre: alles, was in Gott ist, ist allein zu lieben. Und so gibt es auch nichts in ihm, worüber zu trauern wäre.

Wer allen seinen Willen hat und Wunsch, der hat Frieden. Das hat niemand, denn dessen Wille mit Gottes Willen völlig eins ist. Diese Einswerdung geb uns Gott. Amen.