Johannes Chrysostomus: Homilien zum 1. Korintherbrief
Wenn der Arzt den Kranken hasst und meidet, der Kranke aber den Arzt verabscheut: Wie soll da der Kranke genesen, da er selbst den Arzt nicht rufen und dieser nicht zu ihm gehen will? Sage mir: Warum verabscheust und meidest du deinen Mitmenschen? etwa, weil er gottlos ist? Gerade deshalb sollst du zu ihm gehen und ihn pflegen, damit er von diesem Übel genese. Und wäre auch seine Krankheit unheilbar: dir ist nun einmal befohlen, das Deine zu leisten.
Auch Judas litt an einer unheilbaren Krankheit, und doch unterließ Gott es nicht, seine Bekehrung zu versuchen. Darum sollst auch du nicht ermüden. Und wenn es dir bei aller Anstrengung doch nicht gelingt, ihn von seiner Bosheit abzubringen, so wirst du dennoch den Lohn empfangen, als hättest du ihn wirklich gerettet. Und du wirst bewirken, dass jener deine Sanftmut bewundert, und so wird alle Ehre auf Gott zurückfallen.
Du magst Wunder wirken, magst Tote erwecken, magst tun, was du willst: nie werden dich die Heiden so bewundern, als wenn sie sehen, dass du sanft und mild und freundlich im Umgang bist. Das ist kein geringes Tugendwerk, denn viele werden am Ende von ihrem Übel befreit. Nichts gewinnt ja die Herzen so sehr als die Liebe. Wegen der Wunder und Zeichen wird man dich beneiden, wegen der Liebe aber wird man dich bewundern und lieben. Und wenn man dich liebt, wird man auch die (christliche) Wahrheit leichter aufnehmen. Bekehrt der Ungläubige sich aber nicht auf der Stelle, so wundere dich nicht darüber: werde nicht zudringlich und verlange nicht alles auf einmal! Genug, dass er dich einstweilen bewundert und liebt; allmählich wird er auch zum Glauben kommen.