Das Willkommen eines Arbeiters
I.
„Weisheit ordnet alles lieblich an.“ (Weish 8, 1)
Vor der Kommunion
Wie lieblich war das Leben des Sohnes Gottes auf Erden zu unserem Heile und unserer Hilfe angeordnet! Hätte man uns gefragt, welches von beiden — ein gewöhnliches, ereignisloses Leben oder ein Leben voll Wunder und Großtaten — besser dem Zwecke dienen würde, wozu der Messias auf die Erde kam, so würden wir um eine Antwort verlegen gewesen sein. Offenbarungen der göttliche Macht hätten seine Sendung beglaubigt, aber sie hätten sein Leben so gestaltet, dass es wohl zu unserer Bewunderung, nicht aber zu unserer Nachahmung gedient hätte. Anderseits würde eine niedrige Stellung und eine gewöhnliche Laufbahn des Ansehens entbehrt haben, das der Erlöser und allgemeine Lehrer der Menschheit benötigte. Wie aber diese beiden Erfordernisse vereinen? Wie konnte er Wundertäter sein, um unseren Glauben, unsere Hoffnung aufrecht zu erhalten, und zu gleicher Zeit unser Gefährte in den gewöhnlichen Pfaden des täglichen Lebens?
Wir hätten es nie ersinnen können. Wir wären vielleicht auf den Gedanken der Stillung des Meeressturmes, auf die Heilung jeder Krankheit und jeden Übels gekommen. Doch nie hätten wir an ein Leben dreißigjähriger Arbeit in der Werkstätte zu Nazareth gedacht, ebensowenig als wir die Verklärung auf dem Tabor mit der Szene unter den Ölbäumen und den drei Stunden auf Kalvaria hätten vereinbaren können. Doch alles war in Einklang gebracht für die Bestärkung unseres Glaubens und unserer Hoffnung und der Aufrechterhaltung unseres Mutes auf dem mühevollen Pfade der täglichen Pflichten durch die Kraft des Beispieles dessen, der uns in allen Dingen gleich geworden, die Sünde ausgenommen. Tabor, Gethsemane, Kalvaria sind uns eine Zuflucht in den Leidensstunden des Lebens, in dem Kampfe zwischen Geist und Fleisch, der uns in Todesangst versetzt. Aber diese Stunden bilden die Ausnahme und die dazu erforderlichen Lehren wurden kurz gegeben. Nur für einige Minuten zeigte er sich als unser glorreiches Haupt; einige Stunden als unser Vorbild in der äußersten Not des geistigen und physischen Schmerzes. Aber für die einförmige, alltägliche Arbeit, die unsere Lebensaufgabe ist, für sie erachtete er eine entsprechende Zeit der Lehre notwendig. Und dafür haben wir die dreißig Jahre des verborgenen Lebens in dem Hause und in der Werkstätte zu Nazareth.
Nur weil wir nicht bis ins einzelne diesen Abschnitt aus dem Leben unseres Herrn studiert haben, erscheint er uns weniger wunderbar als die Jahre der Wundertaten oder der Tod am Kreuze. Und doch ist er gewissermaßen wunderbarer. Das Erde und Meer, Krankheit und Tod im gehorchten, dass die ganze Schöpfung erschüttert wurde, als er am Kreuze hing, das überrascht uns nicht; dass aber Gott etwas ganz gewöhnliches vollbringen sollte, — als Kindlein hilflos in der Krippe liegen, als Knabe häusliche Geschäfte verrichten, als Jüngling und Mann ein Handwerk ausüben, dass sein Rücken Lasten tragen und die Hände sich mit Schwielen bedecken sollten — ein Handwerk der einfachsten, gewöhnlichsten, unauffälligsten Art, ein Handwerk, dass ihm weder Ruhm noch Ehre einbringen konnte — wäre das je einem von uns in den Sinn gekommen? Nazareth ist die Schule, in der alle lernen müssen. Welches auch immer unser Lebensberuf sei, Arbeit, geheiligte Arbeit ist notwendig. Obgleich uns der Himmel durch den Tod am Kreuze eröffnet wurde, so muss er doch erst als Lohn verdient werden. Er wird uns gezeigt als ein Königreich, dass wir mit Gewalt erobern, als ein Schatz, den wir durch eifriges Suchen entdecken müssen. Geistige oder körperliche Arbeit ist der Preis, den wir alle erlegen müssen, um die ewige Ruhe zu erlangen. Wir müssen mit den uns anvertrauten Talenten wuchern, wenn wir als treue Diener bewillkommt werden wollen; wir müssen in seinem Weinberge arbeiten, wenn wir beim Anbruch des Abends den Arbeitslohn erhalten wollen.
Viele von uns betrachten die Arbeit als einen harten Zwang. Und doch war sie im Paradiese bereits ein Gesetz, bevor sie eine Strafe wurde. „Und Gott, der Herr, nahm den Menschen und setzte ihn in den Lustgarten, auf dass er ihn bebaute und bewahrete.“ (Gen 2, 15) Und selbst dann, als die Sünde das Gesetz brachte: „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen“ (Gen 3, 19), selbst dann war die Arbeit keine bloße Strafe, sie war vielmehr ein Heil- und Schutzmittel. Heilen soll sie, was die Sünde verwundet, schützen soll sie vor den moralischen Übeln, die über die träge Seele hereinbrechen wie die See über das Tiefland, wenn die Dämme hinweggerissen sind.
Wir wissen dies; wir fühlen es durch die innigste Überzeugung der Erfahrung und dennoch sind wir mit unserem Lose nicht ausgesöhnt. Unser Mut erschlafft unter der Last und Hitze des Tages. Es gibt Zeiten, in denen die Einförmigkeit des menschlichen Lebens selbst die Geduldigsten unter uns in Aufregung bringt. Daher wollte unser Heiland sie zuerst ertragen. Die Arbeit sollte die unaussprechliche Ehre erfahren, durch die Berührung seiner Hände geheiligt zu werden. Sie sollte uns leicht gemacht werden durch das Beispiel des Gottmenschen, arm und arbeitsam von Jugend auf. In einem kleinen Flecken, eines im Gebirge verborgenen Dorfes, unter Landleuten, roh und übel beleumundet, in einem Häuschen mit zwei Zimmern und einer an der Straße gelegenen Werkstätte, wollte er den größten Teil seines Erdenlebens zubringen.
Siehe — eine Hütte von Holz, von zwei anderen eingeschlossen — das ist die Werkstätte des Sohnes Gottes. Lasst uns unbemerkt eintreten, niederknien, beobachten. Er hat sein Oberkleid abgelegt, um seinem Gliedern freie Bewegung zu gestatten. Sein Angesicht, der Nacken und die Hände sind gebräunt, denn die Hälfte seiner Arbeit geschieht im Freien, in jenem Gehege, wo die Balken aufgeschichtet liegen. Die Adern der zarten, empfindsamen Hände treten hervor, die Handfläche hat sich durch die Arbeit gehärtet. Bald gebraucht er die Säge, bald den Hobel, bald den Hammer und so verfertigt er oder bessert aus Wagenräder, Tische, Stühle, kurz alle Geräte dieses einfachen, abgelegenen Ortes. Sein Werk ist gut, aber kunstlos, sein Werkzeug plump. Das ganze Zimmererhandwerk ist hier in Nazareth in einem sehr rückständigen Zustand. Er erntet keinen Dank für seine Arbeit. Er sammelt kein Vermögen durch dieselbe. Niemand erkennt sie, niemand schätzt sie als sein Werk. Niemand bewahrt sie als Reliquie. Ist das Gerät abgenutzt oder zerbrochen, so wird es weggeworfen oder gleich jedem anderen Ding verbrannt. Weit entfernt, dass diese langen Jahre der Arbeit ihm irgendeinen Ruf erworben hätten, standen sie ihm viel mehr im Wege, als die Zeit gekommen war, sein Predigtamt anzutreten. „Ist er nicht ein Zimmermann?“ (Mk 6, 3) „Kann denn aus Nazareth etwas Gutes kommen? (Joh 1, 46)
Er arbeitet allein, da er keinen Gehilfen bezahlen kann. Die Teilung der Arbeit, wodurch das Verdrießliche und Schwierige an ihr verringert wird, findet sich bei ihm nicht. Dann und wann hält er, gänzlich erschöpft, inne und trocknet den Schweiß von der Stirne. Die Sonne steht hoch am Horizont, die Sonne jenes heißen Landes; aber er ist ein armer Mann und muss weiterarbeiten, arbeiten in der vollen Glut der Sonne. Jetzt erhebt er sein Haupt; ein Dorfbewohner tritt ein und er geht ihm entgegen, um seinen Auftrag zu empfangen. Die Mittagszeit ist eine kurze Ruhe, der Gedanke an seine Mutter und die offenherzige Unterhaltung mit ihr während ihres einfachen Mahles und ihr gemeinsames Gebet bringt ihm Erquickung und Freude. Doch der Nachmittag sieht ihn wiederum bei harter Arbeit. Was der verfertigt oder ausgebessert hat, das muss auf den Schultern in die kleinen Hütten getragen werden. Er wartet, indessen deine Arbeit geprüft und beurteilt wird. So niedrig er auch den Preis hierher veranschlagt hat, er wird, als ob sich das von selbst verstünde, noch herabgesetzt. Er streckt die Hand aus, den Lohn in Empfang zu nehmen und dankt seinem Kunden, dann kehrt er zurück zu seiner Werkstätte, die Hobelspäne wegzukehren und um alles rein und sauber für den morgigen Tag zu richten.
Und so Tag für Tag, Jahr für Jahr. Immer der gleiche Kreislauf niedriger Arbeit — anfertigen, ausbessern, ab- und zutragen; seine Arbeit wird eben von anderen aufgetragen und ist ihrer Kritik, ihrer Laune ausgesetzt. Kein Zuschauer sieht die Vollkommenheit jeder Handlung, jeder Bewegung; keiner sieht die emporgerichteten Augen, hört das leise gesprochene Gebet; keiner hilft ihm dulden und ausharren, keiner teilt seinen Schmerz, wenn er zurückgewiesen, unfreundlich behandelt und unverdient geschmäht wird.
Oh wundervolles Geheimnis jenes verborgenen Lebens täglicher Arbeit, was wären die dreiunddreißig Jahre ohne dich? Hierher kommen wir, solange wir leben, uns ein Beispiel zu nehmen und Ruhe, Kraft und Trost zu holen. Gut riet dir deine Weisheit und Liebe, oh mein Herr, dieser Aufgabe stiller Unterweisung den längsten Teil deines irdischen Lebens zu widmen. Ein Monat, eine Woche solcher Belehrung würde eine unaussprechliche Herablassung und Hilfe gewesen sein. Aber sie würde nicht die Kraft gehabt haben, die ihr die Dauer der Jahre verliehen. Gar wenig fühlen wir die Schwierigkeiten beim Beginn irgendeiner Arbeit; Hand und Kopf machen sich eifrig an ein Werk, auf dem der Reiz der Neuheit liegt. Ja, Schwierigkeiten beim Beginne stacheln unseren Eifer vielmehr an. Wenn aber die Eintönigkeit uns zu ermüden beginnt, wenn wir nichts vor uns erblicken, nichts, vielleicht auf Jahre hinaus, als die traurige, stets gleiche, langweilige Arbeit, dann bedürfen wir der Werkstätte von Nazareth, dann verstehen wir die Einladung: „Kommet zu mir alle ihr, die ihr arbeitet!“
Es gab keinerlei Anregung in dem kleinen Häuschen von Nazareth. Kein eleganter Kunstartikel zog die Augen der Menschen auf die Werkstätte des Zimmermanns. Der Handwerker von Nazareth war kein hervorragender Mann unter seinen Genossen. Und doch lag die Welt in seiner Hand und das mächtigste Werk des menschlichen Geistes wäre für seine unendliche Weisheit nur ein Spiel gewesen. Um uns Gehorsam und Geduld und das Geheimnis wirklicher Größe in der Verborgenheit eines bescheidenen Häuschens zu lehren, arbeitete Jesus von Nazareth während des größten Teiles von 20 Jahren inmitten von Staub und Hobelspänen. Hierher ruft er alle, deren irdisches Los dem seinigen gleicht. Er ruft sie in unserem hastenden, ruhelosen Tage zu schauen, zu betrachten, das Urteil der Welt zu missachten und von ihm zu lernen. Er bietet ihnen seine Verheißung an: „Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen, so werdet ihr Ruhe finden für euere Seele.“ (Mt 11, 29)
Rufe mich, o Herr, und heiße mich zu dir kommen! Lasse mich dich in deinem armen Heim, bei deinem niedrigen Handwerk beobachten! Lass mich bei dir verweilen, bis ich mir die Lehre deines Lebens und die Gesinnungen deines Herzens zu eigen gemacht habe! Lasse mich deine gebeugte Gestalt betrachten, wie sie die Lasten hin und her schleppt, deine Hände, wie sie die Säge, den Hammer, den Besen handhaben; deinen Geist, der auf die winzigen Einzelheiten des Dorf-Zimmerhandwerkers gerichtet ist! Und wenn ich dieses sehe, könnte ich, oh Meister, noch länger nach dem Urteile der Welt mich richten? Könnte ich murren über meinen Beruf und mein Vermögen und ungeduldige, grämliche Gedanken hegen? Sollte ich nicht im Gegenteil mich glücklich schätzen, wenn ich berufen bin, einigermaßen dein Los zu teilen?
Lass mich nicht von der Zahl jener Ruhelosen und Selbstsüchtigen sein, die einen Beruf nach ihrem eigenen Willen wünschen: die sich ärgern, weil dir dienen so viel heißt, als deinen Willen erfüllen und nicht ihren eigenen; die den Fremden gegenüber heiter und zuvorkommend sind, zu Hause jedoch voll Unhöflichkeit und übler Laune! Oh mein Gott, gib mir die Überzeugung, dass ich nicht mir sondern dir gehöre, dass ich in diese Welt kam nicht als Eigentümer in sein Besitztum, sondern als Diener, der auf den Wink seines Herrn zu achten und zu warten hat! Lass mich fühlen, dass dieser Wink ein Ruf zum Dienste, aber auch zum Glücke ist, zu einem Glücke, das unzertrennlich vom treuen Dienste ist, zu einem Glücke, das hienieden begonnen und im zukünftigen Leben vollendet wird!
Warum soll ich mir einen Pfad zu bereiten suchen, da bereits ein von dir gewählter vor mir liegt? Warum soll ich nicht in treuer Gesinnung deinen Willen in allen mich betreffenden Ereignissen und Umständen hinnehmen, warum soll ich gegen dieselben murren und trachten, sie nach meinem Ideal umzugestalten? Hätte der Marmor Michelangelos einen Wunsch aussprechen können, so wäre es sicher der gewesen, es möge nichts in ihm dem Werke des großen Meisters hindernd im Wege stehen, auf dass er, der Hand des Künstlers überlassen, dessen Idee vollkommen zum Ausdruck bringe. Lass mich in deine Absichten über mich und andere eingehen, nicht mit jener Ruhe, die jeden Widerstandes unfähig ist, sondern mit dem Eifer eines den Interessen seines Herrn treu ergebenen Dieners und mit der Liebe eines Freundes, der gerne mit den Plänen seines Freundes übereinstimmt. Du bist mir mehr, unendlich mehr als Meister, du bist mir mehr als Freund. Vollkommene Hingabe und höchste Liebe werden gefordert, wenn es sich um die Mitwirkung mit dir handelt. Soweit ich dein Wirken in allen Vorkommnissen verstehen kann, soll es mein Lob hervorrufen; wenn aber „deine Wege über mein Verständnis hinausgehen“, so will ich sie schweigend und vertrauensvoll anbeten
O Jesus, der du in den Tagen niedriger Arbeit Gott gefielst, der du sagen konntest: „Ich tue allzeit, was ihm wohlgefällig ist“ (Joh 8, 29), komme heute zu mir, um mein Herz dem deinigen ähnlich zu machen! Vereinige mich so innig mit dir, das auch ich durch jeden Gedanken, jedes Wort und jede Tat Gott angenehm sei und immer das tue, was ihm gefällt!
Nach der Kommunion
„Heilig, heilig, heilig, Herr, Gott der Heerscharen.“
„Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“
„Mein Herr und mein Gott.“
„Wahrlich, du bist ein verborgener Gott.“ (Is 45, 15)
„Wie herrlich sind deine Werke, oh Herr! Überaus tief geworden sind deine Gedanken.“ (Ps 91, 6)
„Lobsinget Gott, all seine Knechte und die ihr ihn fürchtet, klein und groß!“ (Offb 19, 5)
„Würdig bist du, o Herr, unser Gott, zu empfangen Preis und Ehre und Kraft.“ (Offb 4, 11)
Und daher singen wir mit Engeln und Erzengeln, mit Thronen und Herrschaften, mit dem ganzen himmlischen Heere eine Hymne deinem Ruhme, indem wir rufen: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr, Gott der Heerscharen. Die ganze Erde ist voll seiner Herrlichkeit.“ (Is 6, 3) „Hosanna in der Höhe. Hochgelobt, der da kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe.“ (Mt 21, 9)
„Meister, wo wohnest du?" (Joh 1, 38)
„Komm und sieh!“ (Joh 1, 39)
„Kann aus Nazareth etwas Gutes kommen?“ (Joh 1, 46)
„Komm und sieh!“
„Ja, oh Herr, alles Gute ist uns von dorther gekommen, denn du, Jesus von Nazareth, bist all unser Gut. Alle göttlichen Unterweisungen, die ganze Kraft eines göttlichen Beispieles, jede Hilfe und Stärke, jeder Trost in unserer langweiligen Arbeit ist zu uns gekommen, aus jener kleinen Werkstätte am Ende jener Dorfstraße. Das war deine Entschädigung; das die Freude, die dir vorschwebte, um derentwillen du gerne die Einförmigkeit und die Beschwerden jener mühevollen Jahre erduldetest. Wir schauen dich einsam an jenem verborgenen Ort und denken, dass du fast umsonst ein Beispiel gegeben, das, hätte es sich zu einer anderen Zeit, an einem anderen Orte gezeigt, fähig gewesen wäre, die Welt umzugestalten. Aber mächtig erstreckte sich deine Weisheit von einem Ende zum anderen und ordnete alles lieblich an. Jede Zeit lag vor deinen Augen und du schautest alle, die in Anbetung, Dank und mit heißem Verlangen nach deiner Lehre in späteren Zeiten hierher kommen würden. Nicht nur Heilige, sondern jeder aus uns, mag er noch so gering sein, stand vor deinen Augen. Jeder kann sagen: „Er liebt mich und gab sich meinetwegen“ jenem arbeitsamen, mühevollen Leben hin. Er weiß, was es heißt, fortarbeiten müssen, wenn Kopf und Arm ermüdet sind, wenn die Natur ungestüm Unterbrechung oder Abwechslung in der täglichen Arbeit verlangt.
Soll nicht dein Beispiel, oh liebreicher Gott, meine Stärke und dein Mitgefühl mein hinreichender Trost sein? Ich soll dir meine Dankbarkeit bezeugen. Ich soll dir eine persönliche Gegengabe bringen, für alles, was du getan, und zwar so, als ob du es für mich allein getan hättest. Kann ich das wohl besser tun, als dadurch, dass ich den Beweis bringe, dass du nicht umsonst für mich gearbeitet hast?
Führe mich ein, oh mein Gott, in das Leben von Nazareth! Zeige mir das Gesetz der Arbeit in seinem wahren Lichte, gib, dass ich sie in jeder Gestalt annehme, in der deine göttliche Vorsehung sie vor meine Türe legt, und falls ich sie dort nicht finde, dass ich ausgehe und sie suche, als die Grundbedingung, wovon mein diesseitiges und jenseitiges Glück abhängt, als mein Schutz, als mein Anrecht auf Belohnung! Lass mich sie umso mehr lieben, als sie mich dir ähnlich macht!
Und lass meine Arbeit ihres Namens würdig sein! Nicht etwa eine Arbeit zum Zeitvertreib, eine Arbeit, momentan aus Laune unternommen und wieder weggelegt, sobald sie als langweilig und ermüdend sich erweist, sondern eine Arbeit, welche die Kraft des Körpers, des Geistes und der Seele erfordert, die Anstrengung und Ermüdung im Gefolge hat, die das Opfer der freien Zeit und der natürlichen Neigung beansprucht. Gib, dass ich sie vollbringe, und zwar mit Eifer, nicht weil ich muss, oder weil sie einträglich und anziehend ist, sondern weil sie meine Liebe zu dir zum Ausdruck bringt und weil ich durch sie dir diene.
Zu Nazareth hast du uns den Wert unbedeutender, aus Liebe zu Gott verrichteter Arbeit gelehrt. Doch wie langsam nehmen wir Belehrung an. Wenn wir uns mit unserer Arbeit nicht sehen lassen können, halten wir sie für nichts. Wenn irgendetwas mir den Wert demütiger, unscheinbarer Arbeit lehren kann, so ist es sicher jene Werkstätte. Und sie wird mich belehren, wenn ich lange und ruhig hinblicke, wenn ich versuche, meine Arbeit an meines Meisters Seite zu verrichten, indem ich ihn beobachte, wie er arbeitet, und indem ich auf seine Augen, seine Lippen, seine Hände sehe und in sein Herz hineinschaue.
Und weil meine Arbeit armselig, wertlos und deiner Annahme unwürdig ist, so vereinige sie, oh Herr, mit der deinigen und opfere sie dem Vater für mich auf in Vereinigung mit den Verdiensten deiner unendlich kostbaren Arbeit! Täglich werden mir in der heiligen Messe jene Verdienste zugeeignet. Ich wünsche mir dieselben anzueignen und sie durch deine Hände Gott aufzuopfern mit allem, was ich bin und habe. „Per Ipsum, et cum Ipso, et in Ipso!“, durch dich, mit dir, in dir möge alles, was ich tue, sage und leide, dem Vater dargebracht und in deinen Augen angenehm gemacht werden.
Oh Jesus von Nazareth, bringe allen Arbeitern auf Erden die Lehren deines heiligen, verborgenen Lebens zur Kenntnis! Zeige allen Menschen, wie die Arbeit durch dich veredelt, versüßt und geheiligt worden ist; wie jede Arbeit in Vereinigung mit der deinen in den Augen Gottes kostbar werden und uns ewige Ruhe und Freude erwerben kann, wenn der Abend kommt und die Arbeiter ihren Lohn empfangen!