Das Willkommen eines Bittenden
I.
„Herr, hilf mir!“ (Mt 15, 25)
Vor der Kommunion
Und er ging in das Gebiet von Tyrus und Sidon, und er trat in ein Haus. Er wollte, das es niemand erfahren sollte, und doch konnte er nicht verborgen bleiben, denn ein kananäisches Weib kam, sobald sie von ihm gehört, fiel ihm zu Füßen und rief mit lauter Stimme: „Herr, Sohn Davids, erbarme dich meiner; meine Tochter wird arg von einem bösen Geiste geplagt.“ (Mt 15, 22)
Sie war eine von jenen, die alles versuchen, die allem mutig entgegengehen, um den Wunsch ihrer Herzen in Erfüllung zu bringen. Sie hatte von dem Wundertäter gehört, der das Land durchzog, indem er allen Gutes erwies und jede Krankheit, jedes Gebrechen unter dem Volke heilte. Oh, dass er in ihrer Nähe käme! Sie war keine von den Seinigen; aber wenn sie mit ihrer Bitte in seine Nähe kommen könnte, würde er nicht von dannen gehen, bis er sie gehört und erhört hätte.
Eines Tages überraschte sie die Nachricht, dass er die Grenze von Judäa überschritten habe und im Gebiete von Tyros und Sidon sich befinde. Sofort ist ihr Entschluss gefasst, sie will ihn aufsuchen. Sie will sich ihm zu Füßen werfen. Ihr armes Kind soll endlich geheilt werden. Nichts hält sie zurück. Weder Furcht vor Tadel, noch die Warnung, dass sie niemand treffen würde, der seinen Aufenthalt wisse, noch die Furcht ihn zu erzürnen, wenn sie, die Heidin, sich ihm aufdrängen würde.
Sie kommt und fällt ihm zu Füßen.
„Erbarme dich meiner, du Sohn Davids, meine Tochter wird arg von einem bösen Geiste geplagt!“
Er antwortet ihr kein Wort.
Welch ein Empfang! Und doch hatte man ihr gesagt, er wäre so gut und so erbarmungsvoll, dass er alle anhöre und die Bitten aller gewähre. Sie nimmt also die Weigerung nicht an. Er muss, er muss Mitleid mit ihrem Kinde haben. Sie bleibt zu seinen Füßen liegen. Bald seufzt sie, bald ruft sie leidenschaftlich: „Erbarme dich meiner, erbarme dich meiner, Sohn Davids!“ Sie wird zudringlich. Die Zwölf sammeln sich um unseren Herrn, wenden sich ärgerlich gegen sie und gebieten ihr zu schweigen. Ihr Meister, sagen sie, denke nicht daran, irgendetwas für das Heidenvolk dieses Landes zu tun, sie solle schweigen und nach Hause gehen. Als ob sie diese Worte nicht gehört hätte, fährt sie jämmerlich zu rufen fort: „Erbarme dich meiner!“
Sie wenden sich bittend an ihren Meister und sagen: „Schicke sie weiter, denn sie schreit uns nach!“ (Mt 15, 23) Und er ergreift seiner Jünger Partei. „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.“
„Herr, hilf mir!“, ist ihre einzige Antwort. Sie scheint nicht entmutigt, sie nimmt die harte Behandlung nicht übel; sie wiederholt den ernsten, vertrauensvollen Ruf: „Herr, hilf mir!“ (Mt 15, 25)
Unser Herr schaut auf sie herab. Er sieht die Angst ihrer Seele. Ihr Gebet ist vollkommen. Sie hat alles getan, was sie konnte. Und doch lässt er sich nicht erweichen, ja, er wird umso ernster, je inniger ihr Gebet wird.
„Es ist nicht recht, den Kindern das Brot zu nehmen und es den Hunden vorzuwerfen.“ (Mt 15, 26)
Wie kann er nur so sprechen? War sie soweit herabgekommen, um ein Hund genannt zu werden? Schau, wie ruhig sie den Tadel erträgt. Sie ist nicht gekränkt. Ihr demütiges Vertrauen weicht nicht. Wie Jakob ist sie stark gegen Gott. Jakob rang mit einem Engel; sie bemisst ihre Kräfte an dem Herrn der Engel, an Gott selbst. Siehe die Treuherzigkeit, mit welcher sie seine Worte ihrem Zwecke dienstbar macht. „Ja, doch, Herr, denn auch die Hündlein essen unter dem Tische von den Brosamen der Kinder. Ich bitte nicht um Brot, sondern nur um die Krümchen, die die Kinder nicht vermissen werden.“ (Mt 15, 28)
Der Herr ist besiegt. „Oh Weib, dein Glaube ist groß, dir geschehe, wie du willst.“ Und von derselben Stunde an war ihre Tochter gesund. War es der Mühe wert gewesen, so lange gewartet, vertraut, im Gebete gerungen zu haben? War es Lohn genug, zu ihm emporzublicken, sein Lächeln zu schauen, ein ruhmvolles Lob von seinen Lippen zu hören? Er, der den Mangel an Glauben bei seinem auserwählten Volke so stark fühlte, der seine eigenen Jünger wiederholt wegen ihres geringen Glaubens tadelte, hatte bei diesem armen Schäflein, außerhalb der Hürde Israels, das gefunden, was er suchte, und seine freudige Bewunderung brach in Worte aus, welche die Zwölfe in Staunen setzten: „Oh Weib, groß ist dein Glaube, dir geschehe, wie du willst.“
Nur einer Frau war es möglich, solch feines Gefühl zu zeigen und Gewinn aus solch einem Tadel zu ziehen. Und wir können vielleicht hinzufügen — nur eine Frau wollte er so schwer auf die Probe stellen. Er, der die Gemütsart des Mannes kannte, stand nicht an, ihren Glauben, ihre Geduld aufs äußerste zu prüfen. Er weiß, dass das Herz einer Frau in der Verfolgung ihres Zieles Aufschub, Verachtung, Vorwurf erträgt und dass sie nicht ablässt, bis ihre Sache gewonnen ist.
Wir beobachten, dass ihr Gebet durch die Strenge und Länge der Prüfung inniger wird. Und da es an Innigkeit und Vollkommenheit zunimmt, bittet sie nur mehr um Erbarmen, ohne ihre Not zu nennen. Hierin sollen wir ihrem Beispiele folgen; wir sollen unsere Bedrängnisse dem erbarmenden Herzen Jesu vorstellen, ohne dass wir um Hilfe bitten — wir wissen, die Hilfe wird kommen. So die Schwestern von Bethanien, als ihr Bruder Lazarus im Sterben lag: „Herr, siehe, der, den du liebst, ist krank!“ (Joh 11, 3) Oder wir können unsere Bedürfnisse sagen und mit geduldigem Vertrauen auf Hilfe warten. So tat sie, auf deren Bitte sein erstes Wunder zu Kana in Galiläa gewirkt wurde. „Sie haben keinen Wein mehr.“ (Joh 2, 3) Eher würde er seiner Zeit vorauseilen, eher würde er die Gesetze der Natur aufheben und Wunder wirken, bevor er ein vertrauensvolles Gebet unbeachtet ließe.
Die Mutter Jesu lehrte uns zu Kana, wie wir durch eine abschlägige Antwort nicht entmutigt werden sollen! „Weib, was geht das mich und dich an? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ (Joh 2, 4) Das waren ernste Worte. Gab sie nun alles für verloren auf? Stand sie von ihrer Bitte ab? Sie blickte in sein Angesicht, das Angesicht, dass sie so gut kannte, und es lag etwas in demselben, dass der Strenge seiner Rede widersprach. Indem sie sich zu den Aufträgern wandte, sagte sie: „Was er euch sagen wird, das tut!“ (Joh 2, 5) Seine Zeit war noch nicht gekommen; aber ein vertrauensvolles Gebet findet allezeit den Weg zu seinem Herzen. Sie hoffte auf ihn und wurde nicht zuschanden.
Und damit ich nicht sagen könne, nur seiner Mutter gebühre ein solches Vorrecht, habe ich das Beispiel der heidnischen Frau, deren einziges Vorrecht in ihrer Not lag, in ihrer Zuflucht zu ihm, ihrer Demut, ihrer Beharrlichkeit. Wahrscheinlich, um die Rauheit der Jünger zu entschuldigen, heben St. Matthäus und Markus die Tatsache hervor, dass diese arme Bittstellerin keinen Anspruch auf die Hilfe unseres Herrn hatte. Sie war „ein kananäisches Weib, eine Heidin, deren Heimat Syrophönizien war“. Sie war ein verlorenes Schaf, doch unser Herr selbst erinnerte sie daran, dass sie keines aus dem Hause Israel war, zu denen er gesandt worden. Sie war kein Kind vom Hause, sondern ein Hund. Konnten Worte zermalmender sein? Doch hatten sie nicht die leiseste Wirkung auf ihr Vertrauen. Sie war in ihrer schrecklichen Not zu ihm gekommen; sie ging nicht ungehört hinweg. Sie war taub gegen die strengen, harten Worte, sowohl von Seiten des Meisters, als auch von Seiten seiner Jünger. Aber sie war nicht blind. Sie hatte emporgeblickt in das Antlitz Jesu und durch seine Augen hatte sie in seinem Herzen gelesen. Was lag daran, dass der Ton seiner Stimme gegen sie war — es lag doch Gefühl darin. Sie war nicht aus seinem Stamme, aber er war ihrer Natur. Er war ein Mensch, er war mitleidig:
„Sohn Davids, erbarme dich meiner!“
Sohn Davids, erbarme dich meiner! Du bist der nämliche, jetzt, wie an jenem Tage, als jene leidensvolle Mutter zu deinen Füßen kniete. Meine heutige Not stand dir damals vor Augen, du stelltest ihren Glauben auf eine harte Probe, um den meinigen zu stärken. Du hast diese heidnische Frau den Hilfesuchenden aller Zeiten zum Vorbild aufgestellt. Ich will über sie Nachsinnen, ich will von ihr lernen. Wie sie, will ich Tadel, Aufschub und die Qualen der Verzögerung dulden. Wie sie, will ich auf dein Herz vertrauen und vertrauend im Gebete ausharren: Herr, hilf mir, Sohn Davids, erbarme dich meiner!
Nach der Kommunion
„Gesegnet sei Gott, der Herr, heute.“ (3. Reg 5, 7)
„Lob, meine Seele, den Herrn, und alles, was in mir ist, seinen heiligen Namen!“ (Ps 102, 1)
„Lobe, meine Seele, den Herrn und vergiss nicht alle seine Wohltaten!“ (Ps 102, 2)
„Lobet den Herrn, ihr alle seine Engel, die ihr gewaltig seid an Kraft!“ (Ps 102, 20)
„Lobsinget unserem Gott, ihr alle seine Diener und die ihr ihn fürchtet, klein und groß!“ (Offb 19, 5)
„Preiset hoch mit mir den Herrn, lasst uns erheben seinen Namen mitsammen!“ (Ps 33, 4)
„Preiset unsern Gott, und lasset hören die Stimme seines Lobes!“ (Ps 65, 8)
„Gebenedeit sei der Herr, denn er hat mir seine Barmherzigkeit wunderbar erwiesen.“ (Ps 30, 22)
„Denn er hat gesättigt die arme Seele, die hungernde Seele gesättigt mit Gütern.“ (Ps 106, 9)
„Es ist nicht recht, das Brot den Kindern zu nehmen und den Hunden vorzuwerfen.“
„Ja doch, Herr, denn auch die Hündlein essen unter dem Tische von den Brosamen, die von dem Tische ihrer Herren fallen.“
Es ist nicht recht, einen Sünder und Ausgestoßenen zu den Vorrechten der Kinder Gottes zuzulassen.
Doch, Herr, denn du bist gekommen, nicht die Gerechten, sondern die Sünder zu rufen. Du wurdest der Freund der Sünder genannt; du gingst dem verschwenderischen Sohne entgegen, stelltest ihm alles Gute im Haus seines Vaters zur Verfügung.
Es ist nicht gut, dass der Wille des Schöpfers sich beuge dem Willen des Geschöpfes. Doch, oh Herr, du segnest „Israel, deinen Vielgeliebten“ (Gen 32, 28), weil er stark war gegen Gott. Und zu allen Zeiten hat es dir gut geschienen, dass wir im Gebete mit dir ringen und ausharren sollen.
Erinnere dich, o Gott, dass du uns befohlen hast, zu bitten, zu suchen, anzuklopfen!
Erinnere dich, dass deine Gnade nicht dem Verdienste, sondern dem beharrlichen Gebete verheißen ist!“ „Denn jeder, der bittet, empfängt; wer sucht, der findet; wer anklopft, dem wird aufgetan.“ (Lk 11, 10) Erinnere dich, dass wir, die wir böse sind, unseren Kindern gute Gaben zu geben wissen; um wie viel mehr wird unser himmlischer Vater denen Gutes geben, die ihn darum bitten.
Erinnere dich, dass du gesagt hast: „Was immer ihr den Vater in meinem Namen bitten werdet, das wird er euch geben. Bisher habt ihr um nichts in meinem Namen gebeten. Bittet und ihr werdet empfangen, damit eure Freude vollkommen sei!“ (Joh 16, 23)
Siehe, ich bitte, ich suche, ich klopfe an. Tag und Nacht rufe ich zu dir. Höre mich, habe Mitleid mit mir, damit ich nicht durch mein fortwährendes Kommen dich ermüde!
Weil ich beharrlich anklopfe, erhebe dich und gib mir! Gib mir alles, was ich brauche; und tust du es nicht, weil ich dein Freund bin, so tue es meines Ungestümes wegen!
Mit der Frau von Syrophönizien rufe ich zu dir: „Habe Erbarmen mit mir, oh Herr, Sohn Davids!“ Mit ihr nahe ich mich dir und bete dich an und spreche: „Herr, hilf mir!“
Sprich zu mir, wie zu den Blinden von Kapharnaum: „Glaubt ihr, dass ich euch das tun könne? (Mt 9, 28) Und mit vollem Glauben will ich mit ihnen antworten: „Ja, Herr!“
Sage zu mir wie zu dem Blinden von Jericho: „Was willst du, das ich dir tun soll? (Lk 18, 41)
Sage zu mir wie zu der trauernden Mutter von Naim: „Weine nicht!“ (Lk 7, 13)
Doch damit mein Gebet nicht eines von denen sei, worauf du zu antworten pflegst: „Ihr wisst nicht, um was ihr bittet“ (Mt 20, 22), ein Gebet, das meinem Wohle oder dem Wohle derer, für die ich bitte, nicht förderlich ist — damit es ein Gebet sei, dass erhört wird durch die Verleihung von etwas Besserem — füge ich dein Gebet am Ölberg hinzu: „Abba, Vater, dir ist alles möglich, nimm diesen Kelch von mir hinweg; doch nicht, was ich will, sondern was du willst.“ (Mk 14, 36) „Mein Vater, ist es nicht möglich, dass dieser Kelch vorübergehe, ohne dass ich ihn trinke, so geschehe dein Wille.“ (Mt 26, 42)