Das Willkommen eines Gastfreundes
II.
„Komme!“ (Offb 22, 20)
Vor der Kommunion
Ein herrlicher Sonnenaufgang zieht unser Auge nach dem Osten und lenkt unsere
Gedanken auf die Pracht hin, die sich dort einmal entfalten wird. Wie groß wird
der Glanz jener Himmel sein, deren Bestimmung ist, all die Pracht der Sonnenauf-
und Niedergänge, die die Erde je gesehen, in einem letzten Leuchten
zusammenzufassen, ja unermesslich zu übertreffen, jener Himmel, die erhellt
werden durch die Gestalten von Myriaden seliger Wesen, Engeln und Menschen
und durch die Gegenwart des Menschensohnes, der in großer Macht und Herrlichkeit
kommen wird. Wie oft stellen wir uns bei Sonnenauf- und ihren Untergang jenes
Schauspiel vor Augen. Die ganze Weltgeschichte ist hier zusammengefasst, es ist
die Offenbarung und Rechtfertigung jeder Handlung Gottes gegenüber dem
Menschengeschlecht, gegenüber jeder einzelnen Seele; Worte und Werke, und zwar
von allen Menschen seit Adams Erschaffung im Paradiese.
Dieses Schauspiel wird sich aber in aller Einfachheit vollziehen. All seine
Großartigkeit, alle Ordnung, in die Himmel und Erde gestellt werden, finden ihre
Erklärung in zwei Worten: „Weichet und Kommet“. Um jene Worte zu hören, wird der
Himmel sich leeren und das ganze Menschengeschlecht wird im Thale Josaphat
versammelt werden. Wir zittern bei dem Gedanken, dass es der Worte nur zwei
sind. Da gibt es keine Mittelstraße zwischen dem Pfade aufwärts zur Glorie und
dem Wege abwärts in den Abgrund. „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich“, das
wird offenbar werden an jenem Tage. Wir denken an uns selbst und zittern. Oh
hätten wir doch irgend eine Bürgschaft, dass es mit uns gut ausgehen wird, dass
das vor Himmel und Erde zu unserer Seele im einzelnen gesprochene Wort die
Einladung sein wird: „Komme!“ Ist uns eine solche Bürgschaft gewährt, und wenn
dies der Fall ist, wo ist sie zu finden?
„Siehe, ich lege vor euch den Segen und den Fluch.“ (Deut 11, 26)
„Bedenke, dass ich dir heute vorgelegt Leben und Gutes und anderseits Tod und
Böses.“ (Deut 30, 15)
„Was du wählest und wohin zu ziehen dir’s gefällt, da ziehe hin!“ (Jer 40, 4)
„Den Weg der Wahrheit habe ich erwählet.“ (Ps 118, 30)
„Dein eigen Verderben bist du, Israel.“ (Os 13, 9)
„Wir hatten bei uns selbst das Todesurteil gesprochen." (2. Kor
1, 9)
Und das Urteil auf Leben auch.
Jene Worte: „Weichet und Kommet“, welche für jeden von uns ein Urteil auf Leben
und Tod bedeuten, sind das Ergebnis freier Wahl während der Zeit unserer
Prüfung. Manche möchten sich der Gegenwart Gottes und der Erinnerung an ihn auf
immer entledigen. Diese haben zu Gott gesprochen: „Geh’ weg von uns und die
Erkenntnis deiner Wege wollen wir nicht.“ (Job 21, 14) „Und siehe, die ganze
Stadt ging hinaus, Jesu entgegen; und da sie ihn sahen, baten sie ihn, dass er
sich von ihren Grenzen entfernen möchte!“ (Mt 8, 43)
Manche bringen ihr Leben damit zu, nach ihm zu forschen; „Sie suchen Gott und
wollen ihn finden.“ (Weish 13, 6) „Habt ihr ihn, den meine Seele liebt,
gesehen?“ (Cant 3, 3) „Meine Seele verlangt nach dir in der Nacht, und auch mein
Geist erwachet zu dir am frühen Morgen.“ (Is 26, 9) „Zeige mir dein Angesicht,
lass deine Stimme in meine Ohren klingen!“ (Cant 2, 14) „Komm, mein Geliebter!“
(Cant 7, 11) „Komm, Herr Jesus!“ (Offb 22, 20)
Lass mich, oh mein Gott, zu denen gehören, die sich nach dir sehnen! Gib, dass
meine Seele nach dir dürste wie der Hirsch nach den Wasserquellen und dass ich
die Trennung von dir mehr als alle Übel fürchte! Gib, dass ich, gleich den
Schwestern von Bethanien, es als das größte Glück erachte, dich oft unter meinem
Dache zu haben! Wie Zachäus lass mich dich mit Freuden empfangen. Möge das Echo
meiner vielen „Willkommen“ während meines Lebens jenes Wort sein, das du, vom
Sonnenaufgang kommend, an mich richtest: „Komme!“
Komme! Lass dieses Wort der Einladung an dich, oh mein Gott, oft auf meinen
Lippen und immer in meinem Herzen sein!
Komme in deinen Heimsuchungen der Gnade, ja selbst der Gerechtigkeit, denn
immerhin bist du es; deine Verborgenheit verhüllt dich nur schwach und der
Glaube ist stets bereit, dir mit dem Rufe entgegenzueilen: „Der Herr ist es!“
Komme in den geheimen Einsprechungen deiner Gnade, in deinen Warnungen, deinem
Tadel, deinen Belohnungen und all den zahllosen Arten, deren die Liebe sich
gewöhnlich bedient!
Komme in den Prüfungen der Losschälung, die das Herz früher oder später erfahren
muss, wenn Enttäuschungen, Trennungen, in der Vereinsamung, die mit den Jahren
kommt! Du selbst nimm Besitz von jedem leeren Platz, bis zuletzt alles dir
gehört und du alles in allem bist!
Komme in deiner sakramentalen Gegenwart, um das zu fordern, was
dir gebührt, und aus deiner Fülle zu geben, mein Gebet zu erhören, meine Furcht
zu stillen, komme zu läutern und alle Gefühle meines Herzens an dich zu ziehen!
Komme, tägliches Brot, unterstütze mich auf meiner Pilgerfahrt, wie einst das
Manna den Israeliten in der Wüste Stärkung brachte und Freude in der
Einförmigkeit der täglichen Wanderung!
Komme, wenn Finsternis und Traurigkeit mich umringen, wenn die Seele, sich
selbst überlassen, angstvoll im Tosen des Sturmes zeitweilig umhergetrieben
wird!
Komme, wenn sie in der Finsternis dich sucht und wie ein Kind nach seiner Mutter
ruft!
Komme vor allem dann, wenn der Tod mit seinen Schrecknissen und seinen
Gefahren
naht! Wenn alles mich verlässt, bleibe du bei mir, o Herr! Wenn kein Mensch mich
trösten, noch mir helfen kann, dann schließe du mich für immer in deine Arme,
gib mir Zuflucht in deinem Herzen! Oh dass meine letzten Worte die des
Lieblingsjüngers wären: „Komm, Herr Jesus!“ Und dass deine Antwort lautete:
„Siehe, ich komme schnell!“ Möge mein erster Anblick auf dem Ufer der Ewigkeit „das
mildreiche und göttliche Antlitz Jesu Christi“ sein, der sich anschickt, mir
entgegenzugehen; und der erste Laut, dein Wort, als Echo meines eigenen während
meines Lebens, „komme, du Gesegneter meines Vaters, — komme!“
Nach der Kommunion
„Dank sei Gott für seine unaussprechliche Gabe!“ (2. Kor 9, 15)
„Denn dies ist Gott, unser Gott in Ewigkeit und immer und ewig.“ (Ps 47, 5)
„Lobe meine Seele den Herrn und vergiss nicht alle seine Wohltaten!“ (Ps 102, 2)
„Lobsinget unserm Gott alle seine Knechte und die ihr ihn fürchtet, klein und
groß!“ (Offb 19, 5)
„Denn das ist Gott, unser Gott, in Ewigkeit und immer und ewig.“
„Hochpreiset mit mir den Herrn, lasst uns erheben seinen Namen zusammen!“ (Ps
33, 4)
„Denn dies ist Gott, unser Gott, in Ewigkeit und immer und ewig.“
„Das ist eure Stunde.“ (Lk 22, 53)
Christus. Als ich mich meinen Feinden überlieferte, die sich mir näherten, um
mich zum Leiden und zum Tode zu führen, sprach ich zu ihnen: „Das ist eure
Stunde.“ Zu dir, meinem Freunde, der du mich in dein Herz einladest, sage ich
ebenfalls und zwar voll Liebe: „Das ist deine Stunde.“
Alle Stunden deines Lebens gehören dir, um zu arbeiten, zu wirken; gebrauche sie
zu meiner Ehre, zur Rettung und Vervollkommnung deiner eigenen Seele und der
Seelen deiner Mitmenschen! Alle gehören dir. Doch von der Zeit, die du bei mir
zubringst in meiner innigen Vereinigung nach der Kommunion, von ihr gilt mein
Wort wie von keiner anderen: Dies ist deine Stunde.
Sie vergeht schnell; gib acht, dass sie nicht fruchtlos vorübergehe, dass die
Gnaden derselben nicht verwirkt, ihre Vorzüge nicht vernachlässigt werden und
die günstige Gelegenheit nicht verloren gehe! Dies ist deine Stunde — die
Stunde, in der du mir alles, was du an Anbetung, Danksagung und Sühne schuldest,
bezahlen kannst, und zwar im vollsten Maße.
Deine Stunde, in welcher du so leicht Verzeihung all deine Sünden von mir
erlangen kannst.
Deine Stunde, in der du dich aller Schätze meines Herzens nach Belieben bedienen
und allen Nöten deiner Seele gänzlich abhelfen kannst; in der ihre Flecken
gereinigt, ihre Trockenheit erfrischt, ihre Wunden geheilt, ihr Widerstand
besiegt, ihre Kälte erwärmt und ihre Widerspenstigkeit beherrscht werden kann.
Ich bin dein Gast. Ich will dich entschädigen dafür, dass du mich aufgenommen
hast. Verlange, was du willst, das ist deine Stunde!
Deine Stunde, in der du mir alle zu Füßen legen kannst, die du liebst, alle
deine Angehörigen, um die du dich sorgst, mit ihrem Elend, ihren Nöten, ihren
Leiden. Dass sie dir angehören, gibt ihnen einen erhöhten Anspruch auf mein
Herz. Scheue dich nicht, um Großes zu bitten; um die höchste Nachsicht, um ganz
besonderes Eingreifen meiner Gnade! Das Gefühl deiner Unwürdigkeit, das
Bewusstsein der begangenen Sünden mag dich beklemmen und der Gedanke, dass ich,
dein Gast, dein Richter sein werde, deine Zunge fesseln. Doch fürchte nichts,
du, der du mich als Gast so gütig aufgenommen:
Das ist deine Stunde. Tue mit mir, was du willst! Führe mich durch die Reihen
deiner Kranken! Bringe her die Blinden, die Lahmen, die Aussätzigen, die
Fieberkranken, und ich will sie heilen! Dies ist deine Stunde, in der du alles
erlangen kannst, was dein Herz begehrt. Rede mit mir, rede von ihnen, ich will
zuhören, bitte für sie, und ich will deine Bitte erfüllen. Suche deine Wonne in
deinem Gotte, solange er bei dir ist, und er wird die Wünsche deines Herzens
erfüllen. Denn jeder, der bittet, empfängt. Bitte, suche, klopfe an, denn dies
ist deine Stunde.
Aufopferung und Bitte
Gebet vor einem
Kruzifix