Das Willkommen eines Kranken

III.

 

„Ist kein Arzt mehr da? Warum heilet denn die Wunde der Tochter meines Volkes nicht zu?“ (Jer 8, 22)

 

Vor der Kommunion

Warum? Vielleicht wegen Mangel an Gehorsam gegen die Vorschriften des göttlichen Arztes oder weil man sich unkluger- und unbesonnenerweise in gefährliche Gelegenheiten stürzt. Vielleicht weil er eine langsame Heilung für besser findet. Es verhält sich mit kranken Seele nicht immer so, wie mit der Mehrzahl der Kranken von Judäa und Galiläa in den Tagen seiner Sendung. Ihre Heilung vollzog sich augenblicklich. Aber das ist gewöhnlich nicht seine Art und Weise bei der Heilung geistiger Leiden. Die Heilung dieser geschieht nach und nach, wie jene des Blinden von Bethsaida. „Und er legte ihm seine Hände auf und fragte ihn, ob er etwas sehe. Und er blickte auf und sprach: Ich sehe die Menschen einherwandeln wie Bäume. Danach legte er die Hände noch einmal auf seine Augen; da fing er zu sehen an und sein Gesicht war hergestellt, so dass er alles deutlich sah.“ (Mk 8, 25

Wenn ich eine vollkommene Genesung wünsche, so muss ich oft in Verkehr mit ihm treten. Ich muss immer wieder die Berührung seiner heiligen Hände fühlen. Ich brauche nicht in die Ratschlüsse Gottes tief einzudringen, um den Gewinn zu sehen, der mir erwächst aus dieser seiner gewöhnlichen Art und Weise, die Seelen der Heiligung zuzuführen. Wenn ich eine Zeit, vielleicht eine lange Zeit im Kampf mit meinen schlechten Neigungen mir selbst überlassen bin, da lerne ich Demut und Geduld und finde fortwährend Gelegenheit zu Verdiensten. Inzwischen schreitet das Werk unter beständiger Abwechslung zwischen Sieg und Niederlage voran, besonders in jenen kostbaren Augenblicken, in denen der große Arzt bei mir weilt und durch seine Gegenwart und seine Berührung die Heilung vollendet.

Welch geringen Fortschritt schien der dreijährige vertraute Umgang mit dem Herrn bei den Zwölfen hervorzubringen? Sie nahmen keine auffallende Veränderung aneinander wahr, sie waren sich keiner solchen an sich selbst bewusst. Er aber sah, wie eine fortwährende Umwandlung in ihnen vorging und er freute sich darüber. Er sah, wie die Liebe zu ihm, die alles Gute mit sich bringt, allmählich ihnen zur Richtschnur diente, wie sie ihre Herzen erweiterte, reinigte, entflammte und den Stoff für jenes Feuer vorbereitete, das zu Pfingsten auf sie herabsteigen und sie zu neuen Menschen umgestalten sollte. Langsam und ruhig, wie Gottes Werke gewöhnlich wirken, gelangten sie zur Erkenntnis und Ähnlichkeit mit dem Sohne Gottes, bis jeder, je nach seiner Bestimmung und seinen Fähigkeiten und je nach den Absichten, die Gott mit ihm hatte, ein anderer Christus, ein zweiter Christus wurde. Gerade so ist es mit uns. Es mag geschehen, dass unsere Umgebung, ja wir selber, lange Zeit keine merkliche Umgestaltung in unserem Leben wahrnehmen. Unsere vielen Unvollkommenheiten und die uns anhaftende Selbstsucht scheinen fortwährend unsere Fortschritte zu hemmen. Indessen dürfen wir den Mut nicht verlieren: „Und er tat seinen Mund auf des Knaben Mund und seine Augen auf dessen Augen und seine Hände auf dessen Hände und das Fleisch des Knaben wart warm....“ (4. Reg 4, 34) Zu einer noch weit innigeren Vereinigung lässt sich unser Herr herab, mein eiskaltes Herz zu erwärmen. Nicht plötzlich, aber sicher wird sein Herz, so nahe dem meinigen, dasselbe entflammen. Ich werde es erfahren, ich werde es fühlen. Ich werde gezwungen werden, mit demütiger Dankbarkeit zu dem Gott der Eucharistie zu sagen: „Er, der mächtig ist, hat Großes an mir getan.“

Ich darf jedoch nicht vergessen, dass es bei dieser Umgestaltung viel auf die Gemütsverfassung ankommt. Obgleich die heilige Eucharistie schon durch den bloßen Empfang im Zustande der Gnade hienieden die Verdienste der Seele und drüben die Seligkeit vermehrt, so ist ihre Frucht, ähnlich dem Samen, der in verschieden guten Boden gesät wird, bald dreißig-, bald sechzig-, bald hundertfältig. In einer einzigen Kommunion ist Gnade genug, um jede Krankheit zu heilen, jeder Not zu steuern. Aber unsere unvollkommene Gemütsverfassung hindert die Wirkung des Sakramentes und steht traurigerweise den liebenden Absichten unseres Herrn entgegen, der mit heißem Verlangen zu uns kommt, um uns zu bereichern und glücklich zu machen.

Oh möchte er diesen seinem Wunsch befriedigend und um seiner selbst willen sich den Weg bereiten und die Fähigkeiten unserer Seele vermehren! „Tue weit auf deinen Mund, so will ich ihn füllen“ (Ps 80, 11), spricht er. „Alle, die ihr dürstet, kommet zu dem Wasser!“ (Js 55,1)

Oh mein Gott, es gibt so vieles in meiner Seele zu tun: So vieles zu reinigen, zu erleuchten, zu erwärmen, umzugestalten, wiederherzustellen; so viele verlorene Zeit hereinzubringen, für missbrauchte Gnaden Sühne zu leisten, versäumte Gelegenheiten, die, ach, niemals wiederkehren, durch eifrige Anstrengung zu ersetzen. Oh Herr, hilf mir, eile mir zu helfen! Sei eingedenk, dass dir alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist: „Du bist der Herr von allem, und es ist keiner, der deiner Herrlichkeit widersteht.“ (Esth 13, 11) Du kannst schnell reife Früchte hervorbringen; spät kannst du den Grund noch legen. Sprich nur ein Wort, und meine Seele wird gesund! Oh Herr, eile mir zu helfen: „Herr, so hilft doch um deines Namens willen! (Jer 14, 7)

„Ich schonte meines heiligen Namens. ...Nicht um euretwillen, Haus Israel, tue ich es, sondern um meines heiligen Namens willen.... Ich will euch ein neues Herz geben und einen neuen Geist in euch legen, ich will wegnehmen das steinerne Herz aus eurem Leibe und euch ein Herz von Fleisch geben. Ich will meinen Geist in euch legen.“ (Ez 36, 21.... 27.

 

Nach der Kommunion

„Preiset den Herrn, ihr Engel des Herrn, lebet und erhebet ihn über alles in Ewigkeit!“ (Dan 3, 58)

„Denn dieser ist Gott, unser Gott, in Ewigkeit und immer und ewig.“ (Ps. 47, 15)

„Lobet den Namen des Herrn, lobet ihn, Diener des Herrn, die ihr stehet im Hause des Herrn, in den Vorhöfen des Hauses unseres Gottes! (Ps 134, 1 f.)

„Preiset mit mir den Herrn; lasst uns erheben seinen Namen mitsammen!“ (Ps 33, 4)

„Er hat gesättigt die arme Seele, die hungernde Seele gesättigt mit Gütern.“ (Ps 106, 9)

„Danket dem Herrn, denn er ist gut, denn in Ewigkeit währet seine Barmherzigkeit!“ (Ps 106,1)

„Lobe, meine Seele, den Herren und vergiss nicht alle seine Wohltaten!“ (Ps 102, 1)

„Er erhöht die Seele und erleuchtet die Augen und gibt Gesundheit, Leben und Segen.“ (Sir 34, 20)

Hat er uns nicht alles gegeben, da er sich selbst und uns gab?

„Dank sei Gott für seine unaussprechliche Gabe.“ (2. Kor 9, 15)

„Herr, ich leide Gewalt, nimm dich meiner an!“ (Is 38, 14) Ich glaube fest, dass du hier zugegen bist. Ich weiß, dass der Meister gekommen ist und nach mir fragt. Und ich bin unfähig, mich zu irgendeiner Antwort aufzuraffen. Der Glaube indessen mahnt mich unverdrossen an das, was ich sein und was ich tun soll. Doch das Fehlende ersetzt er nicht: er bringt mich nicht zur Anbetung, nicht zur Danksagung, nicht zur Liebe. Anstrengung ermüdet. Selbstvorwurf regt auf und macht die Sache schlechter. Was soll ich tun, oh Herr? Was kann ich tun?

Ruhig vor dir liegen, wie der arme Lahme auf seinem Lager; erwartungsvoll auf dich blicken; geduldig warten, froh, dass dein Ruhm nicht von einer Bemühung oder einem Werke meinerseits abhängt. Trost schöpfen aus dem Gedanken, dass der Arzt keine Unterhaltung von seinem Patienten erwartet. Er kommt, um zu sehen, nicht wie die Dinge sein sollten, sondern wie sie sind. Oh Arzt meiner Seele, es ist überaus gut, dass du mich in meinem schlimmsten Zustande siehst. Dein Besuch kommt zur rechten Zeit. Lass dich an meinem Lager nieder; lege meine fieberkranke Hand in die deine; sieh, die schwache ich bin! Kaum kann ich mein Haupt wenden, dich anzublicken; kaum vermag ich ein Wort zu sprechen oder ein Lächeln zum Gruße hervorzubringen. Herr, ich leide Gewalt, nimm dich meiner an!

Der Arzt stellt Fragen. Herr, du weißt alles und hast zu fragen nicht nötig. Meine Seele ist das Werk deiner Hände. Du kennst ihre Schwäche, ihre Krankheit, ihr weh und ihren Schmerz besser als sie selbst. Du kennst die Quelle, woraus all diese kommt, denn du kennst das ursprüngliche Elend, welches das Erbe des gefallenen Menschen ist; die verborgenen Triebfedern ihrer Handlungen; ihre Fähigkeiten und die enggezogenen Grenzen ihres Könnens — all das ist dir bekannt. „ Es ist kein Geschöpf vor ihm verborgen, sondern alles ist nackt und offenbar vor seinen Augen.“ (Hebr 4, 13) Wenn solch ein Mittler für uns spricht, wird dann nicht alles gut werden? Dass er uns kennt, das ist unsere Hoffnung. Wir haben nicht etwa einen Arzt, der mit unseren Krankheiten kein Mitleid haben könnte. „Denn er kennt, was wir für Geschöpfe sind; er gedenket, dass wir Staub sind.“ (Ps 102, 14)

Für einen anderen Bürge stehen, heißt nicht etwa dessen Fehler übersehen oder leicht nehmen, sondern sich seiner Sache annehmen. Handle so mit mir, oh erbarmungsvoller Mittler! Stehe gut für mich; nimm meine Verteidigung auf dich; beuge allen Anklagen vor! Der elende Empfang, den ich dir heute bereite, kann die Folge meiner Sünden sein, oder einen physischen Grund haben. In dem einen wie in dem anderen Falle bürge du für mich! Du, der du meine Beschaffenheit kennst, der du weißt, was in meinem Zustand Tadel und was Mitleid verdient, antworte für mich, verteidige mich! Mit der Sünderin Thais rufe ich zu dir: Du, der du mich erschaffen hast, erbarme dich meiner!

Was haben wir mit dir zu schaffen, Jesus, du Sohn Gottes, schrie der böse Geist in der Synagoge zu Kapharnaum. Es war eine Klage der Verzweiflung. Das arme, verlorene Geschöpf erkannte die Gegenwart des menschgewordenen Gottes, des versprochenen Erlösers, und wusste, dass er nicht um seinetwillen gekommen war.

Oh Jesus, mein Heiland, unsertwillen, meinetwillen bist du hier. In allem habe ich mit dir zu schaffen. Du bist mir Vater, Mutter, Schwester, Bruder. Ich bin dein Erlöster, dein um hohen Preis Erkaufter, das verlorene Schäflein, das du auf deinen Schultern zu Hürde heimgebracht, dein Freund, den du zum Male geladen und mit Brot vom Himmel gespeist hast. Jesus, der du nicht zu retten Mensch geworden bist und unter uns gewohnt hast. Jesus, der du mich bis zum Tode am Kreuze geliebt, — Jesus, der du mich vor dem zukünftigen Zorne gerettet — ich habe alles in allem mit dir zu schaffen. Du bist mir alles in allem. Denn was habe ich im Himmel und was wünsche ich auf Erden außer dir? Du bist der Gott meines Herzens und mein Teil in Ewigkeit.

 

 Aufopferung und Bitte

Gebet vor einem Kruzifix