Das Willkommen eines Sünders

I.

 

„Ich bin nicht gekommen, die Gerechten zu berufen, sondern die Sünder.“ (Mt 9, 15)

 

Vor der Kommunion

Warum ist euer Meister mit den Zöllnern und Sündern, so sprachen die Schriftgelehrten und Pharisäer zu den Zwölfen, als bei dem Gastmahl des Matthäus viele Zöllner und Sünder kamen und sich mit Jesus und seinen Jüngern zu Tische setzten. Da aber Jesus es hörte, sprach er: „Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. (Mt 9, 12) „Ich bin nicht gekommen, die Gerechten zu berufen, sondern die Sünder.“ Merke, wie schnell unser Herr eine Antwort gibt! Er selbst antwortet, nicht nur, um seine Jünger einer Schwierigkeit zu entheben, sondern weil er mit eigenen Lippen eine Frage beantworten wollte, die jedes von uns persönlich betrifft, eine Frage, die ihm Gelegenheit bot, seine Liebe zu den Ausgestoßenen, den Verachteten zu zeigen und sie an sich zu ziehen, durch Worte, zärtlicher als der zärtlichste seiner Diener sie hätte finden können.

Er wies diese Anschuldigung, ein Freund der Zöllner und Sünder zu sein, nicht zurück. Im Gegenteil, sie ist ihm ganz willkommen. Die Tadler, die ihm seine Handlungsweise zum Vorwurf machten und weit und breit davon sprachen, erwiesen ihm einen Gefallen. Es war keine Verleumdung, sondern eine segensvolle Wahrheit; nichts lag ihm mehr am Herzen, als dass dieselbe von jedem Menschen, der sich auf Irrwegen befand, anerkannt werden möchte.

Weisest du nicht, o Herr, den Grund, den wir für das Fernbleiben von der Kommunion vorbringen, nämlich unsere Unwürdigkeit, mit Vorliebe zurück? Du hast dich nicht geändert seit den Tagen deines Erdenlebens. Noch immer ist es deine Wonne, bei den Sündern und Schwachen dich aufzuhalten. Sollten sie nicht jetzt, wie damals, in Scharen zu dir eilen und mit Freuden dich aufnehmen?

Oh Gott, gar oft möchte ich an meinem Herzen verzweifeln. Oh dass du doch nicht so viel für mich getan hättest; oder dass doch die Menschwerdung und die Eucharistie Wunder wären, die du für die Menschheit im Allgemeinen und nicht mit besonderer Berücksichtigung meiner Nöte und aus besonderer Liebe zu mir gewirkt hättest! Oder, dass du weniger geduldig und nachsichtig wärest! Wie aber ist es möglich, dass ich dich beleidige und es überdies so wenig fühle, da ich doch aus Erfahrung weiß, wie du bist! Nicht als ob ich dich nicht liebte, oh mein Gott; du weißt, dass ich dich liebe. Doch welche Beweise gebe ich dir? Kann Liebe neben Untreu bestehen? Mein Herz sollte brechen, wenn ich an meine Sünden denke. Es sollte überfluten von Lob und Dank beim Anblick dessen, was du für mich getan und noch täglich tust. Es sollte trostlos sein beim Anblicke der Beleidigungen, die dir zugefügt werden. Es sollte vor Sehnsucht pochen beim Gedanken an die Stunde, in der ich vor dir erscheinen und dich von Angesicht zu Angesicht sehen werde.

Mein Gott, besäße ich jene Macht über mein Herz, die du besitzest, so würde die Sache, denke ich, anders stehen. Doch es muss in der Tat etwas Gutes sein um diesen demütigenden Zustand, da du ihn ändern könntest, und es dennoch nicht tust. Vielleicht diene ich dir aufrichtiger, wenn ich stumm und gefühllos zu deinen Füßen knie, als wenn ich die gewünschte, fühlbare Andacht besäße. Nun denn, wenn dieser armselige Dienst dir genügt und er sicherer für mich ist, so will ich zufrieden sein und in demselben verbleiben, solange es dir gefällt, nur auf das Eine bedacht —, dass dieses Gefühl des Ferneseins von dir nicht einem bewussten Fehler meinerseits zugeschrieben werden könne.

 

Nach der Kommunion

„Ich bin der Herr, dein Gott, der heilige Israels (Is 43, 3)

Oh großer, o heiliger Gott, ich werfe mich nieder in den Staub vor dir. Mit den Seraphinen, die ihr Angesicht vor dir verhüllen, bete ich dich an. Heilig, heilig, heilig, Gott der Heerscharen! Oh Herr, mein Gott, mein Heiliger (Hab 1, 12), wie kannst du zu mir kommen? Wie kannst du eine solche Vereinigung zulassen? Eine Vereinigung mit einer Seele, wie die meinige ist? Mit dem Hauptmann bekenne ich: „Oh Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehest unter mein Dach.“ Mit Petrus sollte ich ausrufen: „Gehe hinweg von mir, mein Herr, denn ich bin ein Sünder!“ Doch du findest mehr Gefallen an mir, wenn ich mit den Jüngern von Emmaus dich innig bitte: „Bleib’ bei mir, o Herr, bleibe bei mir!“ Auf deine Einladung hin: „Kommet zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid,“ habe ich mich dir genahet. Ich darf kommen, denn ich habe eine Bürde dir zu Füßen zu legen. Ich darf kommen, denn deine Einladung ergeht an alle. Ich bin betrübt über alles, was dir an meiner Seele missfällt; ich bin betrübt nicht so fast über einen Schmerz oder ein Leid, das die Sünde mir zugefügt, als vielmehr über die Beleidigung, die sich gegen deine Heiligkeit richtet. Wasche mich von meinen Ungerechtigkeiten und reinige mich von meiner Sünde! „Denn du, oh Herr, bist gütig und milde und von großer Erbarmung für alle, die dich anrufen.“ (Ps 85, 5) Du bist heute als meine Nahrung zu mir gekommen, damit ich koste und sehe, wie süß der Herr ist.

O gütigster Herr, erinnere dich, dass du gekommen bist, Sünder, wie ich einer bin, zu rufen und an dich zu ziehen. Haben deine Augen Sünden in meiner Seele entdeckt, so vergiss nicht, dass sie auch Reue gesehen haben. Sei eingedenk, dass du ein zerknirschtes und gedemütigtes Herz noch niemals zurückgewiesen hast!

„Ich irre wie ein verlorenes Schaf; suche deinen Diener!" (Ps 118, 176)

„Siehe, ich selbst will nach meinen Schafen sehen und sie heimsuchen.“ (Ezech 34,11)

„Wie ein Hirt seine Herde aussucht, also will auch ich meine Schafe aussuchen und sie erretten aus allen Orten, in welchen sie zerstreut worden am Tage des Gewölkes und der Finsternis. Ich will sie auf die beste Weide führen, daselbst sollen sie ruhen auf grünem Grase. Ich selbst will meine Herde weiden, ich selbst will sie lagern lassen, spricht Gott der Herr. Was verloren, will ich suchen, was vertrieben, zurückführen, was gebrochen, verbinden, was schwach, befestigen, was fett und stark, behüten. (Ezech 34, 12 ff.)

Oh Hirte meiner Seele, der du mich so lange, so unermüdlich gesucht hast, welchen Dank soll ich dir erstatten?

Am Tage des Gewölkes und der Finsternis war ich irregegangen, du hast mich zurückgebracht. Auf die süßeste Weide hast du mich geführt. Du willst, dass ich dir alle meine Angelegenheiten anvertraue, die geistigen sowohl als die zeitlichen, dass ich alle meine Sorge auf dich werfe und mich ruhig deiner Vorsehung überlasse. Und dennoch bin ich von Furcht erfüllt. Was irregegangen, hast du zu dir zurückgeführt. Oh guter Hirte, ich bin verwundet, ich bin schwach. Wie soll die Zukunft besser sein als die Vergangenheit? „Dein bin ich, hilf mir!“ (Ps 118, 94) Die Vorsätze, die ich so oft gebrochen, erneuere ich vertrauensvoll. Lehre mich durch Erfahrung, dass ich alles vermag, in dem, der mich stärkt. Lass mich in Dankbarkeit und Freude ausrufen: „Gut ist der Herr denen, die auf ihn hoffen.“ (Thren 3, 25)

„Gut ist der Herr, er stärket am Tage der Trübsal.“ (Nah 1,7)

„Wie groß ist die Barmherzigkeit des Herrn und seine Versöhnlichkeit gegen die, so sich zu ihm bekehren! (Sir 17, 28)

 

 Aufopferung und Bitte

Was gäbe es, oh Herr, dass du um meinetwillen nicht geopfert hättest? Deinen Leib überließest du den Geißelknechten, dein Antlitz denen, die darauf schlugen und es anspien; dein Haupt den Dornen, Hände und Füße den Nägeln und dein Herz der Lanze. Deine Ehre hast du hingegeben. Du hast Verrat, Undank, Untreue von Freunden, selbst Gottverlassenheit erduldet. Du hast mir deine Verdienste, deine Mutter, dein Reich hinterlassen, ja dich selbst im Sakramente. Wahrlich, du kannst fragen: „Was gibt es, was ich für meinen Weinberg hätte tun können und habe es nicht getan?“

Ich danke dir, o liebster Jesus, für alles, was du für mich gelitten und für die Liebe, mit welcher du es gelitten hast. Für alles, was du mir gegeben, und für die Liebe, mit welcher du es gegeben. Ich danke dir für alles, was du mir bist, für alles, was du mir sein willst in der Ewigkeit. Glücklich diejenigen, welche während dieses kurzen Lebens dir auf irgendeine Weise deine Hingabe vergolten und deine Liebe erwidert haben. Was habe ich dir bis zur Stunde gegeben? Welchen Ersatz werde ich dir in Zukunft leisten, nicht etwa durch einen anderen, sondern durch mich selbst, einen persönlichen Ersatz für eine persönliche Gabe?

Ich opfere dir auf, oh Herr, die Freude, die du heute in den Kommunionen mit jenen hast, die dich am meisten lieben. Ich allerdings darf nicht hoffen, unter diese glücklichen Menschen gerechnet zu werden, aber durch die Gemeinschaft der Heiligen habe ich Anteil an jenen Schätzen, wodurch ihr Herz so angenehm vor dir ist. Ich habe Anteil an ihrer Liebe, ihrem Danke, an dem Willkommen, das sie dir bereiten. Alles dieses opfere ich dir auf, als wäre es mein eigen. Und was in der Tat mein eigen ist, das opfere ich dir auf — meine Armut, mein Elend, mein Nichts und die Demütigung, die aus all diesem Elend entspringt. Meine täglichen Arbeiten und Prüfungen, all die Sorgen meines Lebens opfere ich dir auf. Ich empfehle dir alles, was unvorhergesehen kommen wird und wobei ich ganz besonders den Beistand deiner Gnade brauchen werde, die Gelegenheiten, die sich mir zur Ausübung der Nächstenliebe bieten werden. Alles, was ich tun und leiden, denken oder sagen werde, vereinige ich mit dem, was du während deines Lebens hier auf Erden getan, gelitten, gedacht und gesprochen hast. Ich danke dir für jede Freude, die du für mich bereit hältst, und unterwerfe mich jeder Prüfung. Ich nehme den Tod an in der Art und Weise und zu der Stunde, die du bestimmen wirst, sowie auch das Urteil, dass du über mich fällen wirst, wenn ich vor dir stehen werde, um Rechenschaft über mein armes, sündhaftes Leben und über die mir anvertraute Verwaltung abzulegen. Auch die Ewigkeit nehme ich an, die dann für mich beginnen wird. Wenn ich noch etwas anderes, noch etwas Kostbares dir anzubieten hätte, würde ich es hier zu deinen Füßen niederlegen.

 

Gebet vor einem Kruzifix