Das letzte Willkommen
II.
„Zur gnadenreichen Zeit
erhöre ich dich und am Tage des Heiles helfe ich dir! Siehe, jetzt ist die
gnadenreiche Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heiles.“ (2. Kor 6, 2)
Vor der Kommunion
Ich schaue empor von meinem Platze im Fegfeuer, hin zur Kommunionbank, wo ich
während meines Lebens kniete, zu dem Plätzchen, wo ich nach der Kommunion meine
Danksagung verrichtete. Ich schaue zurück auf die Augenblicke, die ich dort
zubrachte, die mir manchmal vielleicht lange schienen. Oh nur ein
Viertelstündchen jener gnadenreiche Zeit! Nur einen einzigen Tag des Heiles! Ich
begreife nun, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, Gottes unerforschliche
Heiligkeit, die Hässlichkeit der Sünde, die Gerechtigkeit und Strafe, die ihr
auf dem Fuße folgen. Überdies fühle ich die unwiderstehliche Anziehungskraft
jener Schönheit, die ich beim Gerichte flüchtig sah. Wie die Woge dem Ufer
zutreibet, so werde ich zu ihr hingezogen mit einer Gewalt, die mein ganzes
Wesen fortreißt und Gott nahe bringt. Im selben Augenblicke aber werde ich
zurückgeworfen, denn ich bin noch nicht fähig, den Allerheiligen zu umarmen. Die
Folgen der Sünde, die auf Erden so leicht hätten weggeschafft werden können,
müssen weggebrannt werden, langsam, schmerzlich, ohne dass ich im geringsten
helfen kann.
In meiner Angst rufe ich: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Nach dem Werke deiner Hände strecke aus deine Rechte.“ Und er antwortet mir: „Zu
einer gnadenreichen Zeit habe ich dich gehört und am Tag des Heiles dir
geholfen. Oh dass du an diesem deinem Tage erkannt hättest, was dir zum Frieden
gewesen wäre! Aber du hast dir diese Dinge nicht zu Herzen genommen, noch hast
du dein Ende vor Augen gehabt. Siehe, nun ist die Nacht gekommen, in der kein
Mensch mehr wirken kann. Wahrlich, ich sage dir, du kannst nicht herauskommen,
bist du den letzten Heller bezahlt hast.“
Wie werde ich dann mit nutzloser Trauer die Vernachlässigung des Schatzes
beweinen, der für mich in der Kommunion hinterlegt war und mit welchem ich meine
Schulden hätte bezahlen können! Mein Gläubiger war bei mir und er bot mir seine
unendliche Genugtuung an, ja er nötigte mir dieselbe auf, um damit alle meine
Schulden zu bezahlen. „Ihr, die ihr kein Geld habt, kommet, kaufet ohne Geld und
ganz umsonst!“ (Is 55, 1)
Er weiß, wie notwendig ich ihn brauchen werde, sobald das Leben hienieden
vollendet ist. Er weiß, dass das, was wir jetzt Not heißen, diesen Namen nicht
verdient; dass die wirkliche Not erst im jenseitigen Gefängnis beginnt, wo die
Seele nach Gott sich sehnt mit einem Hunger und einem Durst, von dem kein noch
so starkes Sehnen hienieden den leisesten Begriff geben kann. Aber auch in
seinem heiligen Herzen wird ein Hunger sein. Sein Herz und meines wurden
füreinander geschaffen. „Mit menschlichen Banden zog ich sie, an Seilen der
Liebe.“ (Os 11, 4) Und wenn einmal die entgegengesetzte Anziehungskraft auf
Erden wegfällt, so werde ich seinem Zuge mit der ganzen Kraft meines Wesens
folgen. Warum sollte ich ihn warten lassen? Warum soll ich nicht jetzt schon
jener Reichtümer mich bedienen, die er mir zur Verfügung stellt? Warum soll ich
nicht seine Gegenwart in meinem Herzen benutzen, um meine Angelegenheit vor ihm
klarzulegen und ihn zu besänftigen, solange es Zeit ist, solange wir zusammen
auf dem Wege sind? (Mt 5, 25)
Und warum soll ich deine Nähe in diesem Leben nicht benutzen, um mir einen Platz
in seiner Nähe für die ganze Ewigkeit zu sichern? Wie viele weitere
Grade der Gnade sind die Frucht einer einzigen Kommunion! Und einem jeden
solchen Grad von Gnade entspricht ein Grad der Gloria, der mich befähigt, ihn
besser zu erkennen, mehr zu lieben, vollkommener zu genießen — und zwar für
ewig.
„Siehe, jetzt ist die gnadenreiche Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heiles!“
Oh Herr Jesus, verleihe mir die Gnade, an diesem meinem Tage zu erkennen, was
mir zum Frieden dient!
Nach der Kommunion
„Heilig, heilig, heilig, Herr, Gott der Heerscharen.“
„Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“
„Würdig bist du, oh Herr, unser Gott, zu empfangen Preis und Ehre und Kraft.“
(Offb 4, 11)
„Darum singen wir mit den Engeln und Erzengeln, mit den Thronen und Mächten, mit
der ganzen himmlischen Heerschar den Preisgesang deiner Herrlichkeit und rufen
ohne Ende: Heilig, heilig, heilig ist der Herr, Gott Sabaoth, Himmel und Erde
sind voll deiner Herrlichkeit! Hosanna in der Höhe! Gebenedeit sei, der da kommt
im Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!
„Jetzt ist die gnadenreiche Zeit, jetzt ist der Tag des Heiles.“ (2. Kor 6, 2)
Meine Kommuniontage! Oh Herr, gib mir Weisheit, dass ich sie benutze, wie ich
soll! Oh gib, dass deine innige Gemeinschaft mit mir eine Vereinigung bewirke,
die fortbesteht, nachdem deine wirkliche Gegenwart aufgehört, eine Vereinigung,
die immer vertraulicher, inniger, herzlicher werde, eine Vereinigung, die in
einer Verschmelzung all meiner Angelegenheiten und Wünsche mit den deinigen
endet! Gib, dass die Selbstliebe deiner Liebe Platz mache und die Selbstsucht
einer aufrichtigen Unterwerfung unter deinen Willen! Gib, dass ich deinen Willen
suche, wenn er verborgen ist, ihn schnell erkenne, wenn er sich zeigt, ihn
umfasse und ihm anhange, selbst dann, wenn er mir Leiden bringt; dass ich in
demselben ruhe, unbekümmert wie das Vöglein in seinem Neste!
Nur auf diese Weise, oh Herr, kann eine wirkliche Vereinigung zwischen uns
bestehen. Und dass unsere Vereinigung wirklich sei, daran ist alles gelegen.
Fort mit aller Erdichtung! Fort mit aller Täuschung! Leben, Seele, Ewigkeit sind
Wirklichkeiten, die mir auf allen Wegen entgegentreten. Ich muss sie fest ins
Auge fassen und das kann, das wage ich nicht allein; meinen Weg entlanggehend,
muss meine Hand von der deinen fest umschlossen werden; meine Augen müssen fest
auf die deinigen gerichtet sein und meine Füße deiner Leitung folgen. Ich muss
vollkommen aufrichtig mit dir sein, mein Verkehr mit dir muss offen und ehrlich
sein. Du weißt alles, was in mir vorgeht, denn du bist mein Gott; doch weil du
überdies mein Vater und mein Freund bist, sollst du es auch durch mich erfahren.
Von nun an soll jede Falscheid im Verkehr mit dir aufhören. Meine Schäden will
ich nicht zudecken, um sie deinem Anblick zu entziehen. Nichts will ich allein
in Angriff nehmen; alles wollen wir gemeinsam vollbringen. Offen und gerade will
ich mit dir sein, soweit ich mich selbst erkenne. Dass ich elend, gemein,
selbstsüchtig, ja sogar arglistig bin, will ich zugeben, wenigstens dir
gegenüber. Mein Herz will ich dir enthüllen, auf dass alles offen vor deinen
Augen liege. Nicht das fürchte ich, dass deine Augen meine Unvollkommenheiten
sehen möchten, sondern dass durch eine freiwillige Falschheit oder eine
vorsätzliche Zurückhaltung die freie Ergießung meines Herzens in dein Herz, oh
Vater, gehemmt werden möchte.
So wie ich der Stunde meines Todes vorauseilen und mich in dem strafenden Feuer
schauen kann, geradeso will ich manchmal, vom Schleier des Geheimnisses umhüllt,
der heiligen Messe beiwohnen und von meinem Platze im Himmel herniederschauen
auf den wohlbekannten Altar, von welchem aus ich so auf das heilige Opfer zu
Gott emporsteigen sehe. Ich sehe, wie die daselbst vollbrachte Handlung die
Aufmerksamkeit jener, die in vollem Glanze der unverhüllten Anschauung Gottes
leben, fesselt und wie jene weiße Hostie den Blick der gesamten Kirche auf sich
zieht, der triumphierenden, der leidenden, der streitenden, die alle eine Kirche
bilden. Die Seligen blicken hernieder auf sie mit anbetender Liebe. Die Seelen
im Fegfeuer wenden ihr hoffnungsvoll ihre traurigen Blicke zu, die Gläubigen auf
Erden schauen auf zu ihr, wenn sie emporgehoben wird, und werfen sich nieder vor
dem Lamme, das zur Schlachtbank geführt wird. I
Ich sehe Ströme des lebendigen Wassers von allen Seiten des irdischen Thrones
des Lammes fließen. Es steigt empor zum Himmel und erfreut die Stadt Gottes. Es
fließt in einem starken Strome durch das dürre Land des geduldigen Schmerzes und
erfrischt die dort Leidenden, die nun erkennen, was das Opfer des Altares ihnen
im Leben hätte sein können und vor was es sie nach dem Tode bewahrt haben würde.
Nach Norden und Süden, nach Osten und Westen ergießt sich dieser Strom über
die Erde, indem er allüberall läutert und befruchtet und solch reichliche
Wirkungen für Gottes Ehre hervorbringt, dass sie gewissermaßen jetzt schon „das
Reich unseres Herrn und seines Gesalbten geworden ist.“ (Offb 11, 15)
All das sehe ich von meinem Platz aus im Himmel. Ich sehe, wie von dem Altare
aus, in dessen Nähe ich die heilige Messe — leider ach oft so zerstreut —
anhörte, die ganze Kirche belebt und bereichert wird. Ich sehe, was eine
häufigere und inniger Beiwohnung des heiligen Opfers während der Tage meines
Lebens für meine Seele und für diejenigen, die mir so lieb wie meine Seele sind,
hätte wirken können.....
Und dann erinnere ich mich voll Dank und Freude, dass diese Tage noch mein sind.
„Die gnadenreiche Zeit“ ist noch nicht verflossen, noch kann ich Knien vor
diesem Altar. Wenn ich mit den Augen des Glaubens über mir „die große Wolke“
jener sehe, die Zeugnis ablegen, wenn ich in den Preisgesang der Engel und
Erzengel und der ganzen himmlischen Heerschar einstimme, wenn ich die kläglichen
Rufe der gefangenen Seelen höre, wenn mein Herz bebt bei dem Gedanken an die
Nöte und Leiden der Kirche auf Erden, dann verstehe ich den Schluss aller ihrer
Gebete „durch Jesum Christum unsern Herrn“. Ich gewinne eine vollere
Wertschätzung des Opfers unserer Altäre, des Gastes in meiner Brust, und mit
erneuter Dankbarkeit preise ich Gott für seine unaussprechliche Gabe
Aufopferung und Bitte
Gebet vor einem Kruzifix