Zeige mir, o göttliche Weisheit, dass die Aufgabe dieses Lebens, das wahre Ziel desselben nicht Erfolg, nicht Ehre, nicht Aufhäufung von Überfluss in Erwartung vieler Jahre ist —, sondern das Wohlgefallen Gottes zu suchen in den wenigen Tagen, die mir geschenkt sind, indem ich mit Weisheit das, was sie mir bieten, zu seinem Dienste und meiner Heiligung gebrauche. Lass mich eingedenk sein, dass jeder Tag nur einmal durchlebt werden kann, „denn siehe, die kurzen Jahre gehen vorüber und ich wandle den Weg, worauf ich nicht zurückkommen werde.“ (Job 16, 23) Meine Sorge muss sein, jeden Tag, den ich arbeitend durchlebe, gottgefällig zu machen, indem ich aus Gottes Hand alles annehme, was er mir an Freuden und Leiden bringt, dem ich die Heimsuchungen, die über mich kommen, nicht dem Zufalle zuschreibe und mich nicht aufhalte bei den natürlichen Ursachen, durch die sie kommen, sondern darüber hinweggehend zu ihm mich wende, der alles lieblich anordnet. (Weish 8, 1) „Denn all meine Wege sind gebannt.“ (Jud 8, 1) „Nichts geschieht auf Erden ohne Ursache und aus dem Boden sprosset nicht der Schmerz.“ (Job 5, 6)
Oh mein Gott, wenn ich auf das heilige Leben anderer Blicke, auf jene, die mitten unter den Heiden, umgeben von Gefahren und Entbehrungen aller Art, dir dienen, oder jener, die mit heroischer Demut ihr Kreuz der Armut, der Verfolgung, des Misserfolges, der Krankheit tragen, so fühle ich mich geneigt, sie um ihren großmütigen Dienst zu beneiden und fast mit Mutlosigkeit auf den meinen zu blicken.
Doch möchte ich wohl mein Los mit dem ihrigen vertauschen? Nein! Nicht einmal um der Freude Willen, die sie dir durch ihren besseren, edleren Dienst bereiten, könnte ich auf deine besondere Liebe und Führung, wie sie meine Vergangenheit aufweist und die mein Schatz die ganze Ewigkeit hindurch sein werden, Verzicht leisten. Durch alle Versuchungen, Schwierigkeiten, Schwächen, Fehltritte, Gnaden, Hilfe, Gelegenheiten, Siege, Freuden — leuchtet deine geduldige, ausdauernde Liebe, die alles leitete und alles nach deinem Absichten zustande brachte — könnte ich darauf Verzicht leisten? Verzicht leisten auf dich, meinen Gott, den Gott meines Lebens (Sir 23, 4), so süß, so zärtlich, so getreu, den Gott meine Erfahrung, der mir so teuer ist wie mein eigenes, innerstes, ungeteiltes „Ich“? Nein, ich könnte mich nicht trennen von dir, meinem Gotte.
Oh mein Gott und mein Freund! Freund, außer welchem keiner diesen Namen verdient. Freund, der meiner nie müde wird, mich niemals missversteht, mir niemals misstraut, der nicht wie andere Freunde willig, dabei aber machtlos ist; der alles glaubt, alles hofft, alles duldet; ich erstatte dir den demütigsten und herzlichsten Dank dafür, dass du selbst dich mir gegeben hast. Du bist ein Freund, der niemals untreu wird. Denn „wenn wir schon sündigen, sind wir doch dein“ (Weish 15, 2), und wie es den Unschuldigen und Harmlosen eigen ist — bist du der erste, der Aussöhnung sucht. Oh treuer Freund, der du stets bereit bist, uns zu raten, zu trösten, zur warnen und, wenn es notwendig ist, zu tadeln, du einziger Freund, auf den wir mit Bestimmtheit rechnen und dem wir uns ohne Rücksicht offenbaren können; bei dem wir nie eine günstige Stimmung oder einen günstigen Augenblick abzuwarten brauchen, noch unsere Rede in Acht nehmen müssen, dessen Zorn nicht zu fürchten ist in jenen Stunden, wo das Herz in Bitterkeit überfließt, was sollen wir dir erstatten für alles, was du uns gegeben, dadurch, dass du uns das Recht gabst, dich — Freund zu nennen?
Du hast auf uns gewartet, als unsere Augen für diese Welt sich öffneten und sanft wird deine Hand sie schließen und uns zur Ruhe betten, wenn unser Tagewerk vollendet ist. Während unseres ganzen Lebens gehst du den Pfad entlang an unserer Seite und bei den Wendepunkten und wenn Unglück uns begegnet, finden wir dich zuerst an der Stelle. Oh Freund, du allein bleibst bei uns, wenn der Weg hinter uns sich verlängert und diejenigen, welche die Reise mit uns begonnen, nacheinander dahinsinken. Du kommst uns umso näher, je mehr die Lücken sich erweitern und je tiefer uns das Gefühl der Einsamkeit drückt; bleibe bei uns, bleibe immer bei uns bis zum Ende! Die Last der Jahre macht sich fühlbar, unsere Schritte wanken, bleibe bei uns, bleibe bei uns, oh Herr! Möge durch die Auflösung anderer Freundschaften die deinige gefestigt werden. Möge durch die Lehre an so vielen Plätzen Raum für dich entstehen; möge die Unbeständigkeit aller anderen Dinge uns antreiben, dass wir uns mit aller Kraft an dich halten.
Und wenn das Ende gekommen, wenn die Nacht hereingebrochen, bleibe bei uns, oh Herr! Wenn die Schatten des Todes die irdischen Dinge in Dunkel hüllen, wenn Auge und Ohr ihre Dienste zu versagen beginnen, wenn ich an der Schwelle der Ewigkeit stehe und die Erde fast unter mir hinweggerollt ist; wenn mich der Laut der irdischen Liebe nicht mehr erreicht und nur die Stimme der Kirche, meiner Mutter, beruhigend, beschützen zwischen meine Seele und die Gefahren jener Stunde tritt — oh Freund meines Lebens, dann erweise dich als der Treue, der Wahrhaftige! Bereite du selbst mich auf die Sakramente vor, in welche du für jene Zeit der bittersten Not reichlich Hilfe hinterlegt hast! Gib mir eine so große Reue über die Sünden meines ganzen Lebens, dass der letzte Segen und der vollkommener Ablass ihre ganze Wirkung haben, so dass nicht nur jede Schuld, sondern auch die Strafen nachgelassen werden können! Ich werde nur zu geringer Anstrengung fähig sein, zu kurzen Gebeten; möge daher meine heutige Bitte mir die so notwendigen Gnaden für jene Stunde im Voraus sichern. Gib mir, oh Herr, so starken Glauben, so große Hoffnung und Liebe, so inniges Verlangen, dich zu empfangen, dass ich durch die Wegzehrung für meine letzte Reise vollständig gekräftigt werde und dass sie mich beschütze gegen die Angriffe des bösen Feindes, der mit großer Wut sich einfinden wird, weil er weiß, dass er nur mehr wenig Zeit hat. Oh Herr, meine ganze Hoffnung für jene letzte Stunde ist auf dich gerichtet! Ich setze all mein Vertrauen auf die Erbarmung deines heiligen Herzens, auf die Fürsprache deiner gebenedeiten Mutter, des heiligen Michael, des Führers jener Seelen, die Gnade finden, auf meinen Schutzengel und die Gebete deiner Kirche. Wenn ich durch das schattenvolle Tal des Todes wandle, will ich nichts Schlimmes fürchten, denn du wirst bei mir sein. Dein Arm wird mich umschlingen, deine Stimme mich ermutigen und, oh liebster Gott, dein Angesicht wird mich willkommen heißen, wenn der Nebel der Zeit dahingeschwunden und ich dich im Lichte der Ewigkeit erblicke.
Nach der Kommunion
„Heil unserem Gotte, der auf dem Throne sitzt,“ dem Throne seiner Glorie im Himmel, dem Throne meines armen Herzens, hier auf Erden.
„Preiset den Herrn, ihr Engel des Herrn! Lobet und erhebet ihn über alles in Ewigkeit!“ (Dan 3, 58)
„Ihr Diener des Herrn, preiset den Herrn, lobet und erhebet ihn über alles in Ewigkeit!“ (Dan 3, 85)
„Lobsinget unserm Gott, all seine Diener, und die ihr ihn fürchtet, klein und groß!“ (Offb 19, 5
„Oh danke dem Herrn, denn er ist gut und seine Barmherzigkeit währet in Ewigkeit!“ (Ps 106,1)
„Fürchte nicht den Urteilsspruch des Todes und was über dich kommen wird, es ist der Urteilsspruch des Herrn!“ (Sir 41, 5 f.)
Dem Gott meines Lebens kann ich meinen Tod anvertrauen. Er, der alle Dinge bis ins Kleinste so wohl geordnet, wird mich nicht verlassen in meiner größten Not. Tod ist sein Urteil, aber auch seine Einladung. Das Urteil nehme ich mit Demut und Ergebung an; der Einladung folge ich freudig und mit dankbarem Herzen. Der Tod ist der Rückruf aus der Verbannung, der Eintritt in den Audienzsaal, die Türe meines Vaterhauses. Er verschafft mir den Anblick des unverhüllten Antlitzes dessen, den meine Seele liebt, seine Umarmung und eine ewige Vereinigung mit ihm. Der Liebe Entzücken ist es, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Durch die langen Jahre meiner irdischen Pilgerfahrt habe ich dir Gastfreundschaft erwiesen, oh Herr! Du bist an der Türe gestanden und hast geklopft und ich habe dir geöffnet.
Du hast um ein Obdach gebeten und ich habe dir eine Heimstätte bereitet. Nun ist die Reihe an dir. Nun ist für dich die Zeit gekommen, mich in dein Haus aufzunehmen und mich dort willkommen zu heißen.
„Herr, wo wohnst du?“
„Komm, und sieh!“
„Da kamen sie und sahen, wo er sich aufhielt, und blieben denselben Tag bei ihm.“
Antworte dasselbe dem sehnsüchtigen Wunsche meines Herzens! Sprich zu mir in der Stunde meines Todes: „Komm, und sieh!“ „Denn der Winter ist vorüber, der Regen hat aufgehört und ist vergangen; die Blumen sind erschienen in unserem Lande, stehe auf und komme!“ (Hohel 2, 11) Der lange Weg der Verbannung ist zurückgelegt; die Zeit der Bilder und Gleichnisse, des Glaubens, der Hoffnung, des Kampfes und der Furcht ist zu Ende. Blicke empor und erhebe dein Haupt, denn deine Erlösung ist nahe! Blicke empor zu deines Vaters Hause mit seinen vielen Wohnungen! Ich habe dir einen Platz bereitet, damit, wo ich bin, auch du bei mir seiest. „Komm und sieh! Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört, in keines Menschen Herz ist es gekommen, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben. Komm, und sieh!“
Rufe mich und heiße mich zu dir kommen, oh Herr! Rufe mich, damit ich sehe, wo du wohnst und dass ich bei dir bleibe den langen Tag der Ewigkeit hindurch.
„Fürchte nicht den Urteilsspruch des Todes und was über dich kommen wird, es ist der Urteilsspruch des Herrn.“ (Sir 41, 5 f.)
Man lehrt uns, dass die beste Vorbereitung auf den Tod die Hingabe seiner selbst an Gott ist. Wir haben den in unserer Seele aufgenommen, der unser Friede ist. Was bleibt uns noch zu tun übrig als uns selbst zu vergessen und die Sorge für uns ganz ihm zu überlassen. „Fürchte nicht das, was über dich kommen wird!“ Was auch immer kommen mag, wird sein Wohlgefallen sein. Körperliche Schmerzen können kommen und Seelenangst. Ruhig will ich in den Armen meines Vaters liegen — der Wille Gottes ist willkommen. Das Fegfeuer muss kommen und schmerzlich wird es sein und lange — der Wille Gottes ist willkommen. Wenn er vollzogen seinen Willen an mir (Job 23, 14) durch das läuternde Feuer, dann werde ich gerufen werden, seinen Willen zu erfüllen, wie er im Himmel erfüllt wird. Ich werde die Stimme meines Geliebten hören.
Erhebe dich, vielgeliebte Seele, und komme! „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber hat genaht.“ (Röm 13, 12)
„Sage Lob, juble, freue dich und frohlocke aus ganzem Herzen...... kein Übel sollst du fürder fürchten!“ (Soph 3, 14. f.)
„Zieh’ aus das Kleid deiner Trauer und Qual und tue an die Zier und Ehre jener ewigen Herrlichkeit, die Gott dir verleiht!“ (Bar 5, 1)
Erhebe dich, beeile dich, und komme!
Oh mit welchem Entzücken werde ich diesen Willen Gottes willkommen heißen, ihm meine Arme entgegenstrecken und hineilen zu seiner Umarmung. „Ich fand ihn, den meine Seele liebt“ (Hohel 3,4) und nun gibt es nichts, das mich zurückhalten könnte von ihm. „Bereit ist mein Herz, oh Gott, bereit ist mein Herz.“ (Ps 107, 2)