7. Kapitel

Von der Tugendübung und zwar zunächst der des Verstandes, den man vor Unwissenheit und Vorwitz bewahren soll

Wie notwendig in diesem geistlichen Kampfe das Mißtrauen gegen sich selbst und das Vertrauen auf Gott auch sein mögen, so würden wir dennoch, falls wir diese allein besäßen, nicht nur keinen Sieg über uns selbst davontragen, sondern dazu noch in viele Fehler fallen. Deshalb ist uns das dritte Mittel, das wir oben angegeben haben, vonnöten, nämlich die entsprechende Tugendübung.

Vor allem aber müssen unser Verstand und unser Wille ertüchtigt werden. Was den Verstand angeht, so muß er vor zwei Feinden behütet werden, welche ihn zu gefährden pflegen.

Der eine Feind ist die Unwissenheit, die ihn verdunkelt und die Erkenntnis der Wahrheit hindert, welche sein eigentliches Ziel ist.

 Durch beständige Übung soll der Verstand erhellt und geschärft werden, damit er unsere Bedürfnisse erkenne und unterscheide, um die Seele von den ungeordneten Leidenschaften zu reinigen und mit heiligen Tugenden zu schmücken.

Dieses Licht kann man auf zweifache Weise erlangen.

Zuerst und vorzüglich durch Gebet, indem wir den Heiligen Geist anflehen, damit er unser Herz erleuchte.

Dies wird er immer tun, wenn wir Gott allein suchen und bestrebt sind, seinen Willen zu erfüllen und in allem unser eigenes Urteil dem unseres Seelenführers unterwerfen.

Zweitens durch tiefschürfende und ernste Betrachtung, damit wir erkennen, inwieweit die Dinge dieser Welt gut oder böse sind, und um sie nicht nach ihrem äußeren Schein und der Meinung der Welt zu beurteilen, sondern wie der Heilige Geist sie bewertet.

Stellen wir diese Betrachtung auf die richtige Weise an, so erkennen wir deutlich, daß alle jene Dinge, welche die verblendete und verdorbene Welt liebt und sucht und sich auf mannigfache Weise und durch die verschiedensten Mittel zu verschaffen strebt, nur Eitelkeit und Trug sind. Wir erkennen auch, daß die Ehren und Freuden dieser Welt wie ein Traum verfliegen und nur Geistesplagen erzeugen, daß dagegen die Schmach und Beschimpfung, womit uns die Welt verfolgt, wahren Ruhm und die Drangsale wahren Frieden eintragen. Wir sehen ein, daß uns nichts mehr veredelt und Gott ähnlicher macht, als seinen Feinden zu verzeihen und ihnen Gutes zu erweisen, und daß es köstlicher ist, die Welt zu verachten, als sie zu beherrschen, daß es erhabener und wertvoller ist, dem geringsten Geschöpfe zu gehorchen, als über Könige und Kaiser zu gebieten. Eine demütige Selbsterkenntnis steht weit höher als die höchste Wissenschaft, und es ist lobenswürdiger, die geringsten unserer Leidenschaften zu bezwingen und zu ertöten, als Städte zu erobern, gewaltige Heere mit der Waffe in der Hand zu besiegen, Wunder zu wirken und selbst Tote zu erwecken.