14. Grund: Die Hingabe seiner selbst an Gott ist der Schlüssel zum Evangelium.

Wir alle haben das größte Interesse, das Evangelium zu hören; denn es ist ja die Richtschnur unserer Sitten und auch die Richtschnur, nach welcher wir gerichtet werden durch Jesus Christus, der uns dieselbe gegeben hat. Diese Richtschnur begreift zwei Sachen in sich: die Lehre Jesu Christi und Sein Beispiel, welch letzteres die treue und unfehlbare Erklärung der erstem ist. Aber niemals werden wir diese Lehre noch diese Beispiele verstehen, noch weniger werden wir Geschmack daran finden und es uns zur Pflicht machen, sie zu befolgen, wenn wir nicht damit anfangen uns ernstlich Gott hinzugeben. Der Grund davon ist klar: Alles, was Jesus Christus getan und gelehrt hat, ist übernatürlich; alles geht über unsere natürliche Einsicht, und wir können nur soviel Verständnis davon haben, als die Gnade uns erleuchtet. Aber Gott erleuchtet unseren Geist nur soweit, als wir ihn Ihm unterwerfen und als Er ihn gelehrig findet für Seine Eingebungen. Er wird also nur unvollkommen erleuchtet, wenn er nicht in vollständiger Abhängigkeit vom Geiste Gottes sein wird. Daher kommt es, daß so wenige Christen eine etwas tiefere Erkenntnis der christlichen Moral haben. Die Heiligen selber verstanden sie nicht, bevor sie sich nicht Gott hingegeben. Der Hl. Augustin gesteht es in seinen Bekenntnissen. Wie vielen sonst noch so gelehrten Leuten könnte man bezüglich der christlichen Moral sagen, was Jesus Christus zu Nicodemus sprach: „Du bist ein Meister in Israel und weißt diese Sachen nicht.“ (Joh. 3, 20). Ein Unwissender, eine schlichte Frau, die Gott von ganzem Herzen dient, könnte dich unterrichten.

Gegen diese Moral, die unsere Einsicht übersteigt, unsere natürlichen Neigungen bekämpft, haben der Stolz und die Eigenliebe eine maßlose Abneigung. Wer sich nur in etwas selber studiert, kann sich das nicht verhehlen, und weil man keinen Geschmack daran hat, erfindet man so viele falsche Gründe, sich davon zu dispensieren. Welches ist aber das einzige, das erfolgreiche Mittel, diesen Widerwillen, diese Abneigung zu überwinden? Kein anderes, als sich ganz und gar loszulösen von den Geschöpfen und von sich selber, um sich ganz Gott hinzugeben. Bis man das zu Stande gebracht hat, wird man die christliche Moral immer betrachten als ein peinliches Joch, dem man sich so wenig als möglich unterziehen wird, wie eine drückende Last, die man sich zu erleichtern sucht. Aber wo findet eine einzige aufrichtig Gott hingegebene Person, die es nicht fühlt und die es nicht laut bekennt, daß das Joch Christi voll Süßigkeit und seine Bürde leicht ist? Es ist die Liebe zu Jesus, die so spricht, und Gott erfüllt die Seele mit dieser Liebe zur Belohnung, daß sie Ihm ihr Herz geschenkt hat.

Endlich geht die christliche Moral über unsere natürlichen Kräfte. Wenn wir sie auch vollkommen verstehen, wenn sie für uns lebhaften Reiz hätte, so bedürfen wir doch einer speziellen Gnade, um zur Ausführung zu kommen, um nicht zurückzuschrecken vor den Schwierigkeiten, um die Hindernisse zu überwinden und um bis zum Ende im Kampfe gegen uns selbst zu verharren. Wem gewährt Gott diesen vorzüglichen Beistand? Etwa den nachlässigen, lauen Seelen, die Ihm nur dienen aus Furcht zu Grunde zu gehen, oder wie Mietlinge, die mit Ihm markten und Ihm so wenig wie möglich geben, kurz denen, die sich mehr lieben als Ihn? Nein dieser Beistand ist vorbehalten den redlichen, geraden, großmütigen Seelen, die sich Gott unbedingt hingegeben haben und die Ihm ungeteilt angehören wollen. Was kann Gott demjenigen versagen, der Ihm alles geschenkt hat, der entschlossen ist, alles zu leiden, um ihm zu gefallen, der sich seiner Leitung überläßt und Ihm alles Recht über sich übergeben hat?

Das Verständnis, der Sinn für das Evangelium, das Leben nach demselben sind also die sichere Frucht von der Hingabe seiner selbst an Gott.

Haltet hier ein wenig inne, ihr Christen, und überdenkt das, was ihr soeben gelesen habt. Habt ihr bisher die Erwägung gemacht, die ich euch vorgelegt habe? Findet ihr sie wahr, gerecht, wichtig, entscheidend für euer ewiges Heil und selbst für euer zeitliches Glück? Wenn dem so ist, so danket Gott; aber nachdem ihr Seine Stimme gehört, verhärtet eure Herzen nicht. Opfert Ihm dieses Herz, das Er von euch verlangt, und zu dessen Opfer euch so viele Gründe drängen.