Quelle: Kölner Kirchenzeitung 6. Januar 2016

 

 

Aus „Luder“ machte er „Luther“

Sprachforscher Jürgen Udolph über die verschiedenen Namen des Reformators

Die Forschung kennt kaum mehr offene Fragen über Martin Luther. Dabei wurde er 1483 als „Martin Luder“ geboren. Das ist längst nicht die einzige kreative Selbstbenennung des Reformators, wie der Göttinger Namensforscher Jürgen Udolph im KNA-Interview erläuterte.

K: Herr Professor Udolph, der Reformator ist allgemein als Martin Luther bekannt. Aber so einfach ist es mit seinem Namen nicht?

Udolph: Absolut nicht. Denn geboren wurde er als Martin Luder. Das weiß kaum ein Mensch.

K: War denn das Wort Luder im 15. Jahrhundert so negativ besetzt wie heute?

Udolph: Unbedingt. Im Frühneuhochdeutschen bedeutete es „Verlockung, Hinterhalt, liederliche Lebensführung, Verfall“. Das „Luderhaus“ war das Freudenhaus. „Im Luder liegen“ hieß, sich dem Suff hingeben. Luther kannte diese Ausdrücke, was ein Zitat belegt: „Nun soll Tag und Nacht mutwillig im Luder liegen und der Hurerei nachlaufen.“ Ich denke, das ist einer der Gründe für seine Namensänderung.

K: Wann erfolgte dieser Schritt?

Udolph: Ich habe etwa 200 Schreibungen des Namens gefunden und sie chronologisch aufgelistet. Der Wendepunkt ist das Sommersemester 1517 in Wittenberg. Er war inzwischen Dekan der Theologischen Fakultät und hat dort erstmals mit „Luther“ unterschrieben, und zwar genau viermal in dem Semester.

K: Dann blieb er also dabei?

Udolph: Nein, es gibt noch die griechische Variante „Eleutherius“. Das bedeutet so viel wie „frei“, der „Befreite“, was theologisch zu seiner Sichtweise als „freier Christenmensch“ passt. Nach der These der Göttinger Professoren Bernd Möller und Karl Stackmann, einem Theologen und einem Germanisten, hat er sich erst in Eleutherius und dann in Luther umbenannt. Aus meiner Sicht war Eleutherius aber nur eine kurze Zwischenphase von 15 Monaten; und er benutzte es nur im engen Familien- und Freundeskreis, niemals öffentlich.

K: Wann genau war das?

Udolph: Den ersten sicheren Beleg dafür gibt es für den 1. November 1517, einen Tag, nachdem er der Überlieferung nach seine 95 Thesen veröffentlicht hat.

K: Hat diese Namensänderung etwas mit dem 31. Oktober 1517, aus heutiger Sicht dem eigentlichen Reformationstag, zu tun?

Udolph: Der Thesenanschlag an der Schlosskirche von Wittenberg ist ja umstritten. Aber ganz sicher ist, dass Luther am 31. Oktober einen langen Brief an seinen kirchlichen Vorgesetzten Albrecht von Brandenburg geschrieben hat, in dem er seine 95 Thesen erläutert. Er nutzt in diesem Brief seinen neuen Namen Luther. Aber er tat dies bereits im Sommer 1517. Deswegen sehe ich keine besondere Verbindung zum heutigen Reformationstag.

K: Hat sich Luther von seinem Geburtsnamen nur wegen des negativen Beigeschmacks getrennt?

Udolph: Nein. Ein wichtiger Grund für den Wechsel von, „Luder“ nach „Luther“ liegt auch darin, dass damals in Wittenberg sowohl das Niederdeutsche als Sprache des Volks als auch das Hochdeutsche gebräuchlich waren. Luther selbst ist mit Niederdeutsch, also Plattdeutsch, aufgewachsen. Nach meiner Theorie verabschiedete er sich auch deshalb von Luder, weil er als Professor eine der wichtigen Personen in Wittenberg war. Denn das Hochdeutsche begann damals allmählich die Sprache der oberen Zehntausend zu werden. Es galt als feiner, besser und solider als das minderwertige Niederdeutsche. Das zeigt auch, dass Luther ein bisschen eitel war.

K: Konnte man damals so einfach seinen Namen ändern?

Udolph: Das war gar kein Problem zu dieser Zeit und an der Tagesordnung. Kaum jemand kennt Luthers Schüler „Philipp Schwartzerdt“ - weil er sich in „Melanchthon“ umbenennen ließ. Das war übrigens falsch, denn Schwartzerdt bedeutet nicht schwarze Erde, sondern „der Schwarze“, „Dunkelhaarige“.

K: In der Weimarer Luther-Ausgabe taucht der Name “Martinus Lutherus“ auf. Also eine weitere Variante?

Udolph: Nein, hier liegt tatsächlich ein Fehler vor. Der Herausgeber der Briefbände, ein Schüler Luthers, hat unter jeden Brief „Martinus Lutherus“ geschrieben. Dabei hat sich der Reformator kein einziges Mal so genannt. Wir haben sogar Hinweise, dass er die damals beliebte Latinisierung von Namen nicht geschätzt hat.

K: Wer heute Luther heißt - stammt der automatisch vom Reformator ab?

Udolph: Von ihm direkt sicher nicht, denn Luthers letzter Nachfahre starb im 19. Jahrhundert. Aber er könnte mit Luthers Bruder verwandt sein und damit zu den sogenannten, „Lutheriden“ zählen. Der ursprüngliche Familienname „Luder“ hat sich über „Lüder“ zu, ,Lüer“ entwickelt. Wer also so heißt, hat eine Chance, mit Martin Luther verwandt zu sein.

K: Wie stehen Sie selbst zu Luther, nachdem Sie so intensiv über ihn geforscht haben?

Udolph: Ich bin absolut sicher, dass Luther ein sehr emotionaler Mensch war und zum Teil auch despotisch und rechthaberisch. Das kommt auch in seinen Briefen zutage. Er war nicht unbedingt ein angenehmer Zeitgenosse, aber er war ein Revolutionär. Luther wollte die Kirche reformieren und nicht abschaffen.