Gedanken zum Rosenkranz von Pfarrer Milch
(Predigt v. 20. Sonntag
nach Pfingsten 1980 (spes-unica.de)
Meine lieben Brüder und Schwestern,
die Rechte soll nicht wissen, was die Linke tut; die Linke soll nicht wissen, was die Rechte tut. Man soll sein. Und alles, was man für Christus unternimmt in Gedanken, Entscheidungen, Worten und Taten, das muß hervorgehen aus der selbstverständlichen Liebe; so selbstverständlich, daß es dem, der tut, was des Christus ist, viel zu wenig ist, daß er sich immer als unnütze Magd, als unnützer Knecht vorkommt. Sein sollen wir, Christ-sein. Der gute Baum macht die guten Früchte, nicht die guten Früchte machen den guten Baum!
Zunächst muß ich einmal in Christus sein. Das bedeutet die Rose. Die vollkommenste Rose, die geheimnisvolle Rose, weil sie ganz aus Gott lebt und ganz vom Heiligen Geist gewirkt ist, ist Maria. Und alles, was sie tut und erleidet und lebt und mitlebt in, mit und durch ihren Sohn, das sind lauter Rosen, blühende Rosen, die von selbst blühen, weil ihr ganzes Sein in Christus getaucht ist. Damit hängt es zusammen, daß wir von dem Rosenkranz sprechen, von jener Kette von Rosen, in denen sich ihr Leben – das nichts anderes ist als das Christusleben – ereignet, entfaltet, darstellt.
Und sie lebt ja ihren Sohn. Das Leben, die Interessen, die Ziele, die Leiden, die Erfahrungen ihres Sohnes sind ihre Leiden, ihre Interessen, Ziele, Hoffnungen und Sehnsüchte. Sie hat den schärfsten, den wachesten Blick, das innigste Miterleben und Mitfühlen in der Tiefe des Gemütes mit dem, was Christus ist, denkt und will und lebt und tut und erfährt und leidet. Was Ihm geschieht, geschieht ihr! Sie ist der vollkommene Spiegel! Darum heißt sie auch in der Lauretanischen Litanei "der Spiegel der Gerechtigkeit", wobei Gerechtigkeit eben das ist, was den Menschen zum Menschen macht, das Wesen der Schöpfung, die Dimension, in der die Schöpfung ihr eigenes Wesen erfüllt, die Senkrechte, in der sie wurzelt in Gott und stammt aus Gott. Das heißt Gerechtigkeit! Nicht zu verwechseln mit dem gängigen Alltagsbegriff von Gerechtigkeit im Sinne einer "gerechten" Verteilung oder einer "gerechten" Behandlung. Gerechtigkeit im Sinne der Erlösung ist die Senkrechte, die richtige lotgerechte, lotrechte Dimension, in der sich unser Dasein erfüllt! Und das vollkommenste Dasein des Menschen, das eigentliche, das sinnvolle, das erfüllte, ursprünglich gedachte, vollendete, ist das Dasein des Gottmenschen in der umfassenden Dimension des Kreuzes. Und da lebt Maria drinnen. Und ihr ganzes Dasein ist das eines spiegelnden Bronnens und eines bronnenden Spiegels. Weil sie ganz Gott widerspiegelt, geht aus ihr auch Gott hervor. Das ist das, was sich im Rosenkranz ereignet.
Das Rosenkranzgebet ist nichts anderes, als die Existenz Mariens sich zu eigen machen, einsickern, einströmen zu lassen in den eigenen Geist, in das eigene Fühlen. Das muß aber ein existentielles Fühlen sein, nicht Gefühlsseligkeit, kein Schwelgen. Schwelgen ist immer höchst unangemessen. Dem Schwelgen haftet immer so etwas Schamloses an. Der Schwelgende nascht an etwas, worauf er kein Recht hat. Man schwelgt nicht in diesem Ungeheuren, Furchtbaren, Entsetzlichen, das diese Teile wiedergeben. In der Überwindung des Entsetzlichen, in der höchst siegreichen Wirklichkeit, da saugt man nicht wie die Biene den Honig an, um süße Gefühle in sich gedeihen zu lassen, sondern das muß schon tiefer reichen. Das muß reichen ins Gemüt, ins Daseinshafte, muß ganz ernst genommen werden. Schwelgerei ist ein Mangel an Ernst, an Redlichkeit – unerlaubt!
Sie lebt das Leben ihres Sohnes im Geiste und in der Wahrheit. Und im Geiste und in der Wahrheit müssen wir nun den Rosenkranz beten. Wir, besser du, versenkst dich in das Deine, das dir im Spiegel ihrer bräutlich, mütterlichen Seele durch ihre vollkommene Hingabe erst ganz deutlich entgegenstrahlen kann. Weil wir es nicht vermögen, uns Christus so hinzugeben, wie sie sich Ihm hingibt, bedürfen wir ihres Miterlebens in Christus, um Ihn verstehen zu können. Durch sie strahlt uns das Seine völlig zu und erfüllt unser Innerstes mit Seinem Licht, mit Seiner Wirklichkeit. Wir begeben uns zur bräutlichen Mutter und mit ihr gemeinsam zu Christus. Wenn wir ihr Gesicht schauen und im Widerstrahl ihres Antlitzes Christi Tun erfahren in ihrer Trauer, ihrer Freude, in ihrer Glorie, in ihrem Sieg, im endlosen Meer ihrer Schmerzen, dann begeben wir uns in all das hinein! Wir begeben uns an und in ihren Schoß, um die Geheimnisse der Erlösung in uns einsickern, wie ich schon sagte, einsickern zu lassen. Wir lassen uns von diesen ungeheuren Ereignissen und Geheimnissen anstrahlen. Wir lassen uns von ihnen anschauen, und dadurch schauen wir sie selber an.
Das ist Rosenkranz, ein betrachtendes Gebet und darum in allererster Linie ein Einzelgebet, wie jedes Gebet in erster Linie selbstverständlich das Gebet des einzelnen ist – zunächst einmal und logischerweise –, wenn es echt und wahr sein soll! Denn du denkst, du redest, du fühlst, duwillst! Dein Leben kann Dir von keinem anderen abgenommen, von niemandem ersetzt und kann auch von niemandem letztlich miterlebt werden. Du bist es – du! Und darum ist es dein Gebet und dein Dich-Versenken, deine Stille, dein Raum, der dir gehört, auf den du eifersüchtig erpicht sein solltest, auf deinen Eigenraum, deiner Stille, wo niemand hereinzuschnuppern, hereinzuschauen, ja nicht einmal anzuklopfen hat!
Das ist selten geworden. Das ist eben der radikale, absolute Gegensatz zu dem, was sich im Totalitarismus ereignet. Denn da steht ganz groß drüber: WIR! Im absoluten Gegensatz dazu, im Christentum, steht ganz groß drüber: ICH! Jawohl ICH, dieses von Ihm geweckte dein ICH, dein Leben, Dein Sinn! Wenn das WIR am Anfang steht, ist das etwas sehr Unappetitliches, Unschamhaftes, Penetrantes! Persönlich werde ich, das wissen Sie, da ganz besonders allergisch, aber meines Erachtens mit Recht. Das ist keine absurde Sonderheit und kein Sondergeschmack von mir, sondern meiner tiefsten Überzeugung nach ein wesensgemäßer, angemessener Geschmack bzw. Abschaum.
"Wir wollen. Wir wollen jetzt, und wir machen jetzt das und wir tun jetzt das." – NEIN! Hier wird etwas angeboten und jeder hat seinen Raum, seine Gelegenheit, auf seine Weise sich demgegenüber ins Spiel zu bringen, um zu reagieren wie er es will, er es denkt, er es fühlt. Du, und noch einmal: Du!
Und bestehe auf diesem Raum! In dem Maße, wie jeder einzelne auf diesem Raum besteht, lebt und atmet die Kirche, gerade auch das Rosenkranzgebet. Gerade das Rosenkranzgebet ist dein Gebet, wo du dich in die Geheimnisse auf deine Weise versenkst! Es erhebt sich das heilige Geschehen – und du reagierst auf deine Weise! Daraus ergibt sich dann, daß sich diejenigen, die "JA" sagen, im "JA"-Sagen erkennen und auch schon Gemeinsames tun. Aber dieses Gemeinsame lebt aus der Kraft des einzelnen und strömt zurück in die Kraft und das Recht des einzelnen! Der einzelne steht am Anfang, in der Mitte und am Ende! Und alles Gemeinschaftliche hat nur insoweit Recht und Sinn, als es dem einzelnen dient, mindestens aber nicht im Wege steht!
Sehen Sie, da ist so eine Manier eingerissen unter anderen sehr schlechten Manieren, das werden Sie in Kirchen, in denen der Ungeist lebt, mitbekommen: Die Kommunion ist vorbei, und dann wird ein Signal gesetzt; der Priester läßt sich auf dem Stuhl nieder: So, wir alle versenken uns jetzt. – Und dann wird das Signal gegeben; der Priester erhebt sich wieder: Die Versenkung über das Kommunionereignis ist allgemein zuende. – Das ist im Tiefsten unzulässig! Die Reaktion auf das heilige Geschehen ist immer deine Reaktion auf das, was vorliegt, weil es vorliegt; aber nicht auf ein Kommando: "So, jetzt setzen wir uns alle nieder und jeder versenkt sich. Jeder macht sein Standardversenkungsgesicht, und die Sache ist mal wieder gemeinschaftlich abgewickelt worden im Zeichen des WIR. Wir haben uns jetzt versenkt." – Nein, so nicht! Sondern es ereignet sich das objektive Geschehen; und wie der einzelne reagiert ist seine Sache! Diese Freiheit ist unerläßlich und spezifisch, essentiell katholisch!
Sehen Sie: Rosenkranzgebet. Es wird so vom einzelnen gebetet, daß er seine Aufmerksamkeit den Texten der "Gegrüßet seist du, Maria", die aneinandergereiht werden, nicht zuwendet. Die Aufmerksamkeit gilt nicht den Texten der "Gegrüßet seist du, Maria", überhaupt keinem der gesprochenen Texte, sondern die Aufmerksamkeit gilt den Geheimnissen!Und jeder versenkt sich auf seine Weise in die Geheimnisse! Und die "Gegrüßet seist du, Maria" werden mechanisch von den Lippen gesprochen. Jawohl mechanisch! Und gerade, wenn man den Rosenkranz gemeinschaftlich betet, ist es wichtig, daß er schnell gebetet wird! Wenn Sie langsam und würdig die "Gegrüßet seist du, Maria" nacheinander hersagen, sind Sie völlig blockiert und können Sie sich nicht mehr versenken. Meditieren können Sie nur, wenn es schnell gesprochen wird! Das ist außerordentlich wichtig zu wissen. Wenn sie das "Gegrüßet seist du, Maria" für sich allein beten, dann soll es in Ruhe gebetet werden, weil dann die Aufmerksamkeit auf den Text gerichtet ist. Im Rosenkranz dagegen muß es schnell gebetet werden, damit der Geist frei ist für das Sich-Versenken in die Geheimnisse.
Und, wie gesagt, es ist zunächst ein Einzelgebet. Wenn gemeinschaftlich, dann muß es so gebetet werden, daß der einzelne durch das Raunen und Murmeln des gemeinsamen Gebetes in seiner Betrachtung angeregt wird. In den romanischen Sprachen geht das besser. Die romanischen Sprachen sind leichter, runder, gehen schneller von den Lippen. Sie sollten mal sehen, wenn am Karfreitag die Südländer sich in die Geheimnisse des Leidens versenken und den Rosenkranz gemeinsam beten. Das geht ganz schnell, aber mit großer innerer Erregung! Die Menschen haben da etwas Ursprüngliches, was uns weithin verloren gegangen ist, ein ursprüngliches Sich-Hineinversetzen. Sie weinen dabei Tränen; nicht etwa aus Gefühlsseligkeit, sondern weil sie wirklich sich ganz vergessen und ganz drinnen stehen. Dabei geht das ganz, ganz schnell, ein rasend schnelles Murmeln, in dem man die Erregung spürt. Wenn das jetzt langsam dahertrabt im feierlichen Stil, wie manche meinen, man müsse den Rosenkranz gemeinsam beten, dann käme keine Meditation zustande, beim allerbesten Willen nicht.
Es ist also sehr, sehr wichtig zu wissen, wie der Rosenkranz gebetet wird. Daraus ergibt sich dann Gemeinschaft und aus der Gemeinschaft wiederum das, was des einzelnen ist. Er hat die absolute Priorität! Der einzelne ist der große Souverän! Denn Christus ist gekommen, um ja den einzelnen in seine souveränen Rechte einzusetzen! Das ist der Glanz und die Macht des Rosenkranzgebetes.
Es gibt aber auch, meine lieben Freunde, seien wir ehrlich, das Elend des Rosenkranzgebetes. Sie wissen, daß ich Konvertit bin. Und als ich jung war und mit großem Eifer mich nicht genugtuen konnte, liebe Menschen hineinzubringen ins Katholische, ihnen das Katholische zu zeigen, die katholische Herrlichkeit deutlich zu machen, da gab es zwei Dinge, bei denen ich rot anlief bis über beide Ohren. Das eine habe ich selber abgeschafft: das war das Kollektieren bei der Opferbereitung! Das konnte ich auch vor niemandem rechtfertigen, das Portemonnaie-Zücken bei der Opferbereitung und das Klingelbeutel-Herumgehenlassen. Eine Unart bis ins Letzte! – Das andere ist das laute gemeinsame Rosenkranzgebet beispielsweise bei Beerdigungen und anderen Anlässen. Ich habe prinzipiell gar nichts gegen das gemeinsame laute Rosenkranzgebet, wie Sie soeben vernommen haben. Aber man muß wissen, wo man es vollzieht! Als Glaubensdemonstration ist das gemeinsame Rosenkranzgebet absolut ungeeignet! Das kann ich Ihnen garantieren aus meiner Kenntnis der Evangelischen. Man kann es ihnen nicht verübeln. Sie wissen ja nicht, was das Rosenkranzgebet eigentlich ist. Sie denken dann sofort an das Wort des Herrn "Ihr sollt nicht plappern wie die Heiden". Das ist hier ganz und gar nicht anzuwenden! Das wissen wir. Aber die Evangelischen und die Nichtkatholiken überhaupt können das nicht wissen. Automatisch deuten sie das so. Und das ist peinlich bis ins Letzte!
Wie kommt es, daß bei jeder passenden, besser gesagt unpassenden, Gelegenheit gemeinsam der Rosenkranz gebetet wird? Weil die Leute den Mund nicht halten können! Das peinliche Schwätzen von der Trauerhalle zum Grab wird dann dadurch unterbrochen, unterbunden, daß jemand das Signal setzt: "So, jetzt beten wir den Rosenkranz. Auf diese Weise bringen wir die Leute wenigstens dahin, daß sie sich nicht unterhalten." – Das ist ein Armutszeugnis!
Im Omnibus, wenn man eine gemeinsame Wallfahrt macht: gut, gemeinsam den Rosenkranz. Das ist ja dann nicht so eine nach außen dringende Demonstration, die keiner begreift, der nicht katholisch ist und der nicht eingeweiht ist. Aber auch da, bei der Wallfahrt im Omnibus, muß man es eigentlich hinbekommen, daß auch mal alle ganz still sein können! Denn viele meinen ja bei großen Wallfahrtsunternehmungen, sei es in Wallfahrtssonderzügen oder in Omnibussen, wir müssen jetzt gemeinsam den Rosenkranz beten, damit die Leute endlich aufhören sich zu unterhalten. Entweder wird der Rosenkranz gebetet oder es wird gebabbelt. Die Leute müssen lernen, auch so einmal still zu sein und jeden zu sich kommen zu lassen! Und jeder soll den anderen zu sich kommen lassen. Das ist vor allem eine Tugend, die viel demonstrativer, viel überzeugender nach außen wirkt als das laute gemeinsame Gebet, das von den anderen gar nicht begriffen werden kann.
Das sollte einmal ganz deutlich gesagt werden.
AMEN.
In seiner genialen Weise skizziert Pfarrer Milch in eigentlich wenigen Kernsätzen (von mir rot hervor gehoben) das Wesen des Rosenkranzgebetes als Meditation. Zuerst die totale Abkehr vom modischen, modernistischen Kollektiv – das peinliche still-rumsitzen-und verstohlen-nach-dem Pfarrer-schielen nach der Kommunion ist gut geschildert. Ist er schon fertig? Steht er schon oder muß ich noch mit nichtssagendem Schaftsgesicht rumsitzen? Zusammen „Betrachtung halten“ ist halt nicht möglich.
Meditatives Rosenkranzgebet ist Raum im Alleinsein, Begegnung mit Gott. Natürlich kann dabei das Raunen der anderen Mitbeter wie Bachgemurmel an mein Ohr kommen. Der Geist versenkt sich in Betrachtung, während, nein: weil das Gedächtnis auf den Text fixiert ist und die Sprechwerkzeuge in Bewegung sind. Kein Abschweifen, kein Zergrübeln. Kein ziehen des Textes wie ein Kaugummi, bis der spärliche Verstand endlich „mitgekommen“ ist.
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